Dortmund. . Reinhard Rauball aber, der Präsident der Deutschen Fußball-Liga, der Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes und Präsident von Borussia Dortmund, spricht über die Gefahren, die dem Fußball drohen, über Störungen des Friedens.
Fünfte Etage der Geschäftsstelle des BVB. Der Ausblick ist prächtig. Sonnengeflutet und friedlich liegt sie da, die Arena der Dortmunder Borussia. Reinhard Rauball aber, der Präsident der Deutschen Fußball-Liga, der Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes und Präsident des Klubs, spricht über die Gefahren, die dem Fußball drohen, über Störungen des Friedens.
Wann haben Sie das letzte Mal ein Gefühl von Bedrohung im Zusammenhang mit Fußball empfunden, Herr Doktor Rauball?
Reinhard Rauball: Ich persönlich hatte dieses Gefühl noch nie.
Aber es gibt eine Bedrohung in Stadien, oder?
Rauball: Nein, das kann man so allgemein nicht sagen. Obwohl ich einige Entwicklungen mit Sorge sehe und nichts verharmlosen möchte, kann man feststellen: Die Bundesliga-Stadien gehören nach wie vor zu den sichersten der Welt. Die Probleme, die es gibt, die es in jüngster Zeit auch in größerer Intensität gibt, die liegen zudem vor allem außerhalb der Stadien.
Können wir noch einmal ins Stadion gehen? Es gab Bilder vom Feuerwerken, vom Rasenstürmen…
Rauball: Wenn man überlegt, wie viele Spiele stattfinden und stattgefunden haben, dann bewegt sich das prozentual doch in einem außerordentlich geringen Bereich. Auch wenn es an einigen Stellen eine Zunahme an Vorfällen gegeben hat.
Gut, gehen wir nach draußen. Rostocker haben Frankfurter auf Rastplätzen überfallen, Kölner haben Gladbacher auf Rastplätzen überfallen. Es gab Verfolgungsjagden mit Autos…
Rauball: Liga und Klubs versuchen natürlich, auch in diesem Bereich ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Aber wir sind hier in einem Bereich, in dem die Möglichkeiten der Vereine begrenzt sind, denn die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist Sache der Polizei. Klar ist darüber hinaus: Wir müssen aufpassen, dass nicht eine kleine Minderheit im Verhältnis zu den knapp 18 Millionen Zuschauern pro Saison das Gesamtbild verzerrt. Diese Minderheit benutzt den Fußball für sich als Bühne.
Was ist zu tun?
Rauball: Grundsätzlich sind wir für Dialog. Aber es geht auch darum, Täter zu belangen. Und zwar sowohl durch verbandsrechtliche Sanktionen wie beispielsweise Stadionverbote als auch durch staatliche Maßnahmen. Ich glaube, dass von der Justiz das Problem an einigen Stellen noch anders angegangen werden kann. Als Anwalt kenne ich sehr viel geringere Delikte, nach denen Leute über Nacht in Gewahrsam gehalten worden sind. Es geht darum, dass Täter die Mechanismen der Justiz zu spüren bekommen. Es ist wichtig, dass sie nicht mehr sagen können: Wir spielen mit der Justiz, die machen doch sowieso nichts. Die Einrichtung von Sonderdezernaten bei der Polizei wäre ein wichtiges Thema. Darüber hinaus könnte die weitere Etablierung von Stadion-Staatsanwälten und die Anwendung beschleunigter Verfahren sehr zielführend sein, das heißt: zeitnahe Sanktionierung. Bei der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justiz sehe ich grundsätzlich auch noch Luft nach oben.
Rauball findet es schwierig, immer eine gerechte Strafe zu verhängen
Der Fußball ist in den vergangenen Jahren in den Familien angekommen. 20 Prozent der Stadienbesucher sind Frauen. Haben Sie nicht die Sorge, dass schon die einzelnen Bilder Wirkung erzielt und eine Rückentwicklung des Fußballs eingeleitet haben könnten?
Rauball: Es ist eine völlig unerwünschte und kontraproduktive Entwicklung. Aber ich halte das, und da bin ich sicher nicht der einzige, für ein gesamtgesellschaftliches Problem. Auf Grund ökonomischer und sozialer Krisen hat sich auf dem Boden der gesellschaftlichen Veränderung für viele eine Perspektivlosigkeit ergeben, die zu strafbaren Handlungen führen kann. Auch um das Selbstwertgefühl zu steigern und um ein wenig aus der Anonymität der Masse herauszukommen. Deshalb: Die Probleme werden wir nicht allein bewältigen können. Es braucht einen Schulterschluss aller gesellschaftlich relevanten Gruppen.
Was trägt der Fußball bei?
