Kiew. Die Ukrainer bestreiten am Montag ihr erstes EM-Spiel überhaupt, und das in ihrer Hauptstadt. Allerdings stören brisante Vorwürfe eines ehemaligen Trainers die Vorbereitung.
Die ganze Ukraine fiebert dem größten Spiel ihrer Geschichte entgegen, doch die Vorfreude ist getrübt: Brisante Doping-Andeutungen sorgen für mächtig Aufregung. Nach der angeblichen Lebensmittelvergiftung von zehn Nationalspielern in einem Hotel in Deutschland zieht der frühere sowjetische Nationalspieler Alexander Sawarow Parallelen zu einem Dopingfall bei Arsenal Kiew. Die Gerüchte, die Geschichte über die Vergiftung sei eine Inszenierung gewesen, erhielten dadurch vor dem ersten EM-Spiel der Ukraine gegen Schweden im Olympiastadion von Kiew (Montag, 20.45 Uhr/ZDF) eine neue Dynamik.
„Die ganze Geschichte ist für mich ein einziges Deja-vu-Erlebnis“, sagt Sawarow, bis Januar 2010 Trainer bei Arsenal Kiew und derzeit ohne Klub. Der 51-Jährige, der als Spieler 1988 mit der Sowjetunion das EM-Endspiel in München gegen die Niederlande verlor (0:2), behauptet: „2009 hatten bei uns auch einige Spieler Magenprobleme. Ein paar Wochen später gab es bei einem unserer Spieler, Alexander Dannilow, eine positive Dopingprobe. Leonid Mironow war der Arzt, der ihm die Injektion gegeben hatte - und der ist heute Mannschaftsarzt beim ukrainischen Nationalteam.“
Verdorbenes Essen in deutschem Hotel?
Mironow reagierte brüskiert auf die Vorwürfe. „Wir haben in unserem Hotel in Deutschland verdorbenes Essen bekommen“, betont der Mediziner: „Ich weiß nicht, von was Sawarow spricht.“ Das Hotel im niederbayerischen Bad Gögging hat sich dagegen energisch gegen den Vorwurf verwahrt, sein Essen sei verdorben gewesen. Und in der Tat ist die ganze Angelegenheit dubios. Nationaltrainer Oleg Blochin hatte erklärt, die betroffenen Spieler hätten vor dem Testspiel am vergangenen Dienstag in Ingolstadt gegen die Türkei (0:2) allesamt unterschiedliche Nahrung zu sich genommen. Außerdem kamen zwei seiner Spieler trotz der angeblichen Vergiftung zum Einsatz.
Anatolji Timoschtschuk, Kapitän und Rekordnationalspieler von Bayern München, bezeichnete die angebliche Lebensmittelvergiftung am Montag derweil als „schon ziemlich ernst. Aber ich fühle mich gut, alles ist ausgestanden. Und jetzt geht das Turnier los, da denke ich nicht mehr darüber nach.“
Blochins Schlingerkurs
Dem Erwartungsdruck der ukrainischen Öffentlichkeit begegnet der ehemalige Weltklassestürmer Blochin unterdessen mit einem Schlingerkurs. Mal spricht er von einer echten Titelchance, dann beklagt er sich öffentlich, dass seinen Stürmern und seinen Abwehrspielern die Qualität fehle. Mal schwadroniert er wortgewaltig von einem „Tornado, von dem wir noch nicht wissen, wohin er uns tragen wird“, dann erklärt er fast schüchtern: „Ich weiß gar nicht, wie ich am Abend vor dem Spiel einschlafen soll. Wahrscheinlich werde ich die ganze Nacht Videos schauen.“
Zurückhaltend sind seine Spieler, die am Wochenende beim Training Besuch von Staatspräsident Wiktor Janukowitsch erhielten, derweil gar nicht. „Wir wollen die K.o.-Runde erreichen. Das steht außer Frage. Und danach sehe ich uns im Endspiel“, tönt Timoschtschuk von Bayern München. Andrej Schewtschenko erinnert an die Europameister Dänemark (1992) und Griechenland (2004): „Mit denen hat damals auch niemand gerechnet, also warum sollten wir es nicht auch schaffen?“
Schwedens Vorbereitung war deutlich beeindruckender
Die Schweden verfolgen diese Aufplusterei belustigt. Trainer Erik Hamren nimmt den Ball dankbar auf. „Es gibt keine großen Unterschiede zwischen beiden Mannschaften. Aber die Ukraine hat die Unterstützung des ganzen Landes. Außerdem zeigt die Geschichte, dass der Gastgeber selten sein erstes Spiel verliert. Deshalb sind sie der Favorit“, sagt er mit schelmischem Blick.
Dabei haben die Schweden die deutlich beeindruckendere Vorbereitung absolviert. Außerdem befindet sich Stürmerstar Zlatan Ibrahimovic im Gegensatz zu Schewtschenko im besten Fußballer-Alter. Der 30-Jährige, der zwischen 2004 und 2011 mit fünf Vereinen acht Mal in Folge nationaler Meister wurde, trägt die Hoffnungen der Tre Kronor. Der fünf Jahre ältere Schewtschenko ist klar über seinen Zenit hinaus und muss möglicherweise sogar vorerst auf die Bank. An die Titelchance glaubt er trotzdem. Der vermeintlichen Vergiftung in Deutschland und den Doping-Gerüchten zum Trotz. (sid)