Sepang. Seit dem Reifenpoker beim Saisonauftakt in Melbourne machen sich die Formel-1-Mechaniker Gedanken, wie sie eine Logik in das Unberechenbare bekommen. Reifenhersteller Pirelli sorgt damit für Spannung - so wie es sich die Teams und Bernie Ecclestone gewünscht hatten.

Die Angelegenheit hätte ihre Berechtigung als Master-Studiengang. Denn wer das Reifenmanagement in der Formel 1 hinbekommt, hat das Zeug zum Weltmeister. Nur gibt es in diesem Fall nicht bloß die eine Theorie mit Zertifikat, sondern eine Menge Theorien. Und die dürften auch beim zweiten Saisonrennen am Sonntag im Malaysia (9 Uhr MEZ/RTL und live bei uns im Ticker) innerhalb von einer Woche mit der Wirklichkeit kollidieren.

Titelverteidiger Sebastian Vettel sagt über das Prinzip der Reifenflüsterei: „Du kannst als Fahrer am stärksten auf das eigene Gefühl vertrauen.“ In Melbourne von der Pole-Position gestartet, konnte er mit dem Red Bull exakt eine Runde dem Feld voraus rasen, danach hatte er mit der rasenden Hilflosigkeit zu kämpfen, um noch Dritter zu werden: „Aus dem Cockpit heraus kann man leider nicht verhindern, dass sich die Reifen abbauen. Das einzige, was du tun kannst, ist zu versuchen, weniger Fehler zu machen...“ Die Reifen sind die wahren Luder der Formel 1.

Kritik von Mercedes-Aufsichtsrat Niki Lauda

Tatsächlich machen sich ein paar hundert Techniker seit Tagen Gedanken, wie sie beim Großen Preis von Malaysia eine gewisse Logik ins Unberechenbare bekommen. Mercedes-Sportchef Toto Wolff – auch seine Fahrer Opfer der launischen Gummis – sieht noch weitere Studiengänge auf die Formel 1 zukommen: „Alles wird man dabei wohl nie verstehen. Es geht darum, so viel wie möglich zu verstehen.“ Die Kernfrage lautet: Wie verhält sich welcher Reifen wann?

Solche Unsicherheitsfaktoren mag prinzipiell niemand in einem Sport, der auch davon lebt, dass sich alles begründen lässt – auch das Risiko. Niki Lauda hatte als Mercedes-Aufsichtsrat die Debatte angeheizt. „Künstlich für immer mehr Boxenstopps zu sorgen, ist falsch. Da verlieren die Zuschauer die Übersicht“, grantelte der Österreicher. Die Abrechnung kulminierte in einem Wort: „Deppert!“

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Das ist wunderbar populistisch, und es ist auch eine probate Ausrede für einige Fahrer und Rennställe, deren Probleme ganz woanders liegen. Nachgefragt sieht die Branche das durchaus differenzierter. Monisha Kaltenborn, Teamchefin des Sauber-Rennstalls, bestätigt: „Pirelli hat genau den Job gemacht, den die Teams von ihnen verlangt haben – Spannung zu erzeugen. Deshalb sollten wir uns jetzt nicht beschweren.“ Auch Vettel hat sich daran gewöhnt, dass die Reifen seit drei Jahren auf die eine oder andere Art ein entscheidender Faktor sind: „Wir haben ja auch eine Menge aufregender Rennen dadurch gehabt. Uns Fahrer stört natürlich immer, wenn wir nicht so schnell fahren dürfen, wie wir eigentlich könnten.“ Das Strategiespiel zumindest ist um eine Komponente reicher. Problematisch wird es erst, wenn der Zufall über den Weltmeister entscheidet.

Hersteller Pirelli gibt sich entspannt

Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery weiß, dass es zu seinem Job gehört, es nicht allen Recht machen zu können. Ausdauer-Reifen herzustellen, die lange und präzise halten, wäre ein Leichtes, bei um die 30 000 Stück pro Jahr würde sich das sogar lohnen. Aber Formel-1-Boss Bernie Ecclestone hatte ausdrücklich mehr Abwechslung gefordert, nachdem der letzte Monopolist Bridgestone für zu große Eintönigkeit gesorgt hatte, und die Italiener verhandeln gerade über eine Fortsetzung ihres Vertrages. Man kann spekulieren, ob das Chaos von Melbourne beim Poker ums Geld hilft oder schadet, aber selten war das sonst eher stiefmütterlich behandelte Thema Reifen so in allen Schlagzeilen.

Mit den Lauda-Anfeindungen lebt Hembery daher gut, sieben verschiedene Führende im ersten Rennen, das hat es selten gegeben in der Geschichte. Kraft dieser Abwechslung sagt der Brite: „Es ist immer das Gleiche. Wir geben den Teams eine neue Herausforderung, und wenn ihr Fahrer nicht gewinnt, dann beschweren sie sich.“