Essen. Die Handball-Saison ist beendet: Anders als bei den Männern gibt es bei den Frauen keinen Meister. Borussia Dortmund erhebt schwere Vorwürfe.

Wenn die Corona-Krise eines Tages beendet sein sollte, wenn die Menschen in Deutschland sich wieder frei bewegen können und der Ball unter Jubelschreien rollt oder fliegt, dann kann Bilanz gezogen werden. Dann stehen die Gewinner und Verlierer fest. Am Dienstag sind im Handballsport  die Entscheidungen gefallen: Die 36 Klubs der 1. und 2. Bundesliga haben sich mit großer Mehrheit für den Saisonabbruch entschieden. Nach fünf Jahren des Wartens wird der THW Kiel durch die Quotientenregelung wieder Deutscher Meister. Und im Ruhrgebiet wird demnächst wieder Spitzenhandball geboten: Der Traditionsverein Tusem Essen steigt in die Eliteklasse auf.

Einen Verlierer gibt es auch schon: Bei den Frauen hat Borussia Dortmund trotz Tabellenführung den Titel verpasst. Die Saison wurde ohne Meister abgebrochen, der Schmerz und die Unverständnis über die Entscheidung sitzen tief.

Jubel über Aufstieg: Tusem-Spieler freuen sich in der Telefonkonferenz

In Essen können derweil die Korken knallen, den Umständen entsprechend drinnen und alleine. „Wir hatten eben eine Telefonkonferenz mit allen Spielern, und es haben sich natürlich alle gefreut“, sagte Torwart Sebastian Bliß. Hinter Meister HSC 2000 Coburg kehrt der Klub von der Margarethenhöhe nach 2013 wieder ins Oberhaus zurück. „Die Jungs haben sich den Aufstieg absolut verdient“, sagt Tusem-Geschäftsführer Niels Ellwanger. „Sie haben in der ganzen Saison Willen, Kampf, Teamgeist und Können bewiesen.“

Seit dem 2. Spieltag war der frühere Europapokal-Sieger unter den Top vier der Liga, war schon zur Hinrunde auf dem zweiten Platz.  Bundesliga-Absteiger SG BBM Bietigheim und der VfL Gummersbach hätten dem Revierverein noch gefährlich werden können. Doch nun ist der Klub wieder da, wo er in den 80ern zuhause war, als er dreimal Deutscher Meister wurde. „Das fühlt sich jetzt gerade erstmal etwas kurios an, aber es ist natürlich auch ein schönes Zeichen der Anerkennung“, sagt Trainer Jaron Siewert.

Tusem-Trainer Siewert wechselt zu den Füchsen Berlin

Für den 26 Jahre alten Siewert geht mit dem Aufstieg das Kapitel in der Margarethenhöhe zu Ende. Der gebürtige Berliner wechselt zu den Füchsen Berlin. Die müssen nun um die Teilnahme am Europapokal bangen. Durch die Quotientenregelung rutscht der Hauptstadtklub von Rang fünf auf sechs. „Das müssen wir jetzt so akzeptieren“, sagte Füchse-Manager Bob Hanning. Der 52-Jährige hatte sich für Geisterspiele ausgesprochen. Sein Vorschlag fand  keinen Zuspruch, da TV-Gelder anders als im Fußball nur einen geringen Teil ausmachen. Durch den Abbruch rechnet die Liga mit einem Minus von 25 Millionen Euro.  HBL-Präsident Uwe Schwenker bezeichnete die Entscheidung als „sehr bitter, aber alternativlos“. Das Zeitfenster für Vereine und Spieler wäre zu klein geworden.

Dennoch bleiben Fragen offen: Wann kann wiedergespielt werden? Die Liga hofft auf einen Start in der ersten September-Woche, da bis zum 31. August alle Großveranstaltungen in Deutschland verboten sind. Andere sind beantwortet: Kiel feiert den 21. Meistertitel in der Geschichte. „Es ist eine große Bestätigung und Anerkennung für die grandiosen Leistungen der Mannschaft“, sagte Geschäftsführer Viktor Szilagyi. Die SG Flensburg-Handewitt wurde zum Vize-Meister erklärt und ist damit wie Kiel für die Champions League qualifiziert.  Der SC Magdeburg, die TSV Hannover-Burgdorf und die Rhein-Neckar Löwen spielen in der Euro League (ehemals EHF-Cup). Absteiger gibt es nicht, die Liga wird auf 20 Teams aufgestockt.

BVB-Abteilungsleiter Heiermann ärgert Abbruch:„Sportpolitischer Witz“

In der Frauen-Bundesliga ist noch eine andere Frage offen: die nach dem warum. Borussia Dortmund führte die Tabelle zum Zeitpunkt des Abbruchs nach dem 18. Spieltag mit einem Punkt Vorsprung an. Am Montag hat es eine Telefonkonferenz gegeben, in der der Vorstandsvorsitzende des Liga-Verbands HBF, Andreas Thiel, die Vereine darüber informierte dass es keinen Meister gebe. „Ich bin fast vom Stuhl gefallen“, sagt BVB-Abteilungsleiter Andreas Heiermann. Es habe keine Abstimmung gegeben, die Entscheidung sei schon am Freitag getroffen worden. „Das ist peinlich für den Sport und eine Diskriminierung. Andreas Thiel hat dem Sport und den Frauen großen Schaden zugefügt.“ Die Entscheidung sei „sportpolitisch ein Witz“.

Die Liga widerspricht. „Für die Entscheidung waren das Gremium um den Vorstand und die spielleitende Stelle zuständig. Natürlich wurden die Meinungen der Klubs berücksichtigt, aber klar ist auch, dass eine Entscheidung in dieser Situation nicht allen gerecht werden kann“, teilt die HBF auf Nachfrage mit. Maßgeblich sei gewesen, dass noch ein Drittel der Saison gespielt werden musste.  „Das direkte Duell zwischen Borussia Dortmund und der SG BBM Bietigheim stand in Bietigheim noch aus. So gesehen war das Rennen um die Meisterschaft noch offen.“ Ein kleiner Trost: Der BVB erhält das einzige Champions-League-Ticket.

Für Heiermann zu wenig. „Wir sind jetzt Meister der Herzen."