Tourrettes. . Wie ein Damoklesschwert kreiste die endgültige Kader-Nominierung über den Spielern auf der Streichliste der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Jetzt hat Trainer Löw die Entscheidung bekannt gegeben. Ter Stegen, Draxler, Cacau und Sven Bender werden nicht zur EM fahren.

Wenn die Nationalspieler am Tatort nicht so viele Spuren hinterlassen hätten, wären sie garantiert mit einem blauen Auge davongekommen. Die Umstände waren günstig. Pfingsten, ein Hubschrauber-Sonntagsausflug zu den Rivalen der Rennbahn in Monaco, ein Damoklesschwert über vier Spielerköpfen, das erst über das lange Wochenende hinweg Spannung verbreitet und dann am späten Montagnachmittag tatsächlich trifft: Marc-Andre ter Stegen, der junge Gladbacher Torhüter, Sven Bender, der junge Dortmunder Mittelfelddefensive, Julian Draxler, der noch jüngere Schalker Mittelfeldoffensive, und Cacau, ausgerechnet der schon 31-jährige Stürmer und Löw-Liebling: Sie dürfen nicht mit zur EM. Sie hat der Bundestrainer aus dem erweiterten Kader gestrichen.

Üblicherweise schrumpft das kollektive Gedächtnis auf Erbsengröße, wenn solche Eindrücke heranstürmen. Für den Fall Basel aber gilt trotz hübscher Hubschraubertour und immer gern als sensationell gefeierter Kandidatenkappung: Die Ermittlungen laufen weiter auf Hochtouren. Zu klären ist, ob es sich beim 3:5 der deutschen Auswahl am Samstag in der Testpartie gegen die Schweiz um ein schweres oder doch nur ein mittelschweres Verbrechen handelte. Für eine besondere Schwere der Tat spricht: Nach 56 Jahren wurde erstmals wieder gegen eine Auswahl des kleinen Alpenlandes verloren.

Und fünf Gegentreffer hat man zuletzt 2004 hinnehmen müssen, in einem Spiel in Bukarest gegen Rumänien, das unter der Kapitelüberschrift Olli-allein-im-Bus im Geschichtsbuch zu finden ist, weil Oliver Kahn seinerzeit Runde zwei im Teamgefährt durchschmollte.

Nationalelf könnte ein Desaster wie bei der EM 2004 drohen

Für die EM 2012 lässt sich das als böses Omen deuten. Mit 1:5 wurde gegen die Rumänen nämlich im April verloren, in der Vorbereitungsphase auf die EM in Portugal, die im Desaster endete und den WM-Zweiten von 2002 Rudi Völler um das Amt brachte. Sollte die aktuelle Mannschaft in Polen und der Ukraine auch nur annähernd so auftreten wie in der Schweiz, ist ein ähnliches Szenario für Joachim Löw durchaus denkbar.

Der Bundestrainer hat allerdings erklärt, dass düstere EM-Visionen unangebracht seien, und um die Berücksichtigung mildernder Umstände gebeten. Acht Akteure des FC Bayern erst Samstagabend in der Provence dazugestoßen. Mehr als zwei Wochen Training in den Knochen. Fazit: „Wir machen uns keine allzu großen Sorgen. Wir werden schon richtig in die Spur kommen.“

Der Fehlerberg, den sein Ensemble im St. Jakobs-Park aufgeschüttet und mit einem Gipfelkreuz (3:5!) besetzt hat, über den kann man jedoch auch nicht leichtfüßig hinweggehen. Einzig der eingewechselte Marco Reus (Schütze des dritten Tores) konnte sich als Alternative zu den zu erwartenden EM-Stammkräften aufdrängen. Ansonsten: Der lange verletzte Miroslav Klose blieb wirkungslos, der lange verletzte Per Mertesacker beteiligte sich an den Aufschüttungsarbeiten. Im Stammkraftrennen aussichtsreiche Kandidaten wie Benedikt Höwedes, Mats Hummels (Schütze: Tor eins) und Marcel Schmelzer liefen rückwärts. Ihren Ruf als Goldstücke der Bank konnten auch Mario Götze und Andre Schürrle (Schütze: Tor zwei) nicht verteidigen.

Draxler und Bender wird Löw nur mit dem Termin überrascht haben

Einen Tröstungsversuch hatte Löw schon am Samstag unternommen. Auf ter Stegen, der bei seinem Debüt Treffer von Eren Derdiyok (3), Stephan Lichtsteiner und Admir Mehmedi hinnehmen musste und bei (mindestens) einem davon eine sehr unglückliche Figur machte, redete der Bundestrainer rührend ein. Tenor: tolle Zukunft. Für die Gegenwart dagegen gilt: Den U-21-Nationalspieler hat das Damoklesschwert erwartungsgemäß erwischt. Und auch Draxler und Bender hat Löw nur mit dem Termin der Verkündigung überrascht – einen Tag vor dem Uefa-Meldeschluss.

Und den nicht mehr jungen Cacau. Ihn, den Stuttgarter, der eine schlimme Saison im Verein durch eine schöne EM aufhellen wollte, hat der Bundestrainer in den Urlaub geschickt, obwohl bekannt ist, wie sehr er das stille Wesen des Angreifers schätzt, der sich für Integration stark macht und die deutsche Staatsbürgerschaft auch wegen der Perspektiven seiner Kinder angenommen hat. Weil Löw der Tatort Basel sachdienliche Hinweise geliefert hat. Klose kommt schon noch, Reus kann für Wirbel sorgen. Der Deutsch-Brasilianer wird nicht mehr gebraucht. Wahrscheinlich nie mehr.