Essen. Der einstige Weltklasse-Skispringer Severin Freund kehrt nach etlichen Verletzungen, Pausen und Rückschlägen gesund in den Weltcup zurück.
Wenn Severin Freund von sich selbst erzählt, spricht er häufig von zwei unterschiedlichen Personen. Oder besser gesagt: von zwei Typen von Sportlern, denn sein lockeres Gemüt, das verrät jedes verschmitzte Lächeln, hat der Niederbayer ja nicht verändert. Aber der Skispringer Severin Freund von heute ist nicht mehr der Skispringer Severin Freund von 2015. Der Severin von damals war der Vorspringer des Deutschen Ski-Verbandes, Mannschafts-Olympiasieger, dreimaliger Weltmeister, Gesamtweltcupsieger. Wer der Severin von heute ist, muss sich erst noch so richtig zeigen. Denn nach Verletzungen, Pausen und Rückschlägen steht Freund auf dem Sprung – zurück in die erweitere Weltspitze oder in eine Zeit ohne Skispringen.
Wohin der Flug geht, wird sich in der neuen Weltcupsaison zeigen, die am Samstag im polnischen Wisla beginnt. „Ich hatte eine wahnsinnig schöne Zeit, in der ich Top-Niveau hatte“, sagt Freund. „Aber jetzt ist eine neue Situation, jetzt muss ich mich weiterentwickeln.“ 32 ist für Skispringer für gewöhnlich kein Alter, in dem sie über das Ende ihrer Karriere grübeln. Was nicht daran liegt, dass der japanische Flug-Saurier Noriaki Kasai der Maßstab wäre, wenngleich Anhänger dieser Sportart in diesem Winter erstmals seit der Saison 1988/89 auf die 48 Jahre alte Flug-Ikone verzichten müssen. Aber Freund hat eine Leidenszeit hinter sich gebracht, die selbst für Athleten in seinem Alter nicht gewöhnlich ist.
Probleme am Knie und Rücken
Zwei Kreuzbandrisse, verpasste Olympische Spiele 2018 in Pyeongchang, missglücktes Comeback 2019 bei der Vierschanzentournee, dann wieder Probleme am Knie und mit dem Rücken. Während die Teamkollegen Andreas Wellinger in Südkorea Olympiasieger und Markus Eisenbichler im Februar 2019 dreimaliger Weltmeister in Seefeld/Österreich wurden, schaute Freund nur zu. Gut, zum Ende der vergangenen Saison absolvierte er ein paar Weltcup-Wettkämpfe, aber knapp vier Jahre nach seinem letzten von 22 Weltcupsiegen am 26. November 2016 im finnischen Kuusamo will er nun wissen, ob ihn die Luft noch immer so richtig weit die Schanze hinunter tragen kann. „Der Abstand nach vorne?“, fragt Freund. „Mei, da ist noch mordsviel Luft. Aber ich vertraue darauf, dass das alles noch kommt.“
Der Glaube an sich selbst ist stets präsent bei dem 1,85 Meter großen und 67 Kilogramm leichten Athleten. Trotz des großen Talents musste sich Freund den Erfolg hart erarbeiten. Zwar war er von 2011 bis 2016 ein konstanter Top-Ten-Springer, aber den Durchbruch erlebte er erst 2014 bei den Winterspielen von Sotschi und ein Jahr darauf bei der WM in Falun/Schweden. Das Vertrauen von Bundestrainer Stefan Horngacher hat er auf jeden Fall: „Severin kommt langsam wieder in Schuss.“ Dass es nicht leicht werden wird, wieder zum Kreise der Besten zu gehören, weiß Severin Freund aber auch selbst: „Dafür ist körperlich in der Zwischenzeit zu viel passiert. Aber auf der anderen Seite gewinnt man in der Zeit auch an Erfahrung, die einen stärker macht.“
Wann kommt der Tag X?
Der Kopf ist für den Anlauf, den Absprung, die Flugphase und die Landung eine ebenso wichtige Voraussetzung wie starke Muskeln und eine sichere Technik. Er wird auch bei der Frage entscheidend sein, wie Freund mit der möglichen Erkenntnis umgehen wird, sollte sich die Sehnsucht nach der Weltspitze nicht erfüllen. Mit dem Punkt, an dem für ihn das Skispringen keinen Sinn mehr macht, hat sich der Niederbayer jedenfalls schon beschäftigt. „Wenn die Leistung nicht mehr stimmen würde, wenn es körperlich nicht mehr ginge, oder wenn ich merke, dass das Feuer aus ist“, sagt Freund, „dann kann es theoretisch auch schnell gehen.“ Mit seinen Augen verrät er dabei jedoch: Er selbst wird dem Severin von heute noch einige Chancen geben.