Essen. Die Finalserie der weltbesten Basketball-Liga war 2016 spannend. Beim Kabinenbesuch demonstriert Superstar LeBron James Gelassenheit am Buffet.
Wer über das NBA-Finale 2016 spricht, der redet meist über die Cleveland Cavaliers. Über das Basketballteam, das in der Best-of-7-Serie einen 1:3-Rückstand wettmachte und schließlich im siebten und entscheidenden Spiel triumphierte. Man schwärmt von LeBron James, diesem Über-Basketballer, der seine Heimatstadt mit unbändiger Willenskraft zur ersten Meisterschaft führte. Man spricht über seine Dunkings und Drei-Punkte-Würfe. Und über jene spektakuläre Aktion am Ende des siebten Finalspiels, als James pfeilschnell übers Spielfeld hechtete, gefühlt 20 Meter hoch und 30 Meter weit sprang und den Ball bei einen Wurfversuch von Andre Iguodala brachial gegen den Korb schmetterte.
James war in jenen Minute der beste Basketballer überhaupt. Er war in der eigenen Spielfeldhälfte, er war aber trotzdem gleichzeitig in der des Gegners. Er war überall, er war Superman verkleidet als Basketballer. Man redet über James, über seine Teamkameraden, über so viele Dinge in dieser spannenden Finalserie. Wenn ich an das NBA-Finale 2016 zurückdenke, spreche ich dagegen meist über ein Stück Wassermelone.
Die große Show beginnt schon vor der eigentlichen Show: Die Kabinentür öffnet sich und LeBron James tritt ein. Er trägt rote Badelatschen, weißes T-Shirt, sein schwarzes Kopftuch wird fast vollständig von dicken Kopfhörern verdeckt. An einer Seitenwand ist ein Buffet-Tisch mit allerlei Früchten aufgebaut, James bugsiert mit einer Zange vier Stücke Melone auf einen Plastikteller. Er blickt in die Richtung der Journalisten, in dutzende Kameras und erwartungsvolle Gesichter. Er nickt kurz, schenkt der gaffenden Menge aber keine große Aufmerksamkeit mehr. Er nuschelt den Text des Rapsongs und setzte sich auf den Stuhl vor seinem Spind.
Dann beißt LeBron James in das erste Stück Melone.
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Es ist der 8. Juni 2016. Das dritte Finalspiel der nordamerikanischen Profiliga NBA beginnt in knapp eineinhalb Stunden. Die Cleveland Cavaliers haben beide Spiele bei den Golden State Warriors verloren, sie stehen mit dem Rücken zur Wand: Eine dritte Niederlage in Folge, und die Best-of-7-Serie wäre praktisch vorentschieden. James sitzt in der Kabine und wippt mit den Knien im Takt zur Musik. Er hätte gar nicht zu seinem Spind kommen müssen, in dem das Trikot mit der Nummer 23 hängt. Zumindest nicht in diesen zehn Minuten, in denen die Kabine für Journalisten geöffnet ist. Der Raum ist knapp 60 Quadratmeter groß, an den Wänden stehen große Holzschränke, das Licht ist gedimmt und lässt den blauen Teppichboden noch dunkler erscheinen. Die anderen Spieler des NBA-Klubs haben sich in einen der Nebenräume zurückgezogen. Raus aus dem Trubel. In den Schränken hängen Trainingsanzüge, Schuhe und Shampooflaschen stehen auf den Regalen.
Dann beißt LeBron James in das zweite Stück Melone.
Die Journalisten sehen ihm dabei ebenso fasziniert zu, wie sie es zwei Stunden später beim Spiel selbst tun werden. Sie tuscheln, machen Fotos, blicken immer wieder fasziniert zu dem Mann, der gerade doch nichts anderes tut, als Melone zu essen. Dennoch ist es der wohl beste Basketballer seiner Generation, der dies gerade tut. Ein Superstar unter den Superstars dieser Liga. Und deshalb blicken die Kabinengäste so ungläubig auf das Geschehen, als wäre gerade ein Außerirdischer in der Kabine gelandet. Journalisten aus den USA sind anwesend, aus Europa und aus Asien. Die Welt zu Gast in Cleveland. Sie verhalten sich wie Kinder auf dem Spielplatz. Sehen sich mit großen Augen um, machen Selfies, umkurven dabei grimmig dreinblickende Ordner. Zehn Minuten in der Kabine eines NBA-Teams während einer Finalserie – für die meisten Reporter ist es ein Ereignis. Die Kabine gilt als Heiligtum jedes Teams, es ist der einzige Rückzugsort und wird in den meisten Ländern entsprechend abgeriegelt. Nicht hier. Nur das Filmen ist verboten, Fotografieren aber ist erlaubt. Die meisten Journalisten filmen trotzdem unauffällig.
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Spieler der zweiten Garde lassen sich nun ab und an blicken. Jordan McRae holt sich eine Banane und verschwindet wieder, Matthew Dellavedova streift sich schnell sein Trikot über. LeBron James sitzt noch immer vor seinem Spind und bugsiert den Plastikteller auf seinem Schoß. Hier in Cleveland nennen sie ihn den König, er selbst hat sich den Schriftzug „Chosen One“ („der Auserwählte“) auf den Körper tätowieren lassen. Der wohl beste Basketballer der Gegenwart wuchs im nur wenige Kilometer entfernten Akron auf, nun soll er Cleveland, dieser darbenden Industriestadt im Bundesstaat Ohio, nach 52 Jahren endlich wieder eine Meisterschaft in einer der großen Sportarten bescheren. James ist Profi, seine Anwesenheit in der Kabine ist auch ein Signal an die Medien: Ihr seid hier? Egal, mich bringt nichts aus der Ruhe! So sitzt er noch immer da und schunkelt im Takt zur Musik aus seinen Kopfhörern.
Dann beißt LeBron James in das dritte Stück Melone.
Vor der Kabine geht es hektischer zu. In den Gängen abseits des Spielfelds wird das Essen für die Ehrengäste geliefert, die Cheerleader proben noch einmal ihren Pausentanz. Hunderte Fotografen sitzen an meterlangen Tischen und laden die ersten Bilder auf ihre Computer, Fernsehteams tragen ihre Kameras eilig von einer in die andere Ecke. Die knapp 21.000 Zuschauerplätze der Halle füllen sich langsam.
Im Vorfeld dieser Finalserie beschäftigten sich Experten häufig mit der Frage, wer denn nun der beste Basketballer der Welt sei. Stephen Curry von den Golden State Warriors aus Kalifornien? Dieser schlaksige Zauberdribbler mit dem Babyface, der sich zum besten Drei-Punkte-Schütze der Ligageschichte gemausert hat? Oder doch noch der damals 31-jährige LeBron James, dieses unglaubliche Kraftpaket mit der enormen Vielseitigkeit und der noch größeren Sprungkraft? Es ist das Duell Ballerina gegen Panzer, und an diesem Abend wird die Frage nach dem besseren von zwei Ausnahmespielern beantwortet sein.
Dann beißt LeBron James in das vierte Stück Melone…
…und die Journalisten müssen die Kabine verlassen. James wird an diesem Abend auch Stephen Curry, nein, er wird die ganzen Golden State Warriors verschlingen, so groß ist sein Titelhunger. 120:90 gewinnt Cleveland dieses Spiel, es ist der Wendepunkt der Serie, an deren Ende James freudetrunken mit dem Pokal in den Händen „Cleveland, das ist für dich“ brüllen wird. Die Melone ist da längst vergessen. Nun fließt Champagner.
Björn Goldmann war 2016 als Reporter dieser Zeitung bei den Finalspielen 3 und 4 in Cleveland.