Vaire-sur-Marne. In Tokio erlebte der Olympia-Favorit ein Fiasko, nun holt sich Oliver Zeidler in Paris Ruder-Gold. Achter schrammt an Medaille vorbei.
Woher nimmt dieser Kerl nur die Kraft? Als die Konkurrenten nach dem letzten Armzug ihr Boote austrudeln, die Köpfe auf die leergesaugten Oberschenkel fallen lassen, rudert Oliver Zeidler schon wieder in die entgegengesetzte Richtung des gerade beendeten olympischen Einer-Finals. Gut, das mit den aufgeladenen Akkus lässt sich damit erklären, dass der 28 Jahre alte Münchener eben noch mit unglaublichen drei Längen Vorsprung zum Olympiasieg, dem dritten deutschen bei den Sommerspielen in Paris, gefahren war und sich schneller erholen konnte. Aber Zeidler machte sich aus anderem Grund noch mal auf zu einer kleinen Siegerparade auf dem künstlichen See in Vaires-sur-Marne vor der mit 25.000 Fans besetzten Tribüne.
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Oliver Zeidler: Dritter Olympiasieger der Familie
„Ich habe da ein paar Gesichter erkannt“, sagt der 2,03-Meter-Modellathlet später an Land und lacht. Er meint die Familie, allen voran Trainervater Heino und Großvater Hans-Johann Färber, vor 52 Jahren selbst im sogenannten „Bullenvierer“ Olympia-Champion in München. Weil seine Tante Judith Zeidler 1988 im DDR-Achter bei den Spielen in Seoul siegte, ist der gebürtige Dachauer nun der dritte Olympiasieger seiner Familie.
Dem Opa hat er es nun nachgemacht und selbst die Medaille um den Hals baumeln. „Diese Medaille zu haben – jetzt hat man etwas zum Vorzeigen, das fühlt sich gut an. Ich widme die Medaille meinen Eltern, vor allem meinen Vater. Er hat mich von meinem ersten Ruderschlag begleitet. Ich bin ihm sehr, sehr dankbar.“ Dankbar unter anderem für drei WM-Titel und nun vor allem für den größten Tag seiner Karriere. „Das ist das, was ich mir über die letzten drei Jahre mit viel Schweiß und Tränen erarbeiten musste“, sagt Zeidler. „Jetzt hier die Goldmedaille in der Hand zu haben, fühlt sich wahnsinnig gut an.“ Heino Zeidler wischte sich zuvor am Streckenrand ein paar Tränen aus den Augen und hielt fest: „Das war heute die Vollendung. Ein perfekter Tag.“
Erster deutscher Einzel-Olympiasieger seit Thomas Lange 1992
Für den Goldgewinner, der in den vergangenen Jahren in seiner Sportart alles gewonnen hatte ausgenommen einer Olympiamedaille, fühlt sich der Triumph an wie die über Jahre ersehnte Befreiung. Nachdem ihm an Land seine Freundin Sofia um den Hals gefallen war, musste Zeidler bei der Siegerehrung noch einmal schwer kämpfen, um nicht hemmungslos zu weinen. Mit leicht zugekniffenen Augen und Gold um den Hals lauschte er der deutschen Hymne – und sang ein wenig mit. Es war für ihn die Erlösung: Zeidler, der 2016 die Spiele von Rio noch als Schwimmer verpasst hatte und danach aus dem Wasser auf das Wasser gewechselt war, verarbeitete damit sein Fiasko von vor drei Jahren: In Tokio war er im Halbfinale völlig eingebrochen und ausgeschieden. Das Tattoo mit den olympischen Ringen in seinem Nacken deutet an, wie groß die Sehnsucht nach einem Sieg in Paris 2024 war.
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Und was war das nun für ein Rennen, rund 30 Kilometer außerhalb von Paris im Stade Nautique? „Das perfekte“, sagt Oliver Zeidler, dankbar dafür, „dass mir das heute so gelungen ist, denn ein olympisches Finale gibt es nur alle vier Jahre.“ Der Start ist traditionell nicht seine Stärke, doch nach 200 Metern hatte der Blondschopf die Führung übernommen und bis zum Überqueren der unsichtbaren Ziellinie konsequent ausgebaut. „Es war souverän von Anfang bis Ende. Wie er mit dem Druck umgegangen ist, war unglaublich“, erklärte Heino Zeidler. Der große Goldfavorit ließ der Konkurrenz am Ende keine Chance und gewann vor dem aus Belarus stammenden neutralen Athleten Yauheni Zalaty und seinem niederländischen Dauerkonkurrenten Simon van Dorp. Oliver Zeidler sicherte sich damit als erster deutscher Einer-Fahrer seit Thomas Lange 1992 in Barcelona den Olympiasieg. Für den Deutschen Ruderverband (DRV) war es die zweite Medaille in Paris nach Bronze für den Doppelvierer der Frauen.
Deutschlandachter fehlen knapp fünf Sekunden auf einen Medaillenrang
Von Edelmetall war der Deutschlandachter im zweiten großen Ruder-Finale aus Deutschland-Sicht an diesem Samstag 4,52 Sekunden entfernt. Platz vier wurde es am Ende hinter Großbritannien, den Niederlanden und den USA – erstmals seit 16 Jahren verpasste das deutsche Paradeboot um den Hamburger Schlagmann Torben Johannesen damit eine Medaille. Davor gab es Gold 2012 in London und jeweils Silber in Rio und Tokio. Nach einem Umbruch infolge der Spiele von Tokio musste das junge Team um Steuermann Jonas Wiesen zuletzt immer wieder Rückschläge hinnehmen und gehört deswegen in Vaires-sur-Marne auch nicht zu den Medaillenfavoriten. Zwar erwischte die Crew einen guten Start, danach musste sie dem Anfangstempo aber Tribut zollen und die Konkurrenz ziehen lassen.