Amsterdam. Der BVB tritt in der Champions League bei Ajax Amsterdam an. Der Klub genießt seit Jahren einen besonderen Ruf – aber warum? Eine Spurensuche
Schon in den 1990er-Jahren tüftelten visionäre Architekten den Plan für ein großes Stadion in Amsterdam mit verschließbarem Dach aus, das von Weitem nun so wirkt, als hätte Elon Musk sein Raumschiff in der Stadt vergessen. Man muss schon näher rangehen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, welch großer Verein hier sein Können vor 55.500 Fans vorführt.
Kurz vor dem Haupteingang wartet die bronzene Statue von Johan Cruyff, Spielmacher-Idol einer ganzen Generation. Das maßgeblich daran mitarbeitete, dass der Vereinsname Ajax Amsterdam bei vielen Fußball-Liebhabern Verzückung auslöst, auch wenn die Gegenwart nicht mehr so viel Glanz versprüht. „Ajax ist ein außergewöhnlich gut geführter Klub. Er bringt wie Borussia Dortmund regelmäßig überragende Fußballer hervor“, sagt Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.
Immerhin weckt die Mannschaft von Trainer Erik ten Hag Erinnerungen an große Zeiten. Deswegen zählt die Partie am Dienstag (21 Uhr/live in unserem Ticker) gegen Borussia Dortmund zu den prickelndsten des dritten Champions-League-Spieltages. Erster gegen Zweiter in der Gruppe C, beide Vereine haben sechs Punkte, der Sieger kann schon fast für das Achtelfinale planen.
Was aber macht Ajax Amsterdam besonders? Eine kleine Rundreise.
Der Stürmer
Diese startet mit Sebastien Haller, der weniger für die typische Ajax-Faszination steht, dafür derzeit eine Attraktion darstellt. 27 Jahre alt, 1,90 Meter groß – der Stürmer würde wohl selbst gegen einen Kirchturm ein Kopfballduell gewinnen, gleichzeitig vertraut ihm der Ball am Fuß. Mit fünf Treffern steht Haller an der Spitze der Königsklassen-Torjägerliste. Sein Aufstieg begann bei Eintracht Frankfurt, dort gehörte er zwischen 2017 und 2019 zur gefürchteten Büffelherde.
„Dass er ein besonderer Stürmer ist, war uns schon klar, als wir ihn mit 23 aus Utrecht nach Frankfurt geholt haben“, sagt Fredi Bobic, der damals als Sportdirektor bei den Hessen arbeitete und mittlerweile zu Hertha BSC gewechselt ist. Haller bringe alles mit, was einen Top-Stürmer ausmacht, so Bobic. „Seine Entwicklung ist beeindruckend.“ Das haben auch die Verantwortlichen von Borussia Dortmund registriert, schon 2019 liebäugelten sie mit einem Transfer des Franzosen. Die Kosten hätten jedoch eine zu große Lücke auf dem Konto hinterlassen. Haller wechselte in die Premier League zu West Ham United, enttäuschte dort jedoch. Jetzt hat er in Amsterdam zu alter Stärke zurückgefunden. Und vielleicht führt sein Weg noch ins Revier. Im kommenden Sommer benötigt der BVB ja vermutlich einen Nachfolger für Erling Haaland.
Die Spielphilosophie
Ein Anruf bei Heiko Westermann. „Die Fans in Amsterdam wollen immer guten Fußball sehen. Sie sind selbst bei Siegen sauer, wenn die Spielweise nicht gestimmt hat. Sie stehen auf Tricks“, berichtet der 38-Jährige. Als Profi war Westermann auf Schalke und beim Hamburger SV zwar nicht gerade für seine feine Technik bekannt, trotzdem führte ihn sein Karriereweg kurz vor dem Ende 2017 für ein Jahr zu Ajax. „Mir ist erst bei der Ankunft bewusst geworden, was das für ein bedeutender Verein ist.“
Diese Bedeutung erlangte Ajax, weil in Amsterdam schon früh der Grundstein für den „Totalen Fußball“ in einem 4-3-3-System gelegt wurde. Bei dem alle gemeinsam verteidigen und angreifen (heute längst Standard) und mit vielen kurzen Pässen das Mittelfeld überbrückt werden soll. In den 1970er-Jahren huschte jener Johan Cruyff durch diese Spielweise an seinen Gegnern einfach vorbei. 2016 verstarb der Begnadete im Alter von 68 Jahren, kurz danach wurde das Amsterdamer Stadion nach ihm benannt. In den Niederlanden gilt das 4-3-3 als Heiligtum. Amsterdams Trainer ten Hag formiert seine Mannschaft allerdings flexibler.
Die Jugend
Es ließe sich ein ganzes Buch füllen mit Profis, die in der Amsterdamer Jugend gereift sind und sich dann aufmachten, um Europa aufzumischen. Ein paar Namen: Cruyff, Edwin van der Sar, Dennis Bergkamp, Patrick Kluivert. Derzeit versucht eine neue Generation um Frenkie de Jong (24), seit 2019 beim FC Barcelona, Fußspuren im Spitzenfußball zu hinterlassen. Und immer kraxeln neue Talent aus der Jugendakademie, die Ajax schon seit den 1960er-Jahren betreibt, zu den Profis. „Alle trainieren auf demselben Gelände. Regelmäßig werden Spieler aus der zweiten Mannschaft für das Training hochgezogen“, sagt Westermann.
Derzeit müssen sich diese Talente bei Trainer Erik ten Hag empfehlen. Am Montag sitzt der 51-Jährige im Presseraum des Stadions. An den weißen Wänden hängen Bilder von großen Momenten. Dennis Bergkamp hält den Uefa-Pokal in den Händen. Edgar Davids küsst den Weltpokal. Dreimal hat Ajax Amsterdam den Pokal der Landesmeister gewonnen (1971 bis 1973), einmal die Champions League (1995).
Dortmund sei der Favorit, sagt ten Hag nun, aber keine Mannschaft spiele gerne gegen Ajax. Nachfrage: Warum? „Alle haben einen gewissen Respekt“, erklärt der Trainer. „Das liegt an der Wertschätzung, die Ajax durch die vielen Erfolge erzwungen hat.“