Essen. 2015 gewann Prothesen-Sprinter Johannes Floors die Para-Juniorsportler-Wahl. Heute ist er Paralympics-Sieger - hat den Nachwuchs aber im Blick.
Johannes Floors wirkt entspannt, als er die Videokonferenz betritt. „Mir geht es gut“, sagt er. „Der ganze Druck wird so langsam abgebaut.“ Es ist noch keine zwei Monate her, da erfüllte sich der 26-jährige Prothesen-Sprinter in Tokio seinen Traum von Paralympischem Einzelgold. Über seine Paradestrecke, die 400 Meter, war der Weltrekordler von Bayer Leverkusen einmal mehr nicht zu schlagen. Johannes Floors ist Orthopädiemechaniker, er studiert Maschinenbau – und ist einer der Größten seines Sports. Für seine Erfolge wurde er vielfach geehrt. Eine seiner ersten Auszeichnungen: die Wahl zum Para-Juniorsportler des Jahres 2015. Am Samstag ehrt die Deutsche Sporthilfe in Düsseldorf die nächste Generation – Johannes Floors hat diese genau im Blick.
Herr Floors, erinnern Sie sich noch an Ihre eigene Auszeichnung zum Para-Juniorsportler des Jahres?
Johannes Floors: Ehrlich gesagt, ist das schon ganz schön lange her. (lacht) Aber ich weiß noch, dass es die erste große Veranstaltung für mich war – und ich war ganz schön überfordert von den ganzen Eindrücken.
Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Floors: Es ist sehr, sehr wichtig für den Para-Sport. Damit auch der Nachwuchs sieht, dass die Auszeichnung von Para-Athleten genauso eine Selbstverständlichkeit ist wie die von nicht-behinderten Sportlern. Ich denke, dass wir da auch gesellschaftlich auf einem guten Weg sind – auch wenn noch ein paar Schritte fehlen.
Nämlich?
Floors: Naja, es ist wie in vielen Prozessen: Die ersten 90 entwickeln sich gut und schnell, doch die letzten zehn Prozent dauern recht lange und kosten viel Energie.
Können Sie dazu ein Beispiel nennen?
Floors: Die Leichtathletik-EM 2018 in Berlin ist eines. Da fanden die Wettkämpfe für die nicht-behinderten Sportler im Olympiastadion statt. Die Para-EM, die anschließend stattfand, wurde in den kleineren Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark verlagert. Es wäre eine viel größere Motivation für alle Athleten – auch für den Nachwuchs – wenn sie Wertschätzung für ihre Leistungen auch dadurch erhalten, indem sie an den gleichen Wettkampfstätten antreten dürfen. Bei der WM 2017 in London war das der Fall – da wurden beide Wettkämpfe zusammen vermarktet, das war großartig. Ich zehre noch heute davon.
Was für Schlüsse ziehen Sie daraus?
Floors: Die Tatsache, dass ich heute noch von einem Event von 2017 schwärme zeigt einfach, dass es eine Ausnahme ist. Es ist noch ein langer Weg, bis eine Selbstverständlichkeit erreicht ist, die die Worte Inklusion oder Integration überflüssig macht. Aber das muss das Ziel sein.
Das sind die Gewinner 2021
Der sehbehinderte Schwimmer Taliso Engel (19 Jahre) ist zum Para-Juniorsportler des Jahres gewählt worden. Im Bereich Gehörlosensport schaffte es die Siebenkämpferin Hannah Peters (22 Jahre)Taliso Engel, gewann in diesem Jahr in seiner Paradedisziplin 100 Meter Brust im Mai als damals erst 18-Jähriger den EM-Titel. Im September folgte über die gleiche Strecke der Paralympics-Sieg mit Weltrekord, wofür er von den rund 4.000 Sporthilfe-geförderten Athletinnen und Athleten auch zum Sportler des Monats September gewählt wurde. Zum Zeitpunkt der Ehrung war bislang kein Para-Juniorsportler des Jahres erfolgreicher als der seit 2017 von der Sporthilfe geförderte Abiturient aus Nürnberg, der für Bayer Leverkusen antritt. Hannah Peters (22 Jahre), gab in diesem Jahr nach längerer Verletzungspause ihr Comeback im Siebenkampf und gewann bei der Gehörlosen-WM im polnischen Lublin die Bronzemedaille. Die Recklinghäuser Studentin lag nach fünf von sieben Disziplinen auf Rang fünf und schob sich mit Saisonbestleistungen im Speerwurf und im 800-Meter-Lauf noch aufs Treppchen.
Wie motivieren Sie junge Athletinnen und Athleten, trotz des anhaltenden Prozesses in den Spitzensport zu streben?
Floors: Es gibt da kein Grundrezept, das ist immer individuell. Aber ich bin froh über jeden Nachwuchs, den wir bekommen. Ich habe das ganz genau im Blick und unterstütze auch beispielsweise das Projekt „Talent Days“ meines Partners Ottobock, bei dem wir Kinder und Jugendliche zwischen drei und 18 Jahren an den Prothesensport heranführen. Da gibt es schonmal Freudentränen, das ist der Wahnsinn.
Welche Berührungspunkte haben Sie im Alltag mit Nachwuchssportlern?
Floors: Bei uns im Verein ist das sehr durchlässig, Profis und Talente begegnen sich ständig. Man unterhält sich über die Begeisterung für den Sport, spricht aber auch über Entbehrungen und was es bedeutet, sich für den Spitzensport zu entscheiden. Da bin ich ganz ehrlich zu den jungen Athleten. Ich merke aber auch wie wichtig es für sie ist, zu sehen, dass auch Topathleten wie ich sich genauso quälen müssen wie sie selbst.
Durch Ihre Erfolge sind Sie längst ein Vorbild geworden – hatten Sie selbst eines?
Floors: Man rutscht in diese Rolle tatsächlich ja einfach hinein. Mein großes Vorbild war damals Oscar Pistorius. Unabhängig von den Diskussionen, die später um ihn entstanden, hat er einfach eine unglaubliche Leistung gezeigt und war der erste, der für eine enorme Präsenz gesorgt hat. Danach hat sich einiges verändert – gerade was die Aufmerksamkeit angeht.
Was bedeutet Vorbild-sein für Sie?
Floors: Ich bin gerne Ansporn für andere, die sich an meiner Leistung orientieren und mich vielleicht einmal schlagen wollen. Das motiviert mich ja auch, der Beste bleiben zu wollen. (lacht) Aber ich bin auch gerne Vorbild für Menschen, die vielleicht gar nicht Athleten sind, die aber zu mir kommen und meinen Ehrgeiz oder den Umgang mit meiner Behinderung als Ansporn empfinden. Das ist genauso wichtig – eine gewisse Präsenz ist da natürlich förderlich.
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Mehr Nachwuchs bedeutet auch mehr Konkurrenz.
Floors: Das ist richtig, aber für einen Leistungssportler sind knappe Rennen doch das Größte. Natürlich will man in erster Linie gewinnen, aber Spannung entsteht doch durch knappe Entscheidungen. Das macht Sport ja so faszinierend.
In Tokio haben Sie sich den Traum vom Einzel-Gold erfüllt. Sie wirkten sehr emotional – war der Eindruck korrekt?
Floors: Ja, absolut. Das war so ein weiter, schwerer Weg. 2019 bin ich Weltrekord gelaufen, dann verhinderte die Pandemie, dass ich in der Form meines Lebens bei Paralympischen Spielen antreten kann. Nun doch gewonnen zu haben, hat mir unglaublich viel bedeutet.
Können Sie schon auf nächste Ziele blicken?
Floors: Ein grober Plan steht natürlich, ich werde auf jeden Fall weitermachen. Und klar, bis zu den Spielen in Paris sind es nur drei Jahre. Aber für alles weitere gebe ich mir noch etwas Zeit, da muss ich erstmal die vergangenen eineinhalb Jahre richtig realisieren und verarbeiten.