Danzig. Mario Gomez ist bisher der erfolgreichste deutsche Torschütze bei der EM 2012 - sogar der Einzige, der für die deutsche Elf eingenetzt hat. Dennoch ist er in der Öffentlichkeit umstritten. Sein Ziel ist es, dieses Misstrauen zu zerstreuen und sich von seinem Image als Chancen-Tod zu lösen.
Als sich das Leben von Mario Gomez (26) verändert, sitzt er zur Mittagszeit auf einer Couch auf dem Vereinsgelände des FC Bayern München. Louis van Gaal setzt sich zu ihm und fängt an zu plaudern. Über dieses, über jenes. Belangloses Zeug. Bis ihm plötzlich der entscheidende Satz über die Lippen geht. „Es gibt für mich keinen Grund mehr, zu überlegen, ob Sie spielen oder nicht!“. Viel mehr als ein karges „Danke“ bringt Mario Gomez nicht mehr heraus, zu emotional ist dieser Moment. Ein Moment, der hilft, einen anderen Blick auf die Dinge seines Fußballer-Lebens zu entwickeln.
Schließlich ist Luis van Gaal damals nicht irgendwer, sondern Gomez’ Trainer beim FC Bayern München. Ein Trainer, der offenkundig zunächst einmal gar nichts von seinem Stürmer hält. 2009 begrüßt er ihn mit den Worten: „Wer sind Sie. Ich habe Sie nicht eingekauft.“ Nach einer durchwachsenen Saison verleiht van Gaal ihm zur neuen Spielzeit den Status als Stürmer Nummer 4. Der Mann, der mit mehr als 35 Millionen Euro Ablösesumme der teuerste Kicker der Liga ist, wird plötzlich als Bankdrücker etikettiert. Männer dieses Kalibers pflegen für gewöhnlich, noch am gleichen Tag ihre Koffer zu packen und zeternd die Stadt zu verlassen. Doch Gomez blieb, Gomez schuftete, Gomez spielte. Und Gomez traf.
Vor der Saison ausrangiert, nach der Saison Torschützenkönig der Fußball-Bundesliga. Zwischendrin van Gaals Eingeständnis. Ein persönlicher Triumph, der viel veränderte, der vielleicht erst ermöglichte, dass Mario Gomez gerade zum deutschen EM-Helden wird.
Nach der deutschen Meisterschaft kam das EM-Trauma
Schließlich kennt der Weg von Super-Mario, dem jungen Mann aus Schwaben, lange Zeit nur einen Weg: nach oben. In Riedlingen wird er als Sohn eines Spaniers und einer Deutschen geboren, in Unlingen, dem Wohnort seiner Eltern, lernt er das Fußballspielen, mit 15 geht er zum VfB Stuttgart. Die Schienbeinschoner von damals trägt er noch heute. Sie sind viel zu klein, aber sie bringen Glück. Nach den zwei Toren gegen die Niederlande wird er sie zufrieden abgestreift haben.
Damals schafft er aus der Jugend den Sprung in die erste Mannschaft, führt den Klub 2007 zusammen mit seinem heutigen Nationalmannschafts-Kollegen und Freund Sami Khedira zur deutschen Meisterschaft, wird selbst Fußballer des Jahres und Nationalspieler. Da ist Mario Gomez 22 Jahre alt und bei der EM 2008 so etwas wie die der große Hoffnungsträger. Das Turnier soll sein großer Durchbruch werden, aber es wird eine Art Trauma.
Der deutsche Tor-Tölpel
Er selbst hat das längst verarbeitet, sagt er. Diesen Querpass, der auf dem Rasen in Wien noch einmal auftickt, bevor ihn Mario Gomez vor den Augen der Weltöffentlichkeit auf absurde Art und Weise nicht ins Tor schießt und darüber selbst so perplex ist, dass er schockstarr vergisst, zumindest nachzusetzen, um den Ball im zweiten Versuch über die Linie zu drücken.
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Gomez hat diese Szene oft gesehen, oft erklärt und er glaubt, dass sie das Fundament bildet für die Probleme, die er noch heute bei vielen Fans und so manchem Experten hat. Als hätte jemand sein Wirken mit tief schwarzer Farbe grundiert: Gomez, der deutsche Tor-Tölpel. Es ist ein Bild, das nicht raus will, aus den Köpfen, so wie es lange nicht raus wollte aus seinem Kopf. Er wollte das unbedingt korrigieren, besonders in der Nationalelf. Er setzte sich unter Druck, wollte manchmal binnen weniger Minuten Einsatzzeit die Welt einreißen - und scheiterte umso kläglicher. Der feinfühlige Mario konnte das Misstrauen, das ihn umgab, mehr und mehr spüren. Bis er lernte, sich ein wenig Zeit zu geben, sich und seinen Fähigkeiten zu vertrauen. „Das hat mich zwei, drei Jahre in der Nationalmannschaft gekostet.“, sagt er heute.
Radikale Veränderungen
Der Zwang, es allen immer sofort zeigen zu müssen, ist verflogen. „Ich fühle mich völlig frei“, sagte er vor dieser EM. Seit der Sache mit van Gaal hat er zwei überragende Spielzeiten gespielt, nun genießt er auch das Vertrauen des Bundestrainers und seiner Mannschaftskameraden. Und seine zwei Treffer gegen Holland sind weitere Schritte hinein in die Herzen der Menschen.
Dort will er– wenn angekommen – gar nicht für immer bleiben. „Ich wäre eher froh, wenn mich die Leute nach meiner Fußballkarriere nicht mehr erkennen“, hat er mal gesagt. Mario Gomez braucht den Popstar-Rummel des modernen Fußballs eher nicht. Sein Großvater kam vor mehr als 40 Jahren nach Schwaben und ebnete den Weg für die Familie. Mittlerweile ist er zurück in seiner Heimat in Albunan, einem kleinen Örtchen in Südspanien. Ein Ort, an dem der kleine Mario früher immer die Ferien verbrachte und mit seinen Cousins Fußball spielte. Er liebt den Gedanken daran. Und dort lieben sie ihn. Seit 2008 gibt es in Albunan eine Mario-Gomez-Straße. Mario Gomez arbeitet daran, dass man ihn auch hierzulande wertschätzt. Das wäre eine radikale Veränderung seines Lebens.