Essen. Lehrt nicht das Internet, dass man Fan sein darf und seine Idole trotzdem um ihren gerechten Lohn betrügen? Wie soll den Fans noch irgendetwas heilig sein – wenn man doch den frisch geschürften Elfmeterpunkt auch noch für ein Heidengeld bei Ebay versteigern kann, fragt sich Jens Dirksen. Eine Betrachtung.
Der Fußball, das muss man selbst Fortuna Düsseldorf zugutehalten, kann sich seine Fans nicht aussuchen. Regierungen geht es genauso. Die können ihr Volk auch nicht wählen, den großen Lümmel, wie es Heinrich Heine nannte, halb sympathisierend, halb angsterfüllt, aber voll und ganz ein Düsseldorfer.
Die Bundesliga-Relegationsspiele dieser Woche haben uns jedenfalls daran erinnert, dass der Begriff „Fan“ von „fanatisch“ abgeleitet ist - ein Wort, das nicht von ungefähr zu den Kernbegriffen der Nazi-Propaganda gehörte: Wer fanatisch ist, weiß genau, was richtig und was falsch ist. Die viel zu komplizierte Welt wird plötzlich ganz einfach, schwarz und weiß, man hat jeden Zweifel abgeschüttelt und ist bereit, sein Leben zu geben für …
Sein Leben geben? Da hätte man sich aber gottweißwohin verirrt! Es geht um Düsseldorf, nicht um Dschalalabad! Der Rheinländer ist ja mehr für leben und leben lassen. Und seliger als das Geben ist ihm das Nehmen, wie dem Fan, der zwecks frühzeitiger Andenkengewinnung schnell noch den Elfmeterpunkt ausgegraben hat, bevor das Spiel gegen Hertha BSC zu Ende war.
Borussia Dortmund verkauft im Fanshop Stücke vom „heiligen“ Stadionrasen
Der Rasen von Wembley galt früher mal als heilig, und schon das stellte die Religion vom Kopf auf die Füße. Jetzt aber ist der Rasen im Stadion ein Ding, das man rein- und rausschieben kann, weil ja auch die Fußballstadien längst Multifunktionsarenen sind: heute ein Rockkonzert, morgen eine Biathlon-Party, übermorgen eine Bundesligapartie. Da wird der Rasen schnell zum Schnee von gestern. Borussia Dortmund verkauft im Fanshop schon Stücke vom „heiligen“ Stadionrasen - in Acryl, als Briefbeschwerer, für 19,95 Euro das Stück. Aus einem ganz ähnlichen Anlass hat Luther seinerzeit den Protestantismus losgetreten.
Wer weiß, ob der wahre Zündfunke für die vielen Bengalo-Fackeln nicht das Unbehagen in der Fanshop-Kultur ist, in einer der erfolgreichsten Branchen der Unterhaltungsindustrie. Denn selbst das Stadion heißt ja längst nicht mehr Stadion, sondern sowas wie „Signal Iduna Park“. Das klingt zwar nach altjüngferlichem Zahnpastagarten, lässt aber die Vereinskasse klingeln. Wie soll den Fans da noch irgendetwas heilig sein – wenn man doch den frisch geschürften Elfmeterpunkt auch noch für ein Heidengeld bei Ebay versteigern kann!
Lehrt nicht überhaupt das Internet, dass man Fan sein darf und seine Idole trotzdem um ihren gerechten Lohn betrügen? Erweckt nicht jeder kostenlose Download von raubkopierten Filmen, Musikstücken, Büchern das Gefühl, man müsse etwas Illegales nur massenweise betreiben, und schon findet sich jemand, der das alles für legal erklären will, eben weil es massenweise passiert? Mit dem Argument, dass das, was von allen verehrt wird, angeblich allen gehört?
Die Grenzen sind aufgehoben
Wie im Internet wird der Mensch auch in der Masse von seiner grundsätzlichen Berührungsfurcht erlöst, beides macht ihn zutraulich, ja zudringlich. Er traut sich. Alles Mögliche. Die Grenzen sind aufgehoben. Das Rädchen als Teil der Maschine fühlt sich wie die ganze Maschine. Im Stadion macht die hoch ausdifferenzierte Fankultur daraus heute faszinierende Dinge wie eine gelbe Wand oder Gesangs-Choreografien, ohne die da unten bloß 22 Männer hinterm Ball herrennen würden, während drei andere für die Einhaltung der Regeln sorgen.
Wenn sich aber die Generation Shitstorm im Stadion austobt, ist das zugleich ein Hochamt der Unvernunft, ein Ausgleich für den Alltag aus maximaler Effizienz und gnadenloser Rationalität. Fortuna-Fan zu sein, war jahre-, ja anderthalb Jahrzehnte lang so unvernünftig wie nur irgendwas. In dem Moment, in dem ihre Anhängerschaft durch den Bundesliga-Aufstieg verständlich zu werden drohte, mussten die Fans einfach durchdrehen. Es war auch die Sehnsucht nach Karneval im Mai, die sie auf den Rasen rennen ließ, zum Mittelpunkt des Geschehens. Da unten aber wollten sie nicht nur ihren Verein feiern, sondern vor allem sich selbst. Ego-Shooter mit Fan-Schal.