Évian-les-Bains. Vor vier Jahren erlebte Joachim Löw die bitterste seiner 22 Niederlagen beim DFB. Heute sagt er: Es wird uns eine Lehre für das EM-Viertelfinale gegen Italien sein.
Am Tag seiner größten Niederlage lässt sich Joachim Löw einen Espresso servieren und lächelt. Exakt vier Jahre her ist das 1:2 gegen Italien im EM-Halbfinale 2012, als der Bundestrainer am Dienstag in Évian-les-Bains zur Presse spricht. Es war klar, dass dieses Trauma wieder aufgewärmt werden würde. Es wartet erneut Italien in einem K.o.-Spiel bei der EM – diesmal im Viertelfinale am Samstag in Bordeaux (21 Uhr/live in unserem Ticker). Und Löw ist darauf vorbereitet.
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Deshalb war der Espresso vielleicht gar nicht so zufällig in die Kameras serviert worden: „Wir haben kein Italien-Trauma. Das ist kalter Kaffee“, sagt Löw. „Frischer Espresso ist uns lieber. Da müssen wir schauen, dass der uns am Sonnabend sehr gut schmeckt.“
Lachen im Saal. Löw hat Grund dazu, denn gerade finden ihn viele gut, die ihn kürzlich noch schlecht fanden, als es die deutsche Nationalelf wagte, gegen Polen 0:0 zu spielen. Jetzt hat Deutschland die Slowakei im Achtelfinale verhauen und gilt wieder als Turnierfavorit. Löw hat das Spiel am Rande des Spielfelds längst zu spielen gelernt: Er spricht von einem Etappenziel, das erreicht sei, und warnt: „Bescheidenheit und Demut ist das Gebot der Stunde“, sagt er.
Joachim Löw ist ein Espresso-Trainer geworden: Er weiß, dass die Kritik in Deutschland schnell kommt und schnell wieder geht. Er weiß, dass das richtig bitter schmecken kann, aber auch wach macht für die Aufgaben, die noch vor ihm liegen. Und das hat mit der bittersten aller 22 Niederlagen seiner Karriere als Bundestrainer in 135 Spielen zu tun: jenem EM-Aus gegen Italien vor vier Jahren.
Super-Jogi wurde Löw genannt
15 Pflichtspiele am Stück hatte seine Mannschaft gewonnen, bis sie in Warschau auf Italien traf. Weltrekord. „Super-Jogi“ wurde Löw genannt, und Super-Jogi machte alles richtig. Nach dem Viertelfinalsieg gegen Griechenland wurde Löw dafür gefeiert, Reus, Klose und Schürrle gebracht zu haben. Dann kam Italien, und vielleicht glaubte Löw langsam selbst an Super-Jogi. Wieder drei Wechsel: Gomez, Podolski und Kroos rein. Toni Kroos sollte Andrea Pirlo bewachen. Die Sache ging schief: Balotellis Muskeln, 1:2, Arrivederci. Es gibt Spiele, die bleiben an einem Trainer hängen. Dieses war ein Stempel: Mit dem holen wir nix. „An diesem Tag haben wir alle nicht die Leistung gebracht, die wir hätten bringen müssen“, sagt Löw heute und meint auch sich selbst. Das tat er damals nicht.
Wochenlang zog er sich nach Sardinien und Sylt zurück. Aber das Schlimmste für Löw war, dass er sich und sein Team verraten hatte: Er hatte das eigene Spiel den Italienern angepasst. Das hielt ihn danach nächtelang wach.
Dass das Aus von Warschau nicht das Ende dieser Geschichte wurde, war lange ungewiss. Heute kann man sagen: Es sollte richtungsweisend werden. „Diese schmerzliche Niederlage hat mich in meiner persönlichen Entwicklung weitergebracht und mir bei der WM 2014 sehr geholfen“, sagt Löw. „Es war für mich eine gute Lehre.“ Nie mehr danach hat er seine Mannschaft nach dem Gegner ausgerichtet und wird das auch am Samstag gegen Italien nicht tun: „Wir müssen versuchen, unseren Fußball durchzuziehen.“
Nur durch Niederlagen lernt man, heißt es. Löw ist am Italien-Trauma von damals gereift. „Ich freue mich wahnsinnig auf Italien.“