Rio de Janeiro. . Zum Auftakt der Fußball-WM in Brasilien trifft England in der Gruppe D am Amazonas auf Italien. Nationaltrainer Roy Hodgson schiebt die Angst vor der Hitze und Malaria zur Seite. Auch Spielmacher Andrea Pirlo kann sein Team nicht erschrecken.
Rechts der Zuckerhut, vorne das Meer mit einigen Yachten, umrahmt von Palmen, darüber nur: der Himmel. Ein paar Geier schauten dem Treiben auf dem atemberaubend schön gelegenen Trainingsplatz auch zu, aber die schwarz-gefiederten Aasfresser drehten in weiter Ferne ihre Runden und ließen die britische Delegation ihr Glück im Centro de Capacitação Física do Exército, einem Ausbildungszentrum des brasilianischen Militärs, genießen. Roy Hodgsons Männer erlebten bisher ausnahmslos heitere, sorgenfreie Tage im noblen Stadtteil Urca, die Stimmung in dem ganz ohne große Erwartungen angereisten Team sei „sehr viel besser und positiver” als bei vergangenen Turnieren, erzählt der für die Organisation zuständige Verbandsmanager stolz.
Wenn nur diese Spiele nicht wären. Am Donnerstag wurde die Idylle jäh vom Abflug in den Dschungel von Manaus zerstört, wo laut Expertenmeinung am Sonntag (0.00 Uhr/MESZ) gegen Italien nicht weniger als „der schlimmste Albtraum” auf die Engländer wartet. Das Zitat stammt von Greg Dyke, dem Vorsitzenden der Football Association, und der 67-Jährige hat seine Worte nach der Auslosung der Gruppengegner und Spielorte im Dezember mit einer eher so halblustigen Halsabschneider-Geste untermalt. „Italien und Manaus waren die zwei Lose, die wir nicht wollten, wir haben beide bekommen”, erklärte Dyke seinen Galgenhumor. Hodgson hatte sich ebenfalls negativ über einen potenziellen Trip an den Amazonas geäußert und musste dafür im Februar beim erzürnten Bürgermeister der Stadt, Arthur Virgilio („England ist bei uns nicht willkommen”), in einem persönlichen Besuch Abbitte leisten.
Ohne Erfolsdruck will sich England in Brasilien selbst überraschen
Der 66-jährige Nationaltrainer will an diese kleine politische Kontroverse heute nicht mehr erinnert werden. „Diesen Unsinn können Sie komplett vergessen,” beschied er einem Reporter höflich aber bestimmt, als dieser nach Ängsten vor dem Urwald fragte. Im Lager der „Drei Löwen” hat man sich nach ein paar Monaten Bedenkzeit entschlossen, Dykes Defätismus zu ignorieren und lieber mit ein bisschen Abenteuerlust zum Dschungel-Duell mit den Azzurri zu fahren. Linksverteidiger Leighton Baines (Everton) nahm sogar seine Gitarre ins Herz der Finsternis mit.
Hodgson, ein vielbelesener, weit gereister Gentleman, schob die medial befeuerte Furcht vor Hitze, Malaria und den möglichen Nebenwirkungen der Malaria-Tabletten gelassen zur Seite. „Ich habe im Februar auf die Pillen verzichtet, aber das könnte daran gelegen haben, dass ich kein Profifußballer bin”, sagte der Fußballprofessor mit einem Lächeln. Dieses Mal will er auf Rat der Ärzte die Prophylaxe einnehmen. Alles kein Problem. Man kann sich Hodgson ganz wunderbar als ranghohen Kolonialbeamten im Dienste von Königin Viktoria vorstellen, auch wenn er Manaus vor vier Monaten nicht im Tropenanzug, sondern in rosa Turnschuhen und blauer Stoffhose auskundschaftete.
Ohne Erfolgsdruck und mit der Unbekümmertheit von jungen Spielern wie Raheem Sterling (19, Liverpool) will England sich in Brasilien selbst überraschen. „Es bringt nichts, über Minimalziele zu reden, man kann als Sportler nur versuchen, das Maximum zu erreichen”, sagte Torhüter Joe Hart (Manchester City) entspannt.
Wayne Rooney selbstbewusst
Nicht einmal das blaue, bärtige Ungeheuer, das Hart und Co. vor zwei Jahren in Kiew (EM-Halbfinale) so fürchterlich tyrannisierte, vermag die Briten noch zu erschrecken. „Die Italiener sollen sich lieber Sorgen um unsere fantastischen Spieler machen”, sagte Wayne Rooney, als ihn jemand nach Sonderbewachungsplänen für den italienischen Spielmacher Andrea Pirlo fragte. Überhaupt habe man die EM-Finalisten von 2012 mittlerweile hinter sich gelassen, meinte der Stürmer von Manchester United sehr selbstbewusst, aber bitte auch hier: keine Angst.