Oslo. Der Isländer spielt mit der kroatischen Nationalmannschaft am Sonntag bei der Handball-WM um den Titel. Was er anpackt, gelingt.
Es gibt Wörter, die lösen alle Verständigungsprobleme dieser Welt auf. „Hero“ ist eines davon. Held. Dafür musste in Zagreb niemand das Englisch-Kroatische Wörterbuch herauskramen. Jeder wusste, wie Dagur Sigurdsson seine Mannschaft gerade adelte.
„Einfach Helden, alles Helden. Ich bin sehr stolz“, sagte der 51-Jährige, nachdem Kroatien am Donnerstagabend sensationell das Finale dieser Handball-Weltmeisterschaft erreicht, mit 31:28 Rekordchampion Frankreich besiegt hatte.
Was Dagur Sigurdsson anpackt, das funktioniert auch
Nun spielen sie am Sonntag in der Osloer Unity Arena gegen Olympiasieger und Weltmeister Dänemark (18 Uhr, Eurosport) um den zweiten WM-Titel ihrer Verbandsgeschichte. Frankreich bleibt gegen Portugal nur die Hoffnung auf Bronze (15 Uhr, SportdeutschlandTV).
Dass es so weit kam, war für die „Équipe Tricolore“ selbst recht überraschend. Überrannt von euphorisierten Kroaten, angepeitscht durch die Tausenden Fans in der heimischen Halle in Zagreb. Eingestellt von ihm: Dagur Sigurdsson.
Was der Isländer anpackt, das funktioniert. So viel lässt sich nach knapp 20 Jahren an der Seitenlinie nun festhalten. Und so war sich manch einer sicher, dass auch Kroatien schon bald an glorreiche Zeiten anknüpfen würde, als Sigurdsson im Februar 2024 das Amt des Nationaltrainers übernahm.
Fabian Wiede holt mit Sigurdsson 2014 den ersten Titel für die Füchse Berlin
„Mir war damals sofort klar, dass er diese Mannschaft wieder nach oben bringen kann“, erklärt der langjährige Nationalspieler Fabian Wiede. „Es passt sehr gut zusammen.“ So wie von 2009 bis 2015 bei den Füchsen Berlin.
Wiede war als damals 19-Jähriger zu den Profis der Hauptstadt-Handballer gestoßen, holte mit Sigurdsson gleich in seiner ersten Saison 2014 den DHB-Pokal. „Das war der erste Titel für den Verein, der erste Titel für mich. Das war alles sensationell“, erinnert sich der Rückraumspieler.
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In Berlin schätzten sie den Isländer vor allem deshalb, weil er dafür bekannt war, junge Spieler zu entwickeln. Genau die Philosophie, die Geschäftsführer Bob Hanning als Erfolgsrezept ausgemacht hatte.
Die blaue Magnettafel wurde zum Markenzeichen der Isländers
Ab 2014 übernahm Sigurdsson deshalb auch gleich noch die deutsche Nationalmannschaft – und feierte zwei Jahre später einen völlig überraschenden Europameisterschaftstitel. Trotz etlicher verletzter Leistungsträger. Im Sommer 2016 folgte in Rio Olympia-Bronze.
„Dagur hat das Denken im deutschen Handball nachhaltig geändert. Dagur hat der Mannschaft neues Selbstbewusstsein gegeben, er hat das System verändert und die Eisenbahn wieder auf die Gleise gesetzt“, erklärte Hanning einmal. Keine Ansprüche, keine Allüren, dafür die blaue Magnettafel als Markenzeichen -grenzenlose Leidenschaft für den Handball.
Die ist dem kroatischen Nationaltrainer auch in den Tagen dieser WM anzusehen. Er singt die Nationalhymne des WM-Finalisten mit, erlebt so manchen Gefühlsausbruch an der Seitenlinie und reguliert sich in den Auszeiten so weit wieder herunter, dass er seiner Mannschaft um seinen angeschlagenen Superstar Domagoj Duvnjak in ruhigem Englisch erklärt, was sie nun zu tun haben.
Vom DHB ging es nach Japan und schließlich nach Kroatien
„Dagur ist auf dem Feld, auf der Bank sehr emotional, er kann sehr laut werden, aus seiner Haut herausgehen. Privat es genau andersherum. Da ist er ein sehr ruhiger Typ, etwas zurückgezogener. Da hat er schon zwei verschiedene Gesichter“, weiß Wiede aus gemeinsamen Zeiten.
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Dagur Sigurdsson ist anspruchsvoll, akribisch und duldet keine Nachlässigkeiten, wie eine Anekdote von Füchse-Spielmacher Wiede zeigt. „Es war vor Olympia, da mussten wir in der Vorbereitung Lauftraining machen, Paul (Drux, Anm. d. Red.) und ich waren ein bisschen müde, haben im Gegensatz zu den anderen keine Extrarunden gedreht, und da hat er uns im Ziel ordentlich zur Sau gemacht. Da hat man gemerkt, dass man bei ihm immer bis ans Limit gehen muss. Das war für uns Gold wert in der Phase, als wir so jung waren.“
Es ist dieser Ehrgeiz im Umgang mit seinen Mannschaften, der ihn zu einem der bestbezahlten Trainer der Welt gemacht hat. Nach seiner Anstellung beim Deutschen Handballbund (DHB) zog es ihn 2017 nach Japan. Die Olympischen Spiele in Tokio standen vor der Tür, man wollte vor den Augen der ganzen Welt auch im Handball glänzen.
Kroatien hat den Anschluss an die Top-Nation verloren
Am Ende stand Platz elf von zwölf – erschwert durch die Corona-Pandemie und Reisebeschränkungen im Vorfeld. 2024 erreichte er mit der japanischen Auswahl das Finale der Asienmeisterschaften, hatte schon 2020 Bronze geholt.
Und jetzt soll eben Kroatien, der Weltmeister von 2003, an alte Erfolge anknüpfen. Platz neun bei der WM 2023, Platz elf bei der EM 2024. Ein Tiefpunkt, der die Verantwortlichen zum Handeln zwang. Sigurdsson löste Goran Perkovac ab, schaffte die Olympia-Qualifikation für die Sommerspiele in Paris und landete dort schließlich auf Rang neun.
Kroatien muss jetzt ohne die Fans in der heimischen Halle auskommen
„Wenn man ihn erlebt, merkt man einfach, wie sehr er den Handball liebt – egal, welche Mannschaft er trainiert“, erzählt Wiede. „Er weiß genau, mit den Spielern umzugehen, dieses letzte Prozent aus den Jungs herauszukitzeln. Das hat er damals bei uns gemacht, und das hat er auch jetzt wieder in Kroatien geschafft.“
Und so erntet er nun die ersten echten Früchte seiner Arbeit. Mit einer kroatischen Nationalmannschaft, die in Oslo zeigen muss, dass sie auch ohne das Land im Rücken bestehen kann. Sollte das funktionieren, bräuchte Sigurdsson wohl noch eine sprachliche Steigerung für seine Helden.