Essen. . Der Europameister von 2004, Welthandballer 1998, sieht vor der EM in Serbien (14. bis 29. Januar) vor allem ein Manko bei der Mannschaft von Bundestrainer Martin Heuberger: Die Konstanz ging verloren. Trotzdem erwartet Stephan, dass Deutschlands Handball-“Flaggschiff“ die Tür zu den olympischen Spielen in London offen hält.
Als die deutschen Handballer 2004 in Slowenien zum ersten und bis heute einzigen Mal eine Europameisterschaft gewannen, war er die bestimmende Figur im Rückraum: Daniel Stephan, geboren und groß geworden in Rheinhausen, später lange erfolgreich beim TBV Lemgo und im Nationalteam. 1998 wurde er als erster Deutscher „Welthandballer des Jahres“. Am kommenden Samstag fliegt der inzwischen 39-Jährige nach Serbien, wo er als TV-Kommentator und als Begleiter einer Reisegruppe die EM 2012 (14. bis 29. Januar) verfolgen wird. Den Zustand der Mannschaft sieht er: kritisch, aber nicht hoffnungslos.
Nach einem Sieg und einer Niederlage bei der „Generalprobe“ am letzten Wochenende gegen Ungarn sind die EM-Prognosen für das deutsche Team so unentschieden wie immer. Man könne gegen jeden gewinnen, aber auch gegen verlieren, heißt es. Sehen Sie das auch so?
Daniel Stephan: Solche Vorbereitungsspiele sind doch nicht so immens wichtig, wie sie immer gemacht werden. Vor der EM 2004 haben wir die schlechteste Vorbereitung gespielt, die ich je erlebt habe. Und dann wurden wir Europameister. Aber die heutige Mannschaft ist mit unserer nicht zu vergleichen. Sie hat die Konstanz verloren, in ihr herrscht große Unsicherheit.
Worin liegt die Ursache?
Stephan: Es fehlen prägende Typen, an denen sich die Mitspieler orientieren können, wie dies bei uns Christian Schwarzer, Volker Zerbe, Markus Baur, Stefan Kretzschmar oder auch ein Henning Fritz waren. Aber auch wir sind zu Anfang ziemlich herumgedümpelt, haben 1997 zum Beispiel die WM-Qualifikation verpasst. Jede Mannschaft braucht Zeit, um sich zu entwickeln. So ein Reifeprozess braucht Jahre.
Ist Martin Heuberger der richtige Mann, um diesen Prozess zu bewältigen und zu steuern?
Stephan: Darüber können wir jetzt gar nicht diskutieren. Der Trainer und die Mannschaft brauchen Vertrauen. Bei der EM und mit der Chance, sich doch noch für Olympia zu qualifizieren, stehen sie unheimlich unter Druck. Und sie haben wenig Zeit. Ich drücke ihnen ganz fest die Daumen.
Demnach sind Sie auch anderer Meinung als Bob Hanning. Der Manager der Berliner Füchse meinte dieser Tage, ein Scheitern sei sogar besser für die Mannschaft, weil dann der nötige Umbruch schneller eingeleitet würde.
Stephan: Ich bin absolut anderer Meinung. Ich glaube kaum, dass wir schon genug erstklassige Nachwuchsspieler haben, um seine Forderung nach einem Austausch der halben Mannschaft erfüllen zu können. Die Olympia-Qualifikation ist für den deutschen Handball außerdem viel zu wichtig. Wir hatten immer die höchsten Einschaltquoten. Die Nationalmannschaft als Flaggschiff darf in London nicht fehlen. Und einen Umbruch kann man auch einleiten. ohne Olympia sausen zu lassen.
Hätte ein Verpassen der Spiele nicht auch katastrophale Folgen für das Ansehen des Handballs in der Öffentlichkeit?
Stephan: Aber ja! Jetzt sieht’s noch vergleichsweise gut aus. Wenn wir aber in den Medien nicht mehr so präsent wären, zöge dies einen ganzen Rattenschwanz nach sich. Weniger Zuschauer, weniger Sponsoren ... das kann nicht unsere Perspektive sein.
Hat die Nationalmannschaft nicht auch bei den eigenen Spielern etwas an Anziehungskraft eingebüßt? Ein Christian Zeitz und ein Johannes Bitter zeigen ihr zurzeit die kalte Schulter. Ein Trend?
Stephan: Das will ich nicht hoffen. Sollte es einen solchen Trend geben, muss er gestoppt werden. Die Nationalmannschaft ist doch das Größte. Es ist schade, wenn einige nicht mitspielen wollen. Aber es nutzt nichts zu jammern. Wir müssen mit dem Kader spielen, der da ist. Dann müssen aber andere in den Vordergrund treten – wie zuletzt ein Carsten Lichtlein.
Kiels Welthandballer Filip Jicha hat einige deutsche Kollegen heftig kritisiert und ihnen unterstellt, es genüge ihnen, wenn sie die populärsten Spieler wären. Die besten wollten sie dann gar nicht mehr werden. Ist da etwas Wahres dran?
Stephan: Ein Körnchen Wahrheit vielleicht schon. In der heutigen Medienlandschaft rückt auch das Persönliche und Private in den Blick der Öffentlichkeit. Vielleicht wird der eine oder andere abgelenkt. Man darf aber nie vergessen: Das Wichtigste ist der Handball, das Spielen und Trainieren. Nicht der Boulevard.
Das klingt alles nicht gerade nach einer optimistischen EM-Prognose. Was kann das deutsche Team denn in Serbien erreichen?
Stephan: Der Schlüssel ist das Auftaktspiel gegen Tschechien. Eine Niederlage wäre schlimm, denn richtig gefestigt ist die Mannschaft nicht. Aber ein Sieg könnte ihr Selbstvertrauen für das ganze Turnier geben.