Danzig. Im letzten EM-Vorrundenspiel gegen Dänemark muss Deutschland auf Rechtsverteidiger Jerome Boateng verzichten. Bundestrainer Joachim Löw lässt sich nicht in die Karten schauen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, den gesperrten Boateng zu ersetzen.

Möglich, dass der Mann, der von sich behauptet, er sei immer für eine Überraschung gut, sich beim nächsten Spiel selbst überraschen wird. Möglich aber auch, dass Joachim Löw ein neues Spiel für sich entdeckt hat, ein Spiel, bei dem er mit Finten arbeitet, für das als Ziel definiert ist: Wenn du alle Mitspieler verwirrt zurückgelassen hast, gebührt dir der Lorbeer. Man wird am Sonntag darauf achten müssen, ob der Bundestrainer zur letzten Vorrundenpartie der EM gegen Dänemark (20.45 Uhr, live im DerWesten-Ticker) bekränzt erscheint. Wenn ja, dann ist er der Sieger. Der vorläufige Sieger.

Wirklich abgerechnet wird natürlich wie immer nach dem Schlusspfiff. Aber weil es eben trotz der sechs Punkte, die von der Nationalmannschaft bereits eingesammelt wurden, noch immer nicht felsenfest steht, ob sie tatsächlich den Sprung ins Viertelfinale schaffen wird, kann man nicht wissen, wie ernst es Löw mit seiner Ankündigung ist: „Ich denke, dass wir gegen Dänemark auf jeden Fall etwas ändern werden. Auf jeden Fall!“

Philipp Lahm könnte auf die rechte Seite wechseln

Rückblende. Bei der von Bedeutung blattgoldgerahmten Begegnung mit den Niederländern hatte der Überraschungsei-Bundestrainer im Vergleich zum Personalstand aus der Partie gegen Portugal exakt nichts geändert. Und weil sich die erste Elf beim 2:1-Erfolg in feuchter Hitze klirrend kühl, beeindruckend effizient und über weite Strecken dominant präsentierte, müsste gegen den einzigen Ein-bisschen-Außenseiter in der sogenannten Todesgruppe auch lediglich für ein Pöstchen die Rotationsmaschine angeworfen werden. Jerome Boateng hat die zweite Gelbe Karte gesehen. Alternativen?

Löw hat drei vorgedacht: Philipp Lahm könnte auf die rechte Verteidigerseite wechseln und Marcel Schmelzer die linke übernehmen. Lars Bender könnte in die Boateng-Rolle schlüpfen. Und: „Eine Dreierkette mit anderer Anordnung offensiv wäre gegen Dänemark vielleicht auch gut.“ Vielleicht. Unter der Voraussetzung, dass der Bundestrainer nicht nur die Spielernatur, sondern auch den Angriff-ohne-Rücksicht-auf-Verluste-Hasardeur in sich entdeckt hat. Gegen die erst starke, dann durch zwei feine Treffer von Mario Gomez irritierte, dann müde und erst nach dem Anschlusstor von Robin van Persie wieder wachere Elftal von Bondscoach Bert van Marwijk funktionierte allerdings vor allem das Defensive nahezu tadellos. Selbst der linke Flügel Lukas Podolski schlug im Gleichklang. „Wahnsinnig gut nach hinten gearbeitet“ habe der Poldi, lobte Löw. Und Bastian Schweinsteiger fand kaum ein anerkennendes Wort dafür, dass der Neu-Arsenal-Akteur im gerade 27. Lebensjahr Sonntag bereits seinen 100. Länderspielauftritt absolvieren könnte („Das freut mich“). Doch Podolski als Bollwerk? „Das ist sehr wichtig für die Mannschaft.“

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Überhaupt: Schweinsteiger. Am Donnerstag wirkte der ebenfalls 27-Jährige geschlaucht von der Drei-Uhr-in-der-Früh-Heimkehr ins Hotel Dwor Oliwski in Danzig. Doch auf dem ukrainischen Rasen von Charkiw hatte er Gomez beide Treffer mit der Präzision eines Chirurgen beim Eingriff am offenen Oranje-Herzen aufgelegt. Anschließend bescheinigte ihm der Bundestrainer „eine unglaubliche Präsenz“ und fügte doch an: „Ich glaube, dass er noch  Steigerungspotenzial hat.“ Dass Löw seinem in der Saison so oft verletzten Strategen Spielpraxis verweigern könnte, das ist deshalb unwahrscheinlich.

Schalke-Kapitän Höwedes hat einen Anspruch auf den Stellvertreterpart

Werden andere aus dem Ensemble erster Wahl die Beine hochlegen dürfen? Schon die Boateng-Personalie hat der Bundestrainer offen verhandelt. Benedikt Höwedes, der Schalker, sollte einen Anspruch auf den Stellvertreterpart haben. Und obwohl die Ansicht herrscht, dass man „nicht über eine gute, sondern eine sehr, sehr gute Reservebank“ verfüge (Schweinsteiger), wurde doch erstens aus dem Spielerkreis den Holländern versprochen, dass man gegen die Dänen gewinnen werde. Und zweitens weiß Löw: „Wir brauchen noch Punkte.“ Und in dieser Situation zockt man doch nicht. Oder?