Rauball: Der Profi-Fußball engagiert sich in dieser Hinsicht auf vielfältigste Weise und setzt dazu einen Zehn-Punkte-Plan mit zahlreichen Maßnahmen um: Angefangen mit der Hauptamtlichkeit von Fan- und Sicherheitsbeauftragten, über regelmäßige Regionalkonferenzen und die Einrichtung eines wissenschaftlichen Beirats bis zum Verzicht auf Profi-Spiele am ersten Mai. Insgesamt gibt der Profi-Fußball rund 25 Millionen Euro jährlich für Sicherheit aus, darunter ein Millionenbetrag für Fanprojekte. Hier handelt es sich um eine sogenannte Drittelfinanzierung. Der Fußball auf der einen Seite zahlt für Fan-Projekte seinen Teil ebenso wie Länder und Kommunen auf der anderen Seite. Wir haben angeboten, die Zuschüsse des Fußballs für die Fanprojekte zu erhöhen. Allerdings: im Rahmen dieser Drittelfinanzierung. Da müssten die anderen also mitmachen. Bislang hält sich die Bereitschaft, sich verstärkt zu beteiligen, in Grenzen.
Überrascht Sie das?
Rauball: Ja. Ich wünsche mir, dass wir zu einem Konsens kommen. Ich weiß aber, dass es in der Vergangenheit in dem einen oder anderen Bundesland sogar schwierig gewesen ist, diese Drittelfinanzierung überhaupt aufrecht zu erhalten.
Noch einmal zurück zum Bereich der Bestrafung. Dynamo Dresden ist bestraft worden und hat durch den Verkauf von Geistertickets aus der Bestrafung quasi ein Erfolgsmodell gemacht. 35 000 Tickets verkauft, ohne dass das Stadion besucht werden konnte, bei einer möglichen Zuschauerzahl von 32 000. Wie stehen Sie dem als Liga-Präsident gegenüber?
Rauball: Lassen Sie mich zunächst eine allgemeine Vorbemerkung machen. Ich weiß, das ist ein sensibler Ansatz, er kann mir viel Schelte einbringen. Aber diese Bilder aus dem Dortmunder Stadion, die Bilder vom Pokalspiel gegen Dynamo Dresden, die habe ich gefühlt circa 25 Mal gesehen. Immer wieder dieselben Bilder. Und da frage ich: Könnte man nicht über diese Thematik auch einmal mit Vertretern der Medien reden? Kann man bei dieser Problematik nicht eine Hilfestellung erbitten? Es geht nicht um Zensur, die Berichterstattung ist und bleibt frei. Es geht um die verantwortungsvolle Einordnung des Themas, um Nachahmer nicht noch zu ermuntern.
Rauball will sich den Spaß am Fußball nicht nehmen lassen
Weil Täter veröffentlichte Bilder als Heroisierung empfinden könnten?
Rauball: Genau das. Was die Bestrafung angeht, ist eine Bewertung für mich schwierig. Ich bin als Ligapräsident auch automatisch Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes, dem die Rechtsprechung obliegt. Es ist aber sicher so, dass die Situation manchmal an einigen Stellen nicht einfach ist – für die Sportgerichtsbarkeit der Verbände, für die staatlichen Organe, aber auch für die Vereine.
Sie tendieren dazu, vom Bestrafen des gesamten Vereins wegen Straftaten Einzelner abzusehen?
Rauball: Auch hier gibt es keine einfachen Lösungen. Auf der einen Seite geht es um den Schutz des Wettbewerbs und der Zuschauer. Dass der Staat hier bei Straftaten einschreitet, ist nicht in Frage zu stellen. Auf der anderen Seite ist es für den jeweiligen Klub nicht immer leicht vermittelbar, wenn er für die Taten Einzelner bestraft wird, obwohl der Klub selbst schuldlos ist. Nehmen Sie Ihr Handy. Sie dürfen dieses Handy mit ins Stadion nehmen, es ist nicht verboten. Und wenn Sie dieses Handy dem Linienrichter an den Kopf schmeißen, dann wird der Verein bestraft. Und das, obwohl seitens des Vereins weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit vorliegt. Sie sehen, die Lage ist auch unter dem Aspekt der Gerechtigkeit sehr komplex.
Herr Rauball, einige weitere Stichwörter: Antisemitismus, Homophobie und natürlich Outing, Rassismus, Suizid, Burn-out, Depression. Alle diese gesellschaftlichen Probleme sind im Fußball in den vergangenen Wochen, Monaten aufgetaucht, und sie haben Riesenwellen geschlagen…
Rauball: Auch das hängt damit zusammen, dass der Fußball in Deutschland die größte Bühne ist, die man sich vorstellen kann. Nehmen wir beispielsweise das Thema Antisemitismus. Es gibt kaum eine Institution, die dieses Thema so aktiv besetzt hat wie der deutsche Fußball – DFB, Liga und Vereine. Dann kommen die Vorfälle im Zusammenhang mit dem israelischen Spieler Itay Shechter beim 1. FC Kaiserslautern. Und die Aufregung ist groß. Auf einmal heißt es dann an manchen Stellen: Der Fußball ist rechtsradikal unterwandert! Eine Verallgemeinerung, die in dieser Form unzutreffend und unzulänglich ist – und bei der Lösung vorhandener Probleme, vor denen wir nicht die Augen verschließen dürfen, nicht weiterhilft.
Letzte Frage, noch eine persönliche: Hat der Fußball trotzdem noch die Kraft, Sie vom Alltag zu entlasten?
Rauball: Also, ich habe nach wie vor so viel Spaß am Fußball, dass ich selbst freitags abends von 21 bis 22.45 Uhr spiele. Und den Spaß in den Stadien, den lasse ich mir von niemandem nehmen. Von niemandem.