Herning. Die Diagnose für das lädierte linke Knie von Handball-Star Juri Knorr ist da. Kann er im zweiten WM-Spiel gegen die Schweiz auflaufen?

Das Kedelhuset in Silkeborg ist ein Haus der Kultur, verpackt in schickem Industrie-Design. Wo Konzerte und Theaterstücke aufgeführt werden, lädt der Deutsche Handballbund an den spielfreien Tagen der Weltmeisterschaft zu Gesprächen mit Trainern und Spielern ein. Der Saal ist mit schwarzen Tüchern verkleidet und düster. Das passte am Donnerstagmittag zur getrübten Stimmung, die aus der WM-Mission der Nationalmannschaft, als erheiterndes Erfolgsstück angelegt, nach nur einer Partie schon ein Drama hätte werden lassen können. Aber, berichtete Linksaußen Lukas Mertens am Donnerstagmittag nach dem Kaffee, „so wie ich ihn beim Frühstück erlebt habe, geht es ihm gut“.

Juri Knorr: Verletzung gegen Polen für Bundestrainer Gislason „ein Schreckensmoment“

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Die Sorge galt nach dem 35:28-Auftakt gegen Polen in der Jyske Bank Boxen von Herning Hauptdarsteller Juri Knorr, dem Spielmacher Nummer eins und Anführer der Mannschaft von Alfred Gislason. Der Bundestrainer hatte Knorrs unfreiwilliges und nicht vom Gegner provoziertes Zubodengehen in der 40. Minute später als „Schreckensmoment“ bezeichnet, da der 24-Jährige fortan nicht mehr zurück auf das Feld konnte, sondern dort behandelt wurde, wo man keinen Handballprofi sehen möchte: liegend hinter der Mannschaftsbank.

Zu Knorrs unmittelbarer Mimik in der Arena passte die Erstdiagnose, sich nur das linke Knie verstaucht zu haben, eher wenig. Weshalb sogleich große Sorge ausbrach und Notfallszenarien entworfen wurden, wer den Ballverteiler im Rückraum denn nun ersetzen könne im zweiten Vorrundenspiel an diesem Freitag (20.30 Uhr/ZDF) gegen die Schweiz. Teammanager Benjamin Chatton trug also am Tag darauf die Erlösung aus der Mannschaft in die Öffentlichkeit: Knochen, Bänder und Sehnen seien wohl nicht lädiert. Belastungstests würden aber noch zeigen, ob es Sinn ergäbe, Knorr gegen die vom langjährigen Bundesliga-Star und Mannschaftskollegen bei den Rhein-Neckar Löwen, Andy Schmid, trainierten Eidgenossen mit der Spielregie zu betrauen.

Handball-WM: Juri Knorr ist seit Olympia-Silber greift und befreit

Juri Knorr musste im WM-Auftaktspiel der deutschen Mannschaft ab der 40. Minute behandelt werden.
Juri Knorr musste im WM-Auftaktspiel der deutschen Mannschaft ab der 40. Minute behandelt werden. © Screenshot ARD

Alfred Gislason weiß, dass seine Auserwählten im Land des Titelverteidigers und Drittel-Co-Gastgebers auch zeitweise ohne Juri Knorr den Grundstein für ein erfolgreiches Turnier legen können. Ab dem Viertelfinale, wenn es zur K.o.-Runde ins norwegische Oslo geht, ist der Mann mit dem Zopf und den schnellen Beinen aber ein entscheidender Faktor, ob die wichtigen Spiele gewonnen oder verloren werden. Dieses Gefühl haben Juri Knorr und seine Kollegen zur allgegenwärtigen Freude beim olympischen Turnier in Paris kennengelernt, als es bis ins Finale gegen die dänische Übermacht ging. „Er spielt sehr gut“, sagte Gislason, der 65 Jahre alte Isländer erkennt seitdem eine Entwicklung bei seinem Spielmacher: „Er wirkt befreiter, lockerer.“

Knorrs handballerisches Potenzial, das ihn mit nur wenigen Anderen auf der Welt auf seiner Position vergleichbar macht, war weniger gemeint als der persönliche Reifeprozess. Seit er in der Nationalmannschaft aufläuft, wird jede Finte, jeder Wurf beäugt. Knorr gilt inzwischen als Anführer einer Generation hochveranlagter Rückraumspieler wie Renars Uscins, mit zehn Toren treffsicherster Deutscher gegen Polen, oder Julian Köster, die olympisch-silbern glänzt, aber auch mal goldenes Edelmetall einbringen soll. So wie beim letzten WM-Titel 2007. Mit äußeren und inneren Erwartungen hatte „Juri ziemlich viele Probleme“, so Gislason, „jede Aussage von ihm wurde auf die Goldwaage gelegt.“

Handball-Star Knorr drohte 2024 nach der Heim-EM an der Last zu zerbrechen

Das Halbfinal-Aus bei der Heim-EM 2024 gegen die Dänen legten viele dem Mann zur Last, wegen dem sich Kinder in Handballvereinen anmelden und sich die Haare lang wachsen lassen. Teils sachlich, teils nicht so sehr wie bei einigen Altinternationalen. Der empathische, introvertierte Juri Knorr drohte an der Selbstkritik zusammenzubrechen; seinen im Sommer von Mannheim nach Aalborg anstehenden Wechsel werten einige als Flucht vor dem gleißenden Licht der Bundesliga-Scheinwerfer. Dabei sind die Nordjütländer Dauergast in der Champions League.

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Mitspieler übertragen Knorr nur zu gerne die Verantwortung, wenn sie nicht weiter wissen. Auf der Platte, wie Handballer sagen, durchfurcht er ja gerne voller Ehrgeiz gegnerische Deckungen. Abseits des Platzes – das meint Alfred Gislason wohl als befreit bei seinem Führungsspieler beobachtet zu haben – lockert der DHB-Star inzwischen seinen Schutzpanzer. Höflich und leise war er stets, wenn er gedankenvoll und druckreif über sich sprach. Nun schaut er seinem Gegenüber dabei nicht mehr scheu in die Augen. Das Olympia-Silber, „das mir hilft, das Ganze nicht ernster zu nehmen, als ich es muss“, hat ihn dazu befähigt, den nächsten Schritt in seiner ja noch jungen Karriere zu gehen. „In der besten Mannschaft, mit der ich bisher im Nationalteam gespielt habe.“ Das hätte Juri Knorr vor einem Jahr vielleicht auch noch anders formuliert.