Bielefeld. . Jan Ullrich beendet sein Versteckspiel und kehrt Schritt für Schritt in die Öffentlichkeit zurück. In Bielefeld stellte ihn Haarmittel-Hersteller Alpecin als Botschafter eines Breitensport-Projekts vor.

Gleichzeitig kündigte der internationale Sportgerichtshof CAS in Lausanne an, am Donnerstag sein Urteil in „Fall Ullrich“ bekanntzugeben. Im Anschluss daran will der Tour-Sieger von 1997 eine eigene Erklärung zu seiner vergangenheit abgeben.

Seine letzte große Pressekonferenz liegt fast exakt fünf Jahre zurück. Im Februar 2007 verkündete Jan Ullrich in einem Hamburger Nobelhotel seinen Rücktritt – und war seitdem praktisch untergetaucht. Gemocht hat er die Auftritte vor Kameras und Mikrofonen nie. Und das bisschen Routine, das er sich bis zu jenem Zeitpunkt als Superstar des internationalen Profi-Radsports angeeignet hatte – es ist längst vergessen. Gestern morgen in Bielefeld: Jan Ullrich sitzt wieder vor Kameras und Mikrofonen. Er blickt aus dem Fenster, zur Decke, zur Wand: Der inzwischen 38-Jährige wirkt unsicher. Aber er hat es so gewollt. Nach fünf Jahren will er das selbst gewählte Exil beenden. Jan Ullrich kehrt in die Öffentlichkeit zurück.

„Ich habe schlimme Zeiten durchgemacht“, erzählt er in der Zentrale der Firma Alpecin. Der Hersteller von Haarkosmetika („Doping für die Haare“) hat ihn für drei Jahre als Botschafter und Aushängeschild eines Breitensport-Programms engagiert, das am 12. August mit dem „Alpecin Cycling Day“ in Bielefeld beginnt. Dann wird Jan Ullrich im Jedermann-Rennen gegen vermutlich rund 3000 Hobbyfahrer antreten. Ein weiterer Schritt zurück in ein „normales“ Leben.

Ullrich bei "Ball des Sports" in Wiesbaden

Am Wochenende hatte sich Ullrich erstmals seit Jahren wieder beim „Ball des Sports“ in Wiesbaden sehen lassen. In den Monaten zuvor war er mal hier, mal da bei einer Breitensport-Veranstaltung gestartet.

„Da habe ich gespürt, dass mich die Leute immer noch mögen. Viele fanden es gut, dass ich wieder Rad fuhr. Das hat mir sehr gut getan“, erzählte der Gewinner der Tour de France 1997 gestern von den Momenten, in denen er den Mut fasste, das jahrelange Versteckspiel zu beenden.

„Ich sehe meine Zukunft im Breitensport“, erläutert Ullrich sein Engagement für das vergleichsweise unspektakuläre Alpecin-Projekt, „mit dem Profi-Radsport habe ich nichts mehr zu tun.“ Das stimmt so allerdings nicht ganz: Für den heutigen Donnerstag hat der internationale Sportgerichtshof CAS in Lausanne endlich sein Urteil in dem seit sechs Jahren anhängigen „Fall Ullrich“ angekündigt. Und dabei geht es natürlich um dessen Zeit als Profi. Was erwartet der einstige Liebling der Nation für eine Entscheidung? „Zu den CAS-Entscheidungen gebe ich keinerlei Prognosen mehr ab“, sagt er, „doch was auch immer dabei herauskommen mag. Für mich wird das ein absoluter Glückstag. Denn dann kann ich das Thema endlich abhaken.“

Fehler in der Doping-Frage

Wird er dann auch reinen Tisch machen? Kommt dann die ganze Wahrheit über seine Verstrickung in den Skandal um den spanischen Doping-Arzt Dr. Eufemiano Fuentes ans Licht, in dessen Kühlschrank Beutel mit Ullrichs Blut gefunden wurden? „Lasst uns das Urteil abwarten“, bat Ullrich gestern, „vorher sind mir die Hände gebunden. Aber ich werde zu der Entscheidung eine Erklärung abgeben.“

„Vielleicht hätte ich früher etwas sagen müssen,“ meinte Ullrich außerdem – auch mit Blick darauf, dass andere bessere Antworten auf die Doping-Frage gefunden haben als er selbst. „Ja, ich habe Fehler gemacht“, sagt Ullrich, „und ich habe dafür zahlen müssen.“ Ein Burnout-Syndrom im Jahr 2010 war der Tiefpunkt seiner persönlichen Krise. Jan Ullrich: „Und ich habe mich immer für einen mental ausgesprochen stabilen Kerl gehalten.“ Als er 2007 aus dem Profisport ausstieg, fuhr er statt 35 000 nur noch weniger als 1000 Kilometer pro Jahr. Ullrich: „Das ist mir gesundheitlich nicht bekommen. Und seelisch auch nicht. Letztes Jahr habe ich gespürt: Du musst jetzt etwas ändern. Und ich habe es geändert.“

Der Rostocker fährt wieder Rennrad

Seitdem fährt er wieder Rennrad, knapp 8000 Kilometer waren es 2011. „Ich denke schon, dass ich als Vorbild noch immer viele Menschen zum Radfahren bringen kann“, glaubt Ullrich, „bei mir wissen sie, dass ich neben den Höhen auch viele Tiefen erlebt habe. Aber ich bin ein Kämpfertyp. Ich bin immer wieder aufgestanden. Vielleicht macht mich das so beliebt.“

Und was macht Jan Ullrich sonst noch – neben seinem Hobby Rennrad-Fahren? „Ich sehe mich geschäftlich in Branchen, die mit Sport zu tun haben. Das ist meine Welt. So arbeite ich zum Beispiel mit einer Firma zusammen, die Höhenkammern vertreibt. Oder ich lasse ordentliche Rennräder bauen,“ erzählt er – und von der Unsicherheit, die ihn anfangs umgab, ist immer weniger zu spüren.