Oberhausen. . Beim Vierländerturnier präsentieren sich die deutschen Handballer erst schwach, dann ganz stark. Zuletzt gab es noch einen 32:24-Erfolg gegen Island in Oberhausen. Wie die Entwicklung nach dem Turniersieg und in Richtung der WM 2015 in Katar weiter gehen könnte: eine Analyse.

Eine Handball-EM ohne Teilnahme der deutschen Nationalmannschaft war lange Zeit unvorstellbar. Waren die Adlerträger bereits beim Olympia-Turnier 2012 nur Zuschauer, so müssen sie nach der vergeigten Qualifikation nun auch beim kontinentalen Titelkampf ab kommenden Sonntag in Dänemark (12. - 26. Januar) erstmals draußen bleiben.

Immerhin taugt der Weltmeister von 2007 als Sparringspartner: Bei einem kleinen, feinen Vierländerturnier traf die Auswahl von Bundestrainer Martin Heuberger auf drei EM-Teilnehmer: Nach einer 28:29-Niederlage gegen Österreich am Freitag in Dortmund und einem 35:26 gegen Russland am Samstag in Krefeld, sicherte sich das DHB-Team Sonntag in Oberhausen beim 32:24 (18:11) gegen Island mit einer grandiosen Leistung den Turniersieg. Schon kommendes Wochenende hat Heuberger zwei Tests gegen Tunesien anberaumt, um seine Mannschaft für die im Juni stattfindenden Play-off-Spiele zur WM 2015 in Katar zu präparieren. Noch gibt es Baustellen, aber auch Lichtblicke.

DIE ABWEHR:

„Wir wollen den Olli sehen!“, riefen Zuschauer, als die deutsche Mannschaft am Samstag Russland am Ende richtig einmachte. Das wollte der angeschlagene Kapitän Oliver Roggisch später in der Kabine wohl bewusst falsch verstehen: „Was haben die gerufen?“, scherzte der 35-Jährige, „ich soll in Rente gehen?“ Tatsächlich hat die Zeitrechnung nach Roggisch schon begonnen. Patrick Wiencek, Kreisläufer und Abwehrspezialist des THW Kiel, erhielt beim Vier-Nationen-Turnier höchstes Lob vom: „Patrick ist in der Abwehr eine feste Größe. In den vergangenen zwei Jahren ist mit ihm unglaublich viel passiert.“

Wiencek, der in der Jugendabteilung des MSV Duisburg aufwuchs und über TuSEM Essen und Gummersbach 2012 nach Kiel kam, ist mit 24 Jahren und 50 Länderspielen körperlich auf der Höhe: Zwei Meter lang, abgespeckt, doch muskulöser, in der Abwehr ein Bollwerk, im Angriff am Kreis kaum zu halten. Alternative zwei: Hendrik Pekeler vom TBV Lemgo. Der 22-Jährige bildete gegen Island und Russland mit Wiencek einen bärenstarken Innenblock. So packte Pekeler gegen Rückraum-Stars wie Aron Palmarsson (Kiel) oder Konstantin Igropulo (Füchse Berlin) kompromisslos zu.

DIE AUSSENPOSITIONEN:

Uwe Gensheimer (Rhein Neckar Löwen) ist auf Linksaußen wieder Weltklasse. Der 27-Jährige schaffte nach seinem Achillessehnenriss im November 2012 im vergangenen Jahr sein Comeback und zeigte auch beim Vier-Nationen-Turnier Willensstärke. Beim 28:29 gegen Österreich scheiterte er noch in der letzten Sekunde von der Siebenmeter-Marke, um sich dann gegen Russland mit zehn Toren den Frust von der Seele zu werfen. Trumpf zwei: Mit Dominik Klein (Kiel) auf links und Patrick Groetzki (Rhein-Neckar Löwen) auf rechts bot Deutschland zwei weitere Außenspieler der Güteklasse eins auf.

DER RÜCKRAUM:

Finn Lemke war stocksauer – auf sich selbst. Der 21-Jährige Youngster vom TBV Lemgo, mit 2,10 Meter der längste deutsche Bundesligaspieler, hatte seine Länderspielpremiere im Auftaktmatch gegen Österreich in den Sand gesetzt. Fünf Würfe, null Treffer, zweimal neben das Tor: Der Lemgoer Riese schlich kleinlaut in die Kabine. „Finn hat heute Lehrgeld gezahlt“, merkte Heuberger später an. Sichtlich angefressen war der Coach, weil die ganze Mannschaft viele klare Torchancen vergeben hatte. Mit Lemke war er nachsichtig: „Finn wird sich seine Reife holen und seinen Weg machen“. Gegen Island immerhin machte er seine ersten Länderspieltore.

Improvisieren musste Heuberger im Rückraum, da mit den verletzten Steffen Weinhold (Flensburg), Sven-Sören Christophersen (Füchse Berlin), Michael Haaß (Magdeburg) sowie Adrian Pfahl (Hamburg) und Steffen Fäth (Wetzlar) fast der komplette Rückraum ausfiel. So lastete der Druck vor allem auf der Achse Holger Glandorf (Flensburg), Stefan Kneer (Magdeburg) und Tim Kneule (Göppingen). Sie hatten gegen Österreich Probleme, ins Spiel zu kommen, drehten dann aber gegen Island und Russland mit schönen Lauf- und Pass-Stafetten auf. „So kann dann Handball aussehen“, sagte Heuberger.

DIE ZUKUNFT:

Um die Entwicklung der Mannschaft, um die jungen Spieler ging es Heuberger bei diesem Turnier. Genau das wird die Zukunft des deutschen Handball entscheiden: Wie können sich die jungen Spieler, die in Handball-Internaten der Bundesligaklubs geschult werden und die DHB-Auswahlrunden durchlaufen, Reife und Klasse holen, wenn sie in der stärksten Liga der Welt pro Match nur auf wenige Minuten Spielzeit kommen?