Danzig. Erst wurde Mario Gomez in die fußballerische Hölle geschrieben, jetzt in den Himmel gehoben. So stabil die Leistungen der deutschen Mannschaft bei dieser EM bisher sind, so irritierend ist zuweilen die Berichterstattung. Vielleicht spricht man eines Tages vom Gomez-Syndrom.
Von den Favoriten dieser Europameisterschaft hat die deutsche Mannschaft bisher den stabilsten Eindruck gemacht, vor allem in puncto Effektivität. Dass sie gleichwohl – wie Titelverteidiger Spanien – in ihrer Gruppe noch nicht durch ist, spricht auch für das vergleichsweise ausgeglichen besetzte Turnier, in dem es im Gegensatz zum aufgeblasenen 32er-Feld bei einer Weltmeisterschaft mit aktuell einer Ausnahme (Sorry, ihr sympathischen Iren) keine Feldfüller gibt.
Mit der Qualität der Spiele (und – nebenbei – auch und gerade der oft gescholtenen Schiedsrichter) hält die Berichterstattung leider nicht immer Schritt. Am Freitag etwa verbreitete ein TV-Bezahlsender per Laufband folgende „Nachricht“: „Keine deutsche B-Elf gegen Dänemark.“ Man glaubt es nicht.
Die Medien sorgten für den bisher einzigen Aufreger im deutschen Team
Abgesehen davon, dass zwei, drei frische Kräfte die deutsche Mannschaft eher stärken könnten: Wer formuliert einen solchen Schwachsinn vor dem Hintergrund, dass ein schmutziges 0:1 gegen Holland-Bezwinger Dänemark bei einem gleichzeitigen portugiesischen Sieg über Holland das Aus für Deutschland bedeuten würde?
In diesem Zusammenhang noch zwei Anmerkungen zum bisher einzigen, bezeichnenderweise nicht von den Spielern verursachten, Aufreger im deutschen Team.
1. Mario Gomez wird jetzt mit der gleichen Maßlosigkeit, mit der er zuvor in die fußballerische Hölle geschrieben wurde, in den Himmel gehoben („der neue Liebling der Nation“). Als gäbe es kein Morgen. Vielleicht wird dieses Verhalten ja eines Tages bei der Beschreibung von Medien-Mechanismen als „Gomez-Syndrom“ bezeichnet.
Überzogene Aufregung über Scholl-Kritik an Nationalstürmer Mario Gomez
2. Dieselben Leute, die sich im Nachhinein, also nach den Toren von Gomez, über Mehmet Scholls verbale Grätsche gegen den Bayern-Torjäger entsetzt zeigten, sollten sich die Frage stellen, ob sie nicht zunächst klammheimlich darüber geschmunzelt haben; wohlgemerkt: zu einem Zeitpunkt, da – in der Halbzeitpause des Portugal-Spiels – noch kein Gomez-Tor gefallen war.
Kabarettisten wird nachgesagt, sie würden lieber einen Freund verlieren als eine Pointe zu verpassen, wahlweise: für eine guten Gag ihre Oma verkaufen. Das funktioniert nur, weil es dafür ein Publikum gibt. Ob der liebe Scholli damit kalkuliert hat oder ihm die „Sorge“ um einen womöglich wund gelegenen Gomez bloß rausgerutscht ist, weiß nur er selbst. So oder so ist es keine Staatsaffäre in einer Szene, in der alle blendend davon leben, Teil des Showbusiness zu sein.