Warschau/Essen. Die höchste Auswärtsniederlage in einem Qualifikationsspiel hat die deutschen Weltmeister verwirrt. Zeit zum Ärgern bleibt Thomas Müller und Co. aber nicht. Irland wartet nach der historischen Pleite in Polen als nächster Gegner. Bundestrainer Joachim Löw sieht aber keine großen Probleme.
Wieder geriet Joachim Löw auf einem Rückflug aus dem ungeliebten Warschau ins Grübeln. Für Grundsatzgedanken hatte der Bundestrainer nach der historischen Niederlage in Polen diesmal aber keine Zeit. Im Schnellverfahren will Löw die nach dem 0:2 (0:0) irritierten Titelhelden auf die nächste knifflige Aufgabe in der EM-Qualifikation vorbereiten. Einen weiteren Betriebsunfall kann sich die deutsche Fußball-Nationalmannschaft am Dienstag (20.45 Uhr/RTL und live in unserem Ticker) gegen das traditionell unbequeme Team aus Irland nämlich nicht leisten. Sonst steckt der Weltmeister auf dem vermeintlich leichten Weg zur Endrunde 2016 in Frankreich plötzlich in der Bredouille.
"Wir müssen darüber sprechen, wie unser Torabschluss sein muss, wie wir solche Chancen verwerten", kündigte Löw für die extrem kurze Vorbereitung auf das Irland-Spiel gezielte Unterredungen mit Mario Götze, Thomas Müller und Co an. Zweifel an Spielphilosophie oder gar Qualität hatte die erste Niederlage im 19. Spiel gegen Polen überhaupt und die höchste Auswärtsniederlage in einem Ausscheidungsspiel für ein großes Turnier nicht verursacht.
Löw: "Das gibt es jetzt halt mal"
"Die Einstellung der Mannschaft und die Konzentration zum Spiel waren absolut in Ordnung", meinte Löw. "Jetzt haben wir nach 33 Spielen mal wieder ein Qualifikationsspiel verloren. Das gibt es jetzt halt mal. Das muss man jetzt mal akzeptieren und so hinnehmen und die Lehren daraus ziehen", betonte der Weltmeister-Trainer nach der Pleite, die in der Heimat im Schnitt 10,65 Millionen Zuschauer im TV verfolgten.
Auf dem Trainingsplatz können sich die DFB-Stars den Frust kaum von der Seele ballern. Eine einzige Übungseinheit steht am Montag in Essen auf dem Programm. "Wir haben 28 Torschüsse heute, so viele wie selten zuvor. Torabschluss und diese Konsequenz, das ist das Hauptthema für uns", gab Löw die Agenda für den Kurzaufenthalt im Ruhrpott vor.
Zerknirscht kommentierte Offensivspitze Müller das nicht für möglich gehaltene Geschehen - ausgerechnet am Ort der letzten großen Demütigung im EM-Halbfinale 2012 gegen Italien (1:2), die Löw noch lange nachhaltig beschäftigt hatte. "So ist es schwierig, ein Fußballspiel zu gewinnen, wenn du eigentlich bis zur Box gut spielst und auch gute Möglichkeiten rausarbeitest, aber nicht triffst."
Ersatzkapitän Manuel Neuer - beim ersten Gegentor von Arkadiusz Milik (51.) mitschuldig und beim zweiten Tor durch Sebastian Mila (88.) alleine gelassen - blickte konzentriert voraus. "Irland wird mit Sicherheit auch nicht die Flucht nach vorne suchen. Da wird es schwer sein, sich Torchancen rauszuspielen, sie werden versuchen zu kontern. Da müssen wir wieder aufpassen und jede Situation ernst nehmen."
Irland wird sich streng defensiv ausrichten
Die Iren werden gut gelaunt nach einem 7:0 gegen Gibraltar mit einer ähnlichen Taktik wie Polen die Weltmeister ärgern wollen. "Irland kennen wir aus den vergangenen Jahren. Sie werden vorwiegend defensiv spielen", sagte Löw. Die DFB-Stars befinden sich plötzlich in einer gänzlich ungewohnten Situation. Mit einer Niederlage ist noch keiner von ihnen nach einem Qualifikationsspiel wieder nach Hause geflogen. Bei der letzten Pleite, dem 0:3 gegen Tschechien in München im Oktober 2007, war das Ticket für die EM-Endrunde 2008 schon gebucht. Als Deutschland 1998 in der Türkei (0:1) letztmals auswärts verlor, spielten praktisch alle heutigen DFB-Akteure noch in E-, D- oder C-Jugend.
Toni Kroos, der das Spiel als Impulsgeber nicht herumreißen konnte, merkte enttäuscht an: "Das fühlt sich nicht gut an, wir hätten gern darauf verzichtet." Drei Monate nach dem WM-Triumph von Rio müssen die Champions plötzlich aufpassen. Mit drei Punkten ist das Löw-Team in der Gruppe D nur Vierter - hinter Polen, Irland (je 6) und sogar hinter den punktgleichen Schotten. Irland hat seit 1994 nicht mehr gegen Deutschland gewonnen und in der Qualifikation für Brasilien (1:6/0:3) zwei klare Niederlagen kassiert. Doch auf Statistiken ist kein Verlass. Bis zum Samstagabend hatten nicht einmal die Polen den ersten Sieg gegen Deutschland für möglich gehalten.
"Ich bin mir sicher, das werden wir wieder ausgleichen. Ich sehe jetzt keine großen Probleme in dieser Qualifikation", sagte Löw. "Dass wir weiterhin alles abrufen müssen, ist klar, aber Probleme sehe ich nicht. Wir haben verloren, okay. Am Dienstag geht es weiter."
Kaum personelle Alternativen
Personell kann Löw nicht viel ändern. Christoph Kramer verließ nach einem Sprung in den Rücken durch den extrem aggressiv agierenden Bayern-Stürmer Robert Lewandowski angeschlagen den Platz. Der von Löw gelobte Neuling Karim Bellarabi ("Er war sehr aktiv") humpelte auch ein wenig. Über mögliche oder nötige Veränderungen wollte Löw an dem für Regeneration reservierten Sonntag aber nicht reden.
Ganz einfach ist die Situation angesichts vieler fehlender Helden von Rio nicht, wie Löw gestand. "Es gab mehr einschneidende Veränderungen, als ich mir erhofft habe. Weil nicht nur Spieler zurückgetreten sind, sondern vier, fünf Spieler, die die Mannschaft auch prägen, durch Verletzung ausfallen: Mesut Özil und Sami Khedira und natürlich Basti Schweinsteiger. Über die nächsten zwei Jahre müssen auch die jungen Spieler Erfahrungen machen, aus denen sie lernen", sagte Löw. (dpa)