Dortmund. Bengalos und Raketen: Trotz Ausgangssperre feierten BVB-Fans auf dem Borsigplatz den Pokalsieg gegen RB Leipzig. Für einige hat das Konsequenzen.
„Bleiben Sie bitte zu Hause“, hatten Stadt und der BVB Borussia Dortmund seit Tagen alle Fans der Schwarz-Gelben gebeten. Aber haben sich die Anhänger des Vereins nach dem 4:1-Finalsieg auch an diese Bitte gehalten?
Der Borsigplatz in Dortmund am Vatertag um 22.30 Uhr. Seit einer halben Stunde gilt die Ausgangssperre, noch gut zehn Minuten läuft das Finale im DFB-Pokal zwischen Dortmund und Leipzig. Es steht 3:1. Bisher herrscht Ruhe am Borsigplatz, der gerne Wiege des BVB genannt wird. Wenn nach einem Titelgewinn irgendwo gefeiert wird, dann hier. Mit Autokorso, Fahnenschwenken und Tausenden von Menschen. Aber all das geht nicht in Zeiten von Corona. „Bleiben Sie zu Hause“, hatten Stadt und Verein deshalb in den vergangenen Tagen alle Fans immer wieder gebeten. Die Stadt hatte sogar ein T-Shirt entworfen. „Entscheidend ist auffe Couch!“ Und die Polizei hatte angekündigt: „Wir werden kontrollieren.“ Aber haben Appelle und Warnungen etwas genutzt?
BVB-Pokalsieg: Dortmund im Zeichen der Ausgangssperre
22.40 Uhr. Gerade hat Erling Haaland mit seinem Tor zum 4:1-Triumph das Spiel gegen RB Leipzig endgültig entschieden. In der Ferne ertönt Jubel durch geöffnete Fenster. „Gleich geht es los“, sagt ein Mann, der mit einem Bier in der Hand am Straßenrand steht. „Gehen Sie mal besser nach Hause“, antwortet ein Polizist. „Ist ja Ausgangssperre.“ Grummelnd verzieht sich der Mann um die Ecke.
BVB-Fans feiern DFB-Pokalsieg 2012 auf dem Borsigplatz
Abpfiff. Normalerweise dauert es nur Minuten, bis die Menschen nach einem Finalsieg oder der Meisterschaft des BVB aus allen Richtungen auf den Platz strömen. Dieses Mal aber passiert nur wenig. Wer in der Nähe wohnt, kommt vorbei. Oft alleine, gern auch mit Hund. „Mein Mops wollte noch mal raus“, sagt eine Frau und muss selber lachen. „Wollte mal sehen, was heute hier los ist“, gibt sie zu.
BVB-Ultras: Die meisten feiern ohne Maske
Wenig ist los bis kurz vor 23 Uhr. Dann aber hört man sie, bevor man sie sieht. 40, vielleicht 50 BVB-Ultras mögen es sein, die unter dem Absingen einschlägigen Fan-Liedgutes auf den Platz kommen. Manche mit, die meisten ohne Maske und fast alle mit der Auffassung, das Abstandsregeln eher Empfehlungen sind. „Wollen wir die jetzt laufen lassen“, fragt eine Beamtin ihre Kollegen. „Nee, sagt einer. „