Doha.
Das Emirat Katar hat den Zuschlag für die Ausrichtung der Fußball-WM 2022 erhalten. Unser Reporter Ralf Birkhan und unser Fotograf Dirk Bauer haben das Land besucht und sich umgeschaut. Eine Reportage.
Die Fußball-WM 2022 in Katar ist so sinnvoll wie die Ansiedlung von Pelikanen am Steinhuder Meer. Glaubt man, parkt den Wagen vor der Sportakademie Aspire am Rande der Hauptstadt Doha und kriegt den Mund nicht mehr zu.
Ein Hotelturm ragt 300 Meter in den Himmel, auf 100 Metern Höhe hängt das Schwimmbad wie ein gigantischer Balkon in der Luft. Neben dem Turm liegt das Khalifa-Stadion, 55 000 Sitzplätze, vor drei Wochen hat dort Argentinien gegen Brasilien gespielt, daneben die Schwimmhalle mit Olympia-Becken, gegenüber der Dome, in dem sich im März 154 Nationen zur Leichtathletik-WM trafen. Das neue Fünfsterne-Hotel hinter dem Rasen der Trainingsplätze ist im Januar fertig, dann kommen die Fußballer des FC Bayern München zum Trainingslager.
Steine kann man leicht erkennen, Visionen sind schwerer auszumachen. Andreas Bleicher weiß das. Der Schwabe, der in Köln noch ein Haus hat, kam vor sieben Jahren mit seiner Familie nach Katar und leitet Aspire als Sportdirektor. Er sagt: „Natürlich kann Katar heute noch keine WM ausrichten. Aber 2022 kann Katar das.“ Frei nach dem arabischen Sprichwort: Ihr habt die Uhr, wir haben die Zeit.
Es gibt vier Vorurteile in Europa, die die WM-Macher in Katar widerlegen wollen.
Vorurteil Nummer eins: In der Sommerhitze von 50 Grad kann kein Mensch Fußball spielen. Selbst Bleicher muss zugeben: „Es wird heiß.“ Katar ist kein Land für blasse Typen, die bereits einen Sonnenbrand kriegen, wenn sie im Toaster nachschauen, ob das Brot schon fertig geröstet ist.
Auf 27 Grad gekühlt
Eindrücke aus Katar
Aber das Emirat setzt auf Physik. Die zwölf neuen WM-Stadien, die Katar für 3,5 Milliarden Dollar bauen lässt, sollen komplett vom Spielfeld bis zur letzten Sitzplatzreihe auf 27 Grad gekühlt werden. Kalte Luft ist schwerer als warme Luft, sie fließt von unten in die Arenen und bleibt im Kessel des Stadions, auf dem die Hitze wie ein Deckel liegt. Bleicher war beim ersten Test dabei: „Es funktioniert, ich habe im Sakko gefroren.“ Die Trainingsplätze aller Teams werden ebenfalls gekühlt. Energieverschwendung? Alles läuft über Solarenergie“, so Bleicher. „Katar ist der erste WM-Ausrichter mit einem Klima-Konzept. Bei der WM 1986 in Mexiko hat danach noch niemand gefragt.“
Vorurteil Nummer zwei: Die Fans kriegen in dem Emirat mit der Staatsreligion Islam kein Bier. Falsch! Staatsoberhaupt Hamad bin Khalifa Al-Thani hat versprochen: In allen Stadien, allen Fan-Zonen und allen Hotels wird Bier gezapft. Auch der Weltverband Fifa besteht darauf: Einer der Hauptsponsoren ist die US-Brauerei Budweiser.
Vorurteil Nummer drei: Die Stadien bleiben leer, es gibt keine Stimmung. „Blödsinn“, findet Bleicher. „Für die Fans aus fußballverrückten Nationen wie Ägypten oder dem Iran ist es ein Katzensprung nach Katar. Alle Karten könnten dreifach verkauft werden.“
Vorurteil Nummer vier: Der Fußball in Katar hat keine Qualität. Stimmt, die Katar Star League dümpelt bisher auf mäßigem Zweitliga-Niveau dahin. Aspire, finanziert von der Herrscherfamilie des Emirates, will das langfristig mit dem Projekt „Football Dreams“ (siehe weiteren Bericht auf dieser Seite) ändern. Doch bisher sieht es eher traurig aus. Die Suche nach dem Landesfußball fällt schwer. Der Fußball-Verband Katars residiert im siebten Stock eines Hochhauses, doch das Personal ist abgetaucht und antwortet nicht. Auf dem Weg von Doha zum Ahmed-bin-Ali-Stadion des achtmaligen Meisters Al-Rayyan braust man durch ungefähr zwanzig dreispurige Kreisverkehre, die schnell zum Teufelskreis werden. Die indischen Taxifahrer biegen grundsätzlich ohne Blinker ab, und die Araber müssen offenbar die Reifen ihrer Jeeps zum Quietschen bringen, sonst zählt die Runde nicht. Hat man die Kreisverkehre überlebt, hört das prächtige Doha irgendwann auf, Doha zu sein und wird zur Wüste.
Glühende Landschaften, und einsam mittendrin: Das Stadion. Die Eingangstore sind mit Eisenketten gesichert. Die Liga mit den zwölf Klubs macht gerade Pause. Früher haben Alt-Profis wie Stefan Effenberg oder Mario Basler in Doha noch schnell ihren letzten Million-Vertrag unterschrieben.
Also tiefer rein in die Wüste, 20 Kilometern weiter wartet die Kamel-Rennstrecke. Die Rennstrecke ist der Sand der Dinge, der Traditionssport des Landes. Sie dehnt sich über fünf Kilometer, und es riecht nach Pferderennbahn. Die Kamele trainieren. Die Jockeys sind schmal wie gefaltete Handtücher mit Kopf. Im Gegensatz zu den Nachbarländern hat Katar die Kinderjockeys verboten, jetzt müssen die jungen Männer aus den Rennställen vor den Donnerstag-Renntagen hungern, um so wenig Kilos wie möglich aufs Kamel zu bringen.
Dann geht die Sonne unter, der Fußball nicht. Das Fernsehen zeigt an diesem Abend alle Tore der italienischen Liga, es folgen die Treffer der englischen Premier League. Das Programm ist auf jeden Fall schon WM-reif.