Essen. Ex-Radprofi Jan Ullrich hat im Nachrichtenmagazin “Focus“ erstmals Blutdoping mit Hilfe des spanischen Skandalarztes Eufemiano Fuentes eingeräumt. Betrugsvorwürfe weist Ullrich weiter zurück: Er habe für Chancengleichheit sorgen wollen - für weitere Aufklärung will er dagegen nicht sorgen.

Jetzt also doch: Ex-Radprofi Jan Ullrich hat im Nachrichtenmagazin "Focus" erstmals Blutdoping beim spanischen Skandalarzt Eufemiano Fuentes zugegeben. "Ja, ich habe Fuentes-Behandlungen in Anspruch genommen", sagte der umstrittene Tour-de-France-Sieger von 1997 in einem Interview der aktuellen "Focus"-Ausgabe. Er habe aber keine anderen Dopingmittel verwendet als sein eigenes Blut, stellte der gebürtige Rostocker klar und behauptete, damit lediglich für Chancengleichheit gesorgt zu haben. Bisher hatte der 39-Jährige stets mit verklausulierten Aussagen seine Verwicklung in die schwarze Doping-Ära des Radsports zugegeben, aber keine umfassende Beichte abgelegt.

Mit einem Geständnis in Raten und einer Interview-Offensive drängte der Wahl-Schweizer zuletzt an die Öffentlichkeit und scheint damit eine zweite Chance für sich einzufordern. Betrugsvorwürfe wies Ullrich weiter zurück. "Fast jeder hat damals leistungssteigernde Substanzen genommen. Ich habe nichts genommen, was die anderen nicht auch genommen haben", sagte der Olympiasieger von Sydney 2000 dem "Focus". "Betrug fängt für mich dann an, wenn ich mir einen Vorteil verschaffe. Dem war nicht so. Ich wollte für Chancengleichheit sorgen."

"Ich bin nicht besser als Armstrong - aber auch nicht schlechter"

Erfolge im Radsport seien am Ende eine Frage von Talent, Teamgeist, Siegeswillen und der Leistungsfähigkeit: "Und geschadet habe ich mir selbst am meisten, was mein Ansehen in der Öffentlichkeit und mögliche gesundheitliche Folgen, die ich nicht habe - angeht."

Gesundheitliche Schäden hat er durch die verbotene Leistungsmanipulation also offenbar keine davongetragen. Ähnlich wie der überführte Dopingsünder Lance Armstrong muss er sich jetzt aber dem Imageschaden durch seine jahrelange Verschleierungstaktik und eventuellen Regressforderungen stellen. "Beide sind wir nicht davongekommen und schuldig. Ich bin nicht besser als Armstrong, aber auch nicht schlechter", sagte Ullrich, "Die großen Helden von früher sind heute Menschen mit Brüchen, mit denen sie klarkommen müssen." Bereits am Freitag hatte er seinen Unmut über eine vermeintliche Vorzugsbehandlung von Armstrong geäußert. "Ich ärgere mich am meisten, dass Armstrong von Verbänden beschützt wurde", so Ullrich in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Freitag). Ihm sei aber immer klar gewesen, dass Armstrong erwischt werde.

"Europarekord der Lüge"

Anti-Doping-Kämpfer Werner Franke bezeichnete die Aussagen Ullrichs als "neuen Europarekord der Lüge". Die Behauptung, Ullrich habe ausschließlich Eigenblutdoping betrieben, kommentierte der Heidelberger Molekularbiologe wie folgt: Ullrich habe "germanisches Blut, dazu gehört, geschichtliche Lügen fortzuführen, fortzuführen, weiter, weiter fortzuführen. Jetzt wird sehr zeitnah herauskommen, dass er auch mit verbotenen Substanzen gedopt hat", sagte er.

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Auch für Fritz Sörgel, Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) in Heroldsberg, ist Ullrichs Aussage nur ein Teilgeständnis. "Es erscheint unvorstellbar, dass er mit reinem Blutdoping ausgekommen ist. Wenn ein Sportler seinen Körper durch Blutdoping auf eine höhere Stufe bringt, wird fast immer mit Steroiden gearbeitet, um die stärkeren Belastungen aufzufangen", sagte Sörgel. Ullrich gestehe scheibchenweise: "Dass er bei Fuentes war, ist nur ein Teil der Geschichte."

Scharping: Geständnis kommt zu spät

Für Rudolf Scharping kommt das Doping-Geständnis Jahre zu spät. "Es ist viel zu spät, um reinen Tisch zu machen. Er hätte dem Radsport helfen können, wenn er frühzeitig und komplett reinen Tisch gemacht hätte", sagte der Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR).

2007 oder 2008 wäre ein geeigneter Zeitpunkt gewesen, sagte Scharping. "Damals hätte er auch sich selbst besser helfen können. Jetzt ist es nur noch die Wiederholung von längst Bekanntem zu einem viel zu späten Zeitpunkt, aber aus seinem Munde." Generell habe Jan Ullrich "mit der Gegenwart des Radsports nichts mehr zu tun".

Ullrich war im vergangenen Jahr vom Internationalen Sportgerichtshof CAS wegen seiner Verwicklung in den Skandal um Dopingarzt Fuentes zu einer zweijährigen Sperre verurteilt worden, die rückwirkend vom 22. August 2011 an ausgesprochen wurde. Außerdem wurden alle seine Resultate vom 1. Mai 2005 an gestrichen. So wurden ihm der dritte Platz bei der Tour 2005, der zweite Rang bei der Deutschland-Tour im gleichen Jahr und der Gesamtsieg bei der Tour de Suisse 2006 aberkannt.

Keine Unterstützung bei der Aufarbeitung

Seine tatkräftige Unterstützung bei der Aufarbeitung der schwarzen Ära im Radsport hat Ullrich erneut nicht angeboten. Er wolle die Vergangenheit ruhen lassen: "Das Thema ist für mich abgehakt. Ich will nur noch nach vorne schauen und nie wieder zurück." Auch in der "FAZ" hatte er es abgelehnt, Details des Bluthandels preiszugeben. "Ich glaube, ich habe für meinen Fehler gebüßt. Jeder macht Fehler. Jetzt ist es ein ganz anderes Leben. Ich habe meine Strafe längst verbüßt", sagte die gestürzte Rad-Ikone. "Ich habe mich entschieden, so viel zu sagen, wie ich kann. Alles andere war nicht möglich."

In Zukunft will Ullrich Fahrradtouren für Hobbyradfahrer anbieten. Gesundheitlich gehe es ihm nach überstandener Burn-out-Erkrankung im Jahr 2010 wieder gut. "Zum Glück ging alles glimpflich aus dank meiner Frau und meinen Kindern", sagte Ullrich der "Sport Bild" in der vorigenn Woche. "Wenn ich allein zu Hause gesessen hätte, weiß ich nicht, was passiert wäre. Meine Familie hat mich gerettet." (dpa)