Planica. Der neue Skiflug-Weltmeister heißt nicht Markus Eisenbichler, sondern Karl Geiger. Wie dieser Erfolg des Deutschen mögliche wurde.
Die größten Erfolge sind die, mit denen man gar nicht rechnet. So wie Karl Geiger, der am Mittwoch nach Slowenien gereist ist, um in Planica an seiner ersten Skiflug-Weltmeisterschaft teilzunehmen. Am Sonntag ist der 27 Jahre alte Skispringer wie geplant zurück nach Oberstdorf gefahren. Zusätzlich im Gepäck mit einer Goldmedaille, denn dazwischen war er überraschend Skiflug-Weltmeister geworden. "Dass ich gewinnen kann - das ist der Wahnsinn", sagte er ganz ergriffen nach der Siegerehrung. "Es ist ja auch etwas Neues für mich, dass ich ganz oben stehen darf bei einem Großevent."
Im Vorfeld hatten alle auf Markus Eisenbichler gesetzt. Auch Geiger, "weil Eisei im Skifliegen eine Bank ist". Und weil der Siegsdorfer in den vorangegangenen Springen durch eine unglaubliche Form geglänzt hat. Doch Geiger hat seinem Kollegen überflügelt. Die beiden Deutsche, die unter normalen Bedingungen immer ein Zimmer teilen, standen nebeneinander auf dem Podium, denn Eisenbichler gewann Bronze. "Natürlich wär auch ich gerne Skiflug-Weltmeister geworden", sagte der 29-Jährige, "aber Karl gönne ich das von Herzen."
Geiger war von Anfang an das Maß der Dinge dieser WM
Es ist der Weg, der Geigers ersten Titel in einer Einzelkonkurrenz so besonders macht. Die Weltcupspringen in Nischni Tagil hatte er ausgelassen. Statt an den Ural zu reisen, fuhr er zurück ins Allgäu. Denn dort wartete seine hochschwangere Frau Franziska. Bei der Geburt ihres ersten Kindes wollte er dabei sein. Allerdings schert sich die Tochter nicht um errechnete Geburtstermine, sondern lässt sich Zeit. "Es war schön und wichtig, dass ich bei meiner Frau war", sagte er am Dienstag. Länger wollte der werdende Vater allerdings nicht warten. Und fuhr nach Planica. "Karl ist völlig entspannt hier angekommen", verriet Bundestrainer Stefan Horngacher.
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Vom ersten Sprung an war der 1,85 Meter große Springer das Maß auf der großen Letalnica-Schanze. Trotzdem wurde es am Ende noch einmal eng, ganz eng. Denn Halvor Egner Granerud steigerte sich von Durchgang zu Durchgang. Bis auf 243 Meter in seinem vierten Sprung. Nun war Karl Geiger gefordert. "Ich habe nicht mitbekommen, wie weit der Granerud gesprungen ist", erzählt Geiger, der nach dem Norweger springen musste. "Ich habe nur ein Schreien gehört, und dass es laut geworden ist." Dies war das Signal für ihn alles zu riskieren. Er segelte über die grüne Linie, die Zuschauern und Springern signalisiert, wie weit sie für die Führung springen müssen. 231.5 Meter waren's genau. Doch würde das reichen? "Ich habe zwar gesehen, dass ich die grüne Linie überflogen habe", sagte Geiger hinterher, "aber mit der Windkalkulation kann man nie wissen, dazu kommen noch die Haltungsnoten. Ich habe gebibbert bis zum Schluss." Als dann die "1" aufleuchtete, sank er erst einmal auf die Knie.
Geiger ließ seinem Jubel an den Mikrofonen freien Lauf
Im selben Moment ging wenige Meter daneben Halvor Egner Granerud auch in die Knie. Aus Enttäuschung zog sich der 24-jährige Weltcup-Führende die Mütze über sein Gesicht. 0,5 Punkte hatte er weniger als sein Konkurrent. das sind etwa 40 Zentimeter. Eine Winzigkeit bei mehr als 930 Meter, die sie bei ihren vier Flügen zurückgelegt haben.
„Megacool! Wahnsinn! Das ist unbeschreiblich. Ein Sprung nach dem anderen wie an der Schnur gezogen. Ich bin baff“, jubelte danach Geiger in die Mikrofone. Im Hotel angekommen, postete er auf Facebook: "Unglaublicher Tag! Kleinschanzen-Karle wird Skiflug-Weltmeister!"
Karl aus der Kiste holt den Weltmeistertitel
Es war ein langer Weg für Karl Geiger bis zu seinem ersten Titel in einem Einzelwettbewerb. Zwei WM-Titel hat er 2019 gewonnen - im Team- und Mixed-Wettbewerb. Er gehört auch zur Mannschaft, die 2018 olympisches Silber holte. Über seine Laufbahn sagte er einmal:"Ich habe nie den riesen Schritt gemacht, sondern mich langsam nach vorn geschlichen." Immer wieder hat er sich hinter anderen verstecken können - Gesamt-Weltcupsieger Severin Freund oder Andreas Wellinger. Als sein Schlüsselerlebnis bezeichnet er die Olympischen Spiele 2018, als er in drei Wettbewerben starten durfte.
Danach ging's aufwärts. Im Dezember desselben Jahres gewann er sein erstes von mittlerweile sechs Weltcupspringen. Im Januar eroberte er zum ersten Mal die Spitze in der Weltcup-Wertung. Und genoss das neue Kleidungsstück: "Das Gelbe Trikot ist zwar aus dem identisches Material wie das übliche Trikot, aber ich fühle mich sehr wohl darin." Wie bodenständig der neue Vorspringer im deutschen Team geblieben ist, hat er nach der Siegerehrung am Samstag bewiesen: "Den Titel hätte mir niemand zugetraut." Stimmt nicht ganz, Bundestrainer Horngacher hatte schon im Vorfeld auf Geiger aufmerksam gemacht. Trotzdem schwang ein wenig Überraschung mit, als der Coach nach dessen Husarenstück sagte: "Dann kommt Karl aus der Kiste, holt den Weltmeister-Titel."