Évian-les-Bains/Lille.. Die deutsche Elf hat bei der EM noch kein Spektakel abgeliefert. Das Achtelfinale gegen die Slowakei bietet am Sonntag die Chance, durchzustarten.
Das hätte Applaus verdient gehabt. Mit derlei Ballakrobatik bessern sich andere ihre Kasse auf. Zum Beispiel in Paris auf dem Montmartre, wo Straßenkünstler ihre Tricks vorführen. Da stehen die Leute herum, rufen „Wow“ und lassen auch mal einen Euro springen. Aber bei Joachim Löw öffnet am Samstag keiner das Portemonnaie. Während sich sein Team für das Abschlusstraining vor dem EM-Achtelfinale heute (18 Uhr/ live bei uns im Ticker) aufwärmt, vertreibt sich der Bundestrainer beim Jonglieren die Zeit: Mit dem Außenrist hält Löw den Ball hoch. Ein Straßenkünstler-Kunststück, aber keiner applaudiert.
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Löw kennt das schon. Er weiß, dass es mindestens die ganz große Nummer sein muss, damit die Leute bei ihm noch zu so etwas wie einem „Wow“ animiert werden. Seit er ihnen die ganz tolle Show schon geboten hat, sind sie nicht mehr bereit, für Durchschnittsvorführungen in die Hände zu klatschen.
Die deutsche Nationalmannschaft hat bei dieser EM in Frankreich noch nicht brilliert. Sie hat die Vorrunde souverän gemeistert – ohne Gegentor sogar. Aber das zu loben wäre in etwa so, als bejubele man den Busfahrer nach einer unfallfreien Fahrt von der einen zur anderen Haltestelle. Es wurde schlicht von ihr erwartet – vor allem gegen Gegner aus dem unteren Preissegment wie die Ukraine und Nordirland. „Wenn man gegen solche Teams gewinnt, lässt man keinen Hurra-Schrei los“, sagt Manuel Neuer und meint Team und Publikum gleichermaßen. Der Ersatzkapitän hat festgestellt, dass in der Heimat noch nicht die allergrößte Begeisterung ausgebrochen ist und zeigt dafür Verständnis. „Ich hoffe aber, wenn wir die Slowakei schlagen und danach vielleicht auch einen großen Gegner, dass die Leute dann merken: Die Nationalmannschaft ist da, sie ist völlig auf der Höhe“, sagt der DFB-Torwart.
Löws Elf hat viel zu verlieren
Kunststücke jedenfalls, echte Wow-Momente, hat die DFB-Auswahl in Frankreich noch nicht vorgeführt, wenn man mal vom Torverhinderungstrick mit eingebautem Rückwärtssprung des Jerome Boateng gegen die Ukraine absieht. Und von zu Hause erhält das Team die Nachricht von bis zu zwei Drittel leeren Fanmeilen. Deutschland wartet auf das Wow bei diesem Turnier – und das Achtelfinale gegen die Slowakei bietet – so paradox das klingt – eine Chance dazu.
Man könnte leicht behaupten, dass die Partie gegen die Slowaken, die sich in der Fifa-Weltrangliste auf Platz 24 zwischen Costa Rica sowie Nordirland und noch hinter der Ukraine einreihen, wieder so ein Spiel ist wie in der Vorrunde. Eine Partie, bei der Löws Elf nichts zu gewinnen hat, sondern nur eine Menge zu verlieren, falls sie in die Hose geht. Aber man kann auch die Antithese aufstellen: Schlägt Deutschland die Slowakei mit einem brillanten Auftritt, kann es ein erstes, zaghaften Wow bei dieser EM für Löws Elf geben, das sich zu einem echten, ausgewachsenen Wow steigert, wenn im Viertelfinale Spanien oder Italien warten.
Schon einmal hat ein Achtelfinale in der jüngeren Vergangenheit eine Euphorie-Bugwelle hinter sich her gezogen: Bei der WM 2010 überrannte Löws Mannschaft England mit 4:1. Die Briten besaßen damals einen Namen mit mehr Bugwelle als die Slowaken heute.
Niederlage gegen Slowakei würde eine Krise bedeuten
Natürlich lauert der größtmögliche Wow-Moment in einer ganz anderen Ecke: Sollte die Nationalelf gegen die Slowakei ausscheiden, würde sich die Welt verblüfft die Augen reiben. Seine Kunst könnte Löw in Paris, dem Finalort, dann nicht mehr vorführen – und hätte zu Hause wohl eine ausgewachsene Krise zu überstehen.