München/Gelsenkirchen. Die ungewöhnlichste Champions-League-Partie der Bayern findet auf Schalke statt. Gegen Donezk ist es für eine Münchener fast wie ein Heimspiel.

Vieles wird anders sein bei diesem Auswärtsspiel des FC Bayern. Die Münchener Profis Leroy Sané und Leon Goretzka hätten sich Anfang des Jahres wohl kaum träumen lassen, dass ihnen im Stadion ihres ehemaligen und in der 2. Bundesliga dümpelnden Vereins FC Schalke 04 in dieser Saison eine Partie in der Champions League bevorsteht. Gleiches gilt für Manuel Neuer, doch der Bayern-Torwart fällt nach einem Rippenbruch aus. Und auch wenn die Königsblauen an diesem Dienstag nicht der Gegner sein werden, sondern der FC Schachtar Donezk aus der Ukraine, dürfte es den Bayern fast wie ein Heimspiel vorkommen. Zu erwarten ist ja, dass es ein Großteil des Publikums in der nahezu ausverkauften Arena auf Schalke mit den Münchenern hält.

Champions League auf Schalke: Raoul Bellanova von Atalanta Bergamo (links) gegen Georgiy Sudakov von Schachtar Donezk.
Champions League auf Schalke: Raoul Bellanova von Atalanta Bergamo (links) gegen Georgiy Sudakov von Schachtar Donezk.

Für den FC Bayern geht es darum, die Chance auf die direkte Qualifikation fürs Achtelfinale zu wahren. Drei Siege sind wohl nötig aus den ausstehenden drei Spielen in der Ligaphase gegen Donezk, bei Feyenoord Rotterdam und gegen Bratislava, um mit dann 18 Punkten sehr wahrscheinlich auf einem der ersten acht Plätze zu stehen. „Wir wollen alle drei Spiele gewinnen“, sagte Präsident Herbert Hainer am Sonntag nach der Jahreshauptversammlung. Donezk dagegen braucht Erfolge, um zumindest die Play-offs zum Achtelfinale zu erreichen. Das sind die schnöden sportlichen Aspekte dieses Spiels, das für den FC Bayern nur ein Kuriosum darstellt. Für Schachtar aber ist es ein trauriger Dauer-Zustand, Heimspiele auswärts zu bestreiten.

Schachtar Donezk spielt für die ganze Ukraine

Bereits seit 2014 trägt der Verein aus dem Südosten der Ukraine seine sogenannten Heimspiele fernab seiner von Russland besetzten Heimat aus. Die eigene Donbass-Arena, in der bei der EM 2012 fünf Spiele stattfanden, wurde schon vor zehn Jahren durch zwei Bombenexplosionen schwer beschädigt. Nachdem Russland damals die Krim völkerrechtswidrig annektiert hatte, weitete sich der Konflikt auf die Donbass-Region aus. Seither trug Schachtar seine Heimspiele oft in Kiew, Lwiw oder Charkiw aus, aber auch anderswo. Mehr als zehn Standorte sind schon zusammengekommen, Flucht und Umzüge haben sich zur Routine entwickelt. Das gilt erst recht seit der Ausweitung des russischen Angriffskrieges im Februar 2022. Danach untersagte die Uefa internationale Spiele in der Ukraine.

Große Champions-League-Bühne in Gelsenkirchen für die Ukrainer von Schachtar Donezk.
Große Champions-League-Bühne in Gelsenkirchen für die Ukrainer von Schachtar Donezk.

Ligapartien müssen seither oft wegen Bombenalarms unterbrochen werden. Die Mannschaften suchen dann Schutz in Bunkern, die in unmittelbarer Nähe zu den Stadien vorgeschrieben sind. „Für uns ist es schon schön, wenn wir die 90 Minuten durchgehend spielen können, ohne zwischendrin in einen Schutzraum zu müssen. Das alles ist schwer, aber wir wollen nicht weinen“, sagte Schachtars kroatischer Sportdirektor Darijo Srna der Bild am Sonntag. Im Gespräch mit dieser Redaktion sagte er bereits vor einigen Wochen: „Wir werden uns nie an ein Leben außerhalb von Donezk gewöhnen. Das ist unsere Heimatstadt, anderswo sind wir einfach nicht zu Hause. Aber wir sind Fußballprofis. Unsere Mission ist es, die Schachtar-Fans und alle Ukrainer glücklich zu machen. Denn wir spielen aktuell nicht nur für Fußballfans, wir spielen für die gesamte Ukraine – das ist wichtig in diesen schwierigen Zeiten des Kriegs.“ Wie unmittelbar auch die privilegierten Fußballer vom Krieg betroffen sind, zeigte sich, als der Vater von Schachtars Ersatztorwart Denys Tvardovskyi kürzlich an der Front getötet wurde. „So etwas ist traumatisch und passiert in der Ukraine jeden Tag“, sagte Srna.

Auch Schalke freut sich über Einnahmen

International hatte Schachtar seine sogenannten Heimspiele zunächst in Polens Hauptstadt Warschau ausgetragen, in der vergangenen Saison der Champions League war der Verein in Hamburg zu Hause. In dieser Saison folgte der Umzug nach Gelsenkirchen, mehr als zweieinhalbtausend Kilometer entfernt von der Heimat. Auch jetzt gegen den FC Bayern hat der FC Schachtar als Heimmannschaft die deutlich weitere Anreise aus der Ukraine als die Münchener. „Wir kennen gar nicht mehr die Bedeutung des Wortes Heimat“, hatte Srna vor dem ersten sogenannten Heimspiel in Gelsenkirchen gegen Bergamo gesagt. Die Dankbarkeit, die Arena mieten zu können, ist davon unbenommen. Über die Einnahmen freuen sich auch die klammen Schalke sehr.

In Hamburg war der Zuspruch zu Schachtars drei Gruppenspielen der Champions League gegen den Porto, Barcelona und Antwerpen allerdings deutlich höher ausgefallen, als jeweils mehr als 45.000 Zuschauer kamen. In Gelsenkirchen waren es gegen Bergamo 21.636 und Bern 17.420, darunter auch einige Schalker Fans, die erstmals seit 2019 wieder Champions-League-Fußball in ihrer Arena erleben konnten. Schachtars drittes Spiel gegen die Bayern wird den Schnitt deutlich heben, was auch daran liegt, dass die ursprünglich aufgerufenen Preise nach einer Boykott-Drohung der Münchener Fans und der Intervention der Vereinsführung halbiert wurden. Auch deshalb dürften die Bayern-Anhänger nun in der Mehrzahl sein – auswärts bei ihrem gefühlten Heimspiel.