Essen. Griechen und Engländer verkriechen sich vor dem eigenen Sechzehner. Minimalistische Spanier lassen nach einer Führung den Ball nur noch kreisen. Und die Deutschen setzen auf Ergebnisfußball - mit Erfolg wohlgemerkt. Im taktischen Korsett ist kein Platz für Zauberfußball. Schade! Ein Kommentar.
Was hat uns die EM 2012 bisher gebracht? Eine deutsche Nationalmannschaft, die mit Disziplin und Ordnung unbeirrbar auf das Endspiel in Kiew zusteuert. Ein spanischer Titelverteidiger, der als Kollektiv ohne Stürmer den Ball kreisen lässt. Ein Cowboy namens Cristiano Ronaldo, der sein Portugal ins EM-Halbfinale schießt und köpft. Zwei Gastgeber Polen und Ukraine, die zeigten dass Begeisterung alleine nicht fürs Überstehen einer EM-Gruppenphase reicht. Und irische Fans, die sich in unser Herz gesungen haben.
Wo bleibt der Zauberfußball bei der EM 2012?
Doch etwas fehlt bisher: Ein Spiel voller Zauberfußball, der jedes Fan-Herz höher schlagen lasst. Ein Spiel mal ohne taktische Grenzen, wo zwei Teams ihr Heil in der Offensive suchen. Dazu geniale Tricks, schöne Spielzüge und spektakuläre Szenen im Strafraum. Bei dieser EM wird fast jeder Keim von Genialität, Kreativität und Spontanität in ein engmaschiges Taktik-Konzept gepresst. Nur was in die Ordnung passt, ist erlaubt.
Da haben Defensivkünstler wie Italien auf einmal 74 Prozent Ballbesitz gegen eine Fußball-Großmacht wie England, die sich wie Griechenland rund um den eigenen Strafraum verzieht. Die Spanier werden gegen die chancenlosen Franzosen zu Minimalisten, die sich auf das Ballhalten beschränken. Selten gab es ein so langweiliges Spiel im Viertelfinale wie Portugal gegen Tschechien. Da konnte man nur hoffen, dass es nicht auch noch in die Verlängerung geht.
Spaßfußballer wie Ribery und Ronaldo werden von Defensivkünstlern ausgebremst
Und was ist aus all den Spaßfußballern geworden, von denen man sich spektakuläre Dribblings und Tricks bei der EM versprochen hat? Die werden mit Doppel- und Dreifach-Attacken der gegnerischen Defensive fast völlig aus dem Spiel genommen. Trotz allen Engagements schaffte es Frankreichs bester Spieler Franck Ribery nur selten bis zur Grundlinie. Cristiano Ronaldo hatte gegen Deutschlands Jerome Boateng keine Chance - auch sonst hält sich die Zahl der effektiven Offensiv-Zweikämpfe eher in Grenzen. Zlatan Ibrahimovic und Mario Balotelli glänzten lediglich durch Kunstschüsse aus der Luft. Oder fantastische Fußballer wie Arjen Robben, Wesley Sneijder und Robin van Persie gehen im gescheiterten Kollektiv völlig unter.
Auch bei den Deutschen hat Bundestrainer Jogi Löw den kreativen Zauberfußball der letzten zwei Jahre dem erfolgreichen Ergebnisfußball geopfert. Da lobte Löw die herausragende Defensivarbeit eines Lukas Podolski in dem Wissen, dass der Linksfuß offensiv in den ersten zwei Spielen kaum etwas zu Stande brachte. Mesut Özil wird für sein enormes Laufpensum und seine zahlreichen Ballkontakte gefeiert - aber noch viel lieber wollen wir doch auch mal wieder sehen, wie der Real-Star mit hoher Geschwindigkeit zwei, drei Gegenspieler vernatzt.
Bundestrainer Löw hat mit Ergebnisfußball bei der EM 2012 Erfolg
Klar gibt der Erfolg dem deutschen Bundestrainer für seine vorsichtige Taktik recht. Warum sollten die Spanier mehr tun, als den Ball kreisen zu lassen, wenn die Gegner zu harmlos sind. Oder die Portugiesen so lange ihren Stiefel herunterspielen, bis ihr Superstar Ronaldo den einen genialen Moment hat.
Da blüht das Fußball-Herz schon auf, wenn die Deutschen Sami Khedira und Marco Reus den Ball ohne Kompromisse unter die Latte dreschen. Oder wenn sich der Spanier Pedro mit einer schnellen Körpertäuschung mehrere Meter Luft im gegnerischen Strafraum verschafft und von dem Franzosen Menez nur noch per Foul gebremst werden kann. Und wenn Italiens Defensiv-Stratege Pirlo mit einer sagenhaften Lässigkeit einen so wichtigen Elfmeter wie gegen England mit einem zarten Kick in die Mitte des Tores schaufelt.
Noch drei Spiele und die EM 2012 in Polen und der Ukraine ist Geschichte. Jetzt wird es endlich Zeit für mehr als Taktik, Disziplin und Ordnung - das Fan-Herz lechzt wenigstens nach ein paar Momenten Zauberfußball.