Frankfurt/Main. Vor dem Länderspiel gegen Argentinien echauffiert sich der Bundestrainer über drei Vorwürfe gegenüber seiner Mannschaft. Auf der Pressekonferenz rechtfertigt Löw zudem Tim Wieses Nicht-Nominierung. An Angreifer Miroslav Klose will der 52-Jährige bis 2014 festhalten.
46 Tage nach dem enttäuschenden EM-Aus gegen Italien hat Joachim Löw gnadenlos mit den Kritikern der deutschen Fußball-Nationalmannschaft abgerechnet und betont, dass er den in den vergangenen Jahren eingeschlagenen Weg kompromisslos fortsetzen werde. "Teilweise habe ich die Kritik als nicht zielführend und ermüdend empfunden", echauffierte sich der Bundestrainer in einem rund 20-minütigen Monolog am Montag in Frankfurt/Main. Löw wirkte aufgebracht, erhob immer wieder die Stimme und versuchte seinen Worten stellenweise mit entschlossenen Gesten Nachdruck zu verleihen.
Besonders drei Vorwürfe hatten den 52-Jährigen nach dem 1:2 im Halbfinale gegen Italien verstimmt: Seiner Mannschaft fehle es an Leitwölfen; der Verzicht einiger Spieler auf das Mitsingen der Hymne lasse auf eine mangelnde Identifikation mit dem DFB-Team schließen; und sein Team sei insgesamt zu verwöhnt. "Diese Diskussion will ich nicht mehr führen. Wir haben keine flachen Hierarchien, sondern klare Strukturen", konterte Löw den ersten Kritikpunkt. Kapitän Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose bezeichnete er explizit als Spieler, "die gezeigt haben, dass sie in der Lage sind, eine Mannschaft zu führen."
Mitsingen der Nationalhymne sei kein "Beleg für Qualität und Willen"
Einmal in Rage nahm sich Löw zwei Tage vor dem Testspiel gegen Argentinien (20.45 Uhr) dann Diskussionen um eine "Singpflicht" bei der Hymne vor - eine Debatte, die vor allem von DFB-Ehrenpräsident Gerhard Mayer-Vorfelder entfacht worden war. Der Bundestrainer betonte, dass er es "akzeptiere und respektiere", wenn Spieler mit Migrationshintergrund auf ein Mitsingen verzichteten. "Beim DFB gibt es keine Hymnenpflicht", sagte Löw: "Ich finde es fatal, wenn man den Spielern unterschwellig gar den Vorwurf macht, dass sie keine guten Deutschen seien. Die Hymne zu singen, ist wunderschön. Aber das ist kein Beleg für Qualität und Willen der Mannschaft."
Bei allem Zorn über die aus Löws Sicht polemischen Vorwürfe, blieb der Bundestrainer bei der Kritik am bitteren sportlichen Ende der EM vergleichsweise nüchtern und gelassen. "Ich hatte einen klaren strategischen Plan, von dem ich zu 100 Prozent überzeugt war", sagte der Coach im Rückblick auf das Spiel gegen Italien, vor dem er seine Startformation auf drei Positionen verändert und defensiver als zuvor ausgerichtet hatte: "Ich stehe zu dieser Entscheidung und übernehme die Verantwortung dafür, dass es nicht geklappt hat."
Nachdem die ersten Aspekte der EM aufgearbeitet worden sind, will das DFB-Trainerteam die Analyse in den kommenden Wochen und Monaten fortsetzen. Neben der Erkenntnis, dass die Vorbereitungszeit für das gesamte Team zu kurz gewesen sei, blieb bisher vor allem eines haften. "Wir befinden uns in der Weltklasse, aber es ist noch ein kleiner Schritt bis in die Weltspitze", sagte Löw: "Bei Spanien greifen die Automatismen bis zur Perfektion. Das ist bei uns noch nicht so." Zudem habe es bei der EM an Chancenverwertung und der Umsetzung des Pressings gehapert.
Löw: "Unser Weg stimmt"
An diesen Defiziten gelte es von nun an bis zur WM 2014 in Brasilien zu arbeiten; die Voraussetzung für eine erfolgreiche Fortführung der Arbeit sei gegeben. "Unser Weg stimmt. Es gibt keinen Grund von unserem Konzept abzuweichen", sagte Löw: "Wir werden unseren roten Faden beibehalten - mit aller Flexibilität und kleinen Veränderungen." Eine erste Neuerung gibt es schon am Mittwoch im Tor zu beobachten. Tim Wiese war von Löw nicht mehr berücksichtigt worden. Nach dem Ausfall von Manuel Neuer ließ der Bundestrainer offen, ob er Ron-Robert Zieler oder dem nachnominierten Marc-Andre ter Stegen gegen Argentinien das Vertrauen schenken werde.
Das Rennen um den Platz hinter Neuer scheint offen. Auch Bernd Leno und Oliver Baumann könnten in den kommenden Monaten ihre Chance bekommen. Während im Tor also eine Verjüngung ansteht, bleibt im Sturm alles beim alten - im doppelten Sinne. Löw will bis 2014 am 34-jährigen Miroslav Klose festhalten. "Bei ihm sehe ich die Altersgrenze nicht", sagte Löw und war am Ende doch wieder ganz ruhig. Er hatte sich genug Luft verschafft. (dapd)