Ulm. . Markus Rehm springt mit einer Unterschenkel-Prothese 8,24 Meter weit und holt den deutschen Meistertitel in Ulm. Jetzt muss der Verband den 25-Jährigen für die Europameisterschaft nominieren und hat so ein Problem.

Mehrere Dutzend Reporter aus dem ganzen Land harrten im Pressezelt vor dem Ulmer Stadion aus, um mit dem Mann des Tages sprechen zu können. Viel Zeit blieb Markus Rehm nicht, denn das ZDF wollte den deutschen Weitsprung-Meister 2014 auch in seinem Aktuellen Sportstudio präsentieren. Bevor Rehm in Richtung Mainzer Lerchenberg entschwand, erzählte er aber vom schönsten Tag seines sportlichen Lebens.

„Ich habe wohl für rauchende Köpfe gesorgt“, erklärte der Leverkusener. Das kann man wohl sagen. Beim Deutschen Leichtathletik-Verband grübelt man jetzt über die Lösung des Problems, das man sich selbst eingebrockt hat. Markus Rehm war der erste behinderte Leichtathlet, der sich bei den Deutschen Meisterschaften in Ulm mit seinen gesunden Konkurrenten im Weitsprung messen durfte. Und jetzt ist Markus Rehm der erste Sportler mit Beinprothese, der sich den Titel bei den „normalen“ Meisterschaften holte.

Rehm erfüllt Norm für Europameisterschaft

Mit 8,24 Metern steigerte der 25-jährige Rehm nicht nur seinen eigenen Behinderten-Weltrekord um 29 Zentimeter, sondern erfüllte auch souverän die Norm (8,05 Meter) für die Europameisterschaften in zwei Wochen in Zürich. „Es gibt klare Richtlinien für die EM-Qualifikation. Der Deutsche Meister fährt bei Erfüllung der Norm zur Europameisterschaft nach Zürich“, sagt Christian Reif, „das ist der einzig richtige Weg, den der Deutsche Leichathletik-Verband gehen kann.“

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Reif macht sich zum Anwalt von Rehm, denn Reif ist ein fairer Sportsmann. 2010 ist er Europameister gewesen. Und auch in diesem Jahr ist er einer der ganz heißen Medaillenkandidaten. Reif zeigte in Ulm eine ganz starke Vorstellung, sprang sechsmal über acht Meter, aber mit 8,20 Metern musste er sich hinter Rehm mit dem zweiten Platz begnügen.

Reif setzt sich für die Nominierung von Rehm ein. Das heißt aber nicht, dass Reif den Wettkampf in Ulm für einen sportlich fairen hält. „Es ist eine schwierige Frage, wie man Fairness definiert“, sagt Reif, „wenn sich in einer wissenschaftlichen Analyse herausstellen sollte, dass Markus durch seine Prothese einen Vorteil hat, dann wäre es kein fairer Wettkampf gewesen.“

In einem Jahr einen Meter mehr

Der 8,24-Meter-Satz von Markus Rehm ist ein Sprung ins Ungewisse. Seine Leistung ist bewundernswert. Mit 14 Jahren verlor Rehm durch einen Wakeboard-Unfall sein rechtes Bein unterhalb des Knies. Im Sport fand er eine große Herausforderung. 2012 gewann er Gold bei den Paralympics in London. Damals sprang er 7,35 Meter weit. Damals eine Ausnahmeleistung. Zwei Jahre später hat er seinen Behinderten-Weltrekord um fast einen Meter gesteigert. Eine solche Steigerung ist bei gesunden Sportlern selbst mit unerlaubten Mitteln nicht möglich.

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Es stellt sich die Frage, ob ihm seine 10.000 Euro teure Karbonprothese einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz verschafft. Ex-Europameister Sebastian Bayer glaubt einen solchen zu erkennen: „Ich kann mir kein wissenschaftliches Urteil erlauben. Aber sein rechtes Bein ist gefühlte 15 Zentimeter länger. Meine Beine sind gleich lang.“ Was Bayer subjektiv empfunden hat, ist objektiv falsch. „Das ist übertrieben“, sagt Rehm, „mein rechtes Bein ist drei, vier Zentimeter länger. Das muss so sein, weil ich sonst humpeln würde.“

In Ulm waren auch die Biomechaniker im Einsatz. Mit Laser- und Highspeed-Kameras nahmen sie die Sprünge auf. Eine wissenschaftliche Analyse soll vom Verband in Auftrag gegeben werden, doch mit dem Ergebnis ist erst in mehreren Monaten zu rechnen. Uwe Florczak, der Bundestrainer Weitsprung, kann nicht verstehen, dass erst jetzt eine solche Studie angeschoben wird. „Wir haben hier geschlafen, wir hätten vorher überprüfen müssen, ob die Prothese ein zulässiges Hilfsmittel ist.“ Der Bundestrainer scheint wie sein Schützling Sebastian Bayer eher der Meinung zu sein, die Prothese wirke sich positiv aus: „Markus ist im Anlauf längst nicht so schnell wie die anderen.“

Die geringere Anlaufgeschwindigkeit allein wird nicht den Vorteil der Prothese beweisen. Der Verband ist in Zugzwang. Die Nominierung für die EM hat er zunächst von Montag auf Mittwoch verschoben.