Dortmund. Serhou Guirassy beeindruckt schon bei Borussia Dortmund. Warum ist er ein Spätstarter? Ex-Mitspieler Simon Terodde blickt zurück.
Um die so unterschiedlichen Dimensionen zu greifen, in denen sich Serhou Guirassy in seiner Fußballer-Karriere bewegt hat, schaut man am besten auf ein biederes Bundesliga-Spiel im Oktober 2017. Der 1. FC Köln empfing im Müngersdorfer Stadion den SV Werder Bremen, trennte sich vom Gegner an jenem Sonntagnachmittag mit 0:0 und bekleidete mit zwei mageren Pünktchen weiterhin den letzten Tabellenplatz. Er sollte ihn im Verlauf der Saison noch zweimal verlassen, am Ende aber als Schlusslicht in die Zweite Liga absteigen.
Was aber wäre gewesen, wenn Serhou Guirassy den Ball in der 87. Spielminute einfach über die Torlinie gedrückt und ihn nicht in einer unnachahmlichen Slapstick-Einlage kurz vor dem Ziel verstolpert hätte? „Das wäre vielleicht ein Wendepunkt gewesen“, glaubt Simon Terodde im Gespräch mit dieser Redaktion. „Wenn du bei einem Traditionsverein aber einmal den Stempel abbekommen hast, wird es schwierig, ihn wegzubekommen.“ Serhou Guirassy, der Chancentod.
BVB: Simon Terodde erinnert sich an Mitspieler Serhou Guirassy
Heute würde man jemanden, der den 28-Jährigen so bezeichnet, völlig zurecht die Expertise absprechen. Sechs Tore hat er für Borussia Dortmund in den vergangenen fünf Partien geschossen, er steht nicht nur aufgrund seiner exzellenten Quote im Bundesliga-Auswärtsspiel an diesem Samstag bei Union Berlin (15.30 Uhr/Sky) im Fokus der Aufmerksamkeit, sondern auch, weil ihn sein Gesamtpaket zu einem der besten Stürmer in Europa macht. Und wer wie Simon Terodde schon während seiner Zeit in Köln, die 2016 begann und drei Jahre später ein jähes Ende fand, genauer hinschaute, sah schon damals Serhou Guirassys Qualitäten durchschimmern.
„Man hat gesehen, dass er Talent hat, eine Körperlichkeit und gute Ballbehandlung mitbringt“, erinnert sich Terodde, in der Saison 2017/18 und 2018/19 Mitspieler von Guirassy beim Effzeh. Nicht der „klassische Mittelstürmer, der in der Spitze bleibt“, sei Guirassy, so Terodde. „Er bringt viel mit: entgegenkommen, klatschen lassen.“ Das Gesamtpaket sei „super gut“, findet Terodde. Es habe damals eben nur ein Problem gegeben: Das System des damaligen Trainers Markus Anfang sah in der Zweiten Liga nur einen Stürmer vor, als Anfang auf Doppelspitze umstellte, überzeugten Terodde und Jhon Cordoba als Duo. Für Guirassy blieb bloß der ungeliebte Platz auf dem Flügel. Häufig plagten ihn auch Verletzungsprobleme.
BVB: Serhou Guirassy mit einer erstaunlichen Entwicklung
Über die beiden französischen Klubs SC Amiens und Stade Rennes landete Guirassy schließlich wieder in der Bundesliga, den VfB Stuttgart schoss er mit 28 Toren zur Vize-Meisterschaft. Im Sommer folgte der Wechsel zum BVB. „Jede Karriere hat ihre eigene Geschichte, bei manchen geht sie früher los, bei manchen später“, sagte Dortmunds Trainer Nuri Sahin am Freitag. „Wichtig ist, was man aus dieser Zeit macht.“
Bei Guirassy war das eine ganze Menge, erst mit Mitte 20 legte der gebürtige Franzose, der für Guineas Nationalmannschaft spielt, einen erstaunlichen Entwicklungsschritt hin. Der BVB zog daher die Ausstiegsklausel in Guirassys Stuttgarter Vertrag und legte etwa 13 Millionen Euro Handgeld obendrauf. Mit einem Gehalt von etwa 10 Millionen Euro gehört er zu den Top-Verdienern. In der Kabine ist er auch dank seinen Sprachkenntnissen (deutsch, englisch, französisch) zum Wortführer aufgestiegen. Trainer Sahin fand es etwa „sehr gut, wie er gemahnt hat, wenn seine Mitspieler nonchalant wurden“ bei der Gala gegen Celtic Glasgow (7:1) am Dienstag in der Champions League.
BVB: Wo führt die Reise von Serhou Guirassy hin?
Und in dieser Partie zeigte Guirassy all seine Qualitäten: eine Vorlage mit der Hacke in der Entstehung des 1:0, ein trocken verwandelter Foulelfmeter, und ein Tanz durch die gegnerische Abwehr zum 6:1. Weltmeister Christoph Kramer durfte sich in seiner vor dem Spiel abgegebenen Einschätzung, Guirassy sei „ein Superstar, der noch keinen Superstar-Namen hat“ und zu den besten fünf Stürmern in Europa zähle, bestätigt gefühlt haben.
So sehr, dass man gar fragen kann: Wo führt Guirassys Reise denn noch hin? Seit Erling Haaland hatte der BVB keinen Stürmer mehr auf diesem Niveau. Sebastien Haller hätte es ohne Krebserkrankung freilich werden können. Beim damals noch jungen Norweger Haaland wusste man, dass er bald weiterziehen würde. In Person von Guirassy hat der BVB einen Angreifer verpflichtet, der Gegenwart und Zukunft sein soll. Sein Vertrag ist bis 2028 datiert. Andererseits: Was heißt das schon im Fußball, wenn Guirassy so weiterspielt?
Zukunftsmusik, erstmal Liga-Alltag am Samstag in der Alten Försterei. Simon Terodde, Sky-Experte für die Zweite Liga, wird genau hinschauen, er hat ja auch mal für Union Berlin gespielt. „Das wird“, meint der ehemalige Schalker, „ein schweres Brett für Dortmund.“