Kiew.. Bei der Fußball-Europameisterschaft wird mit Fernsehbildern geschummelt: keine Pyros, kein Protest, dafür ein Jogi Löw und ein Balljunge, der nachträglich in eine Live-Übertragung hineingefummelt wurden. Auch das ZDF fühlt sich überrumpelt – und kritisiert die allmächtige Uefa.

Die Täuschung der Massen erregt die Gemüter. Es hat ja auch wirklich nett ausgesehen, wie ein tiefenentspannt Kaugummi kauender Bundestrainer Joachim Löw angeblich mitten während des Niederlande-Spiels einem Balljungen hinterrücks das Spielgerät aus der Armbeuge boxte. Doch die 18-Sekunden-Sequenz, die sich auch in sozialen Netzwerken und Internetportalen wie ein Lauffeuer verbreitet hat, weitet sich nun zu einem kleinen Skandal aus. Weil die bisherige EM-Rekordquote von 27,22 Millionen deutschen TV-Zuschauern in der 22. Spielminute einer Massentäuschung erlag. Und die übertragende Anstalt, das ZDF, fühlte sich gleich mit manipuliert.

Beruhte die Einblendung doch auf falschen Tatsachen, wie auch die UEFA kleinlaut bestätigte. Tatsächlich hatte sich die Anekdote eine Viertelstunde vor Anpfiff ereignet und war in die Live-Übertragung montiert worden – darauf verwies Löw bereits im Interview mit ZDF-Reporter Michael Steinbrecher. Der aber korrigierte Löw: „Nee, nee, da stand’s 0:0.“ Dass nicht einmal das Zweite über die wahren Abläufe im Bilde ist, führt hinter den Kulissen zu mächtiger Verstimmung. „Wir sind darüber nicht informiert worden, welche Szene eingeblendet wurde“, klagt ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz, „wir konnten auch nicht erkennen, ob das live war oder nicht.“

Devise: keine Flitzer, kein Pyro, kein Protest

Generell habe man „keinen Einfluss auf das vom Host Broadcaster angebotene Bild“ - so nennt sich der übergeordnete Bilderproduzent unter dem UEFA-Dach. ARD und ZDF bezahlen für die Übertragungsrechte der 31 EM-Spiele dem Vernehmen nach rund 110 Millionen Euro– und bekommen dafür ein Fertigprodukt serviert. Die UEFA bestimmt allein das Weltbild, das zwischen Finnland und Feuerland ausgestrahlt wird. Bis zu 35 Kameras sind in den Stadien installiert und ihre Aufnahmen werden von einer vielköpfigen Regie im International Broadcast Centre (IBC) in Warschau montiert. Die Devise: ein in jeder Hinsicht störungsfreies Erscheinungsbild. Ohne Flitzer, die aufs Feld sprinten. Ohne Fans, die mit Pyrotechnik hantieren. Und ohne Politiker, die Protestplakate in die Luft recken.

Der Fan, der bei Irland gegen Kroatien den Rasen stürmte, wurde ebenso aus Posen nicht gezeigt wie die bengalischen Feuer, die kroatische Anhänger dort entfachten. Leere Ränge werden möglichst ausgeblendet; und politische Botschaften gar nicht eingefangen. Keine Kamera hat in Kiew auf jene Einheimischen geschwenkt, die sich die verteilten „Free Yulia“-Shirts kurz übergestreift hatten. Auch nicht gezeigt wurden natürlich die deutschen Politiker Rebecca Harms und Werner Schulz (Grünen), die in Charkow während der Nationalhymnen ein Transparent entrollten mit der Forderung, alle politisch Gefangenen frei zu lassen.

Das ZDF hat eigene Kameras, kann aber nicht einfach umschalten

Gruschwitz kennt das Problem – kann es aber nicht lösen: „Wir sind nicht das Korrektiv des Weltbildes.“ Zwar stellen ARD und ZDF speziell bei deutschen Spielen bis zu zehn Zusatzkameras auf, man könne es indes nicht koordinieren, hin und her zu schalten. Diese Kameras seien in erster Linie für Interviews und Moderationen vorgesehen, erklärt Gruschwitz, „wir könnten allerdings, wenn unsere Kameras etwas journalistisch Verwertbares einfangen, das später senden. Es gibt da keine Zensur.“ Immerhin. Trotzdem besteht wegen der Löw-Episode nun Redebedarf mit der UEFA-Obrigkeit.

Dort erklingen zur Rechtfertigung stets die gleichen Argumente. Die UEFA verweist auf Verträge, die mit Nationalverbänden und Fernsehanstalten geschlossen sind. Spieler, Trainer und Verbände seien verpflichtet, zu kooperieren. Und das produzierte Filmmaterial soll „der Promotion des Wettbewerbs“ dienen. So steht es im Reglement. Der als ARD-Programmchef im IBC tätige Klaus Heinen bestätigt, dass es die Philosophie der UEFA sei, „ein neutrales Bild, das sich nur um den Sport kümmert, zu zeigen.“

ARD und ZDF stören sich an der Regulierungswut

Gleichwohl ist hinter vorgehaltener Hand zu hören, dass sich ARD und ZDF längst an dieser Art der Regulierungswut stören. Genau wie der noch schlechter beleumundete Weltverband FIFA geht mittlerweile auch die UEFA vor. Devise: Wir machen uns die Fußball-Welt, wie sie uns gefällt. Mit schönen Toren und tollen Stars, mit kreischenden Fans und jubelnden Menschen, mit potenten Sponsoren und wichtigen VIP-Kunden. Und alles was zu dieser Party nicht passt, wird – wenn nicht vorher schon aus den Stadien ausgeschlossen – aus dem Bild geschnitten oder nicht übermittelt. Wer damit so viel zu tun hat, der sendet nette Begebenheiten auch mal zur falschen Zeit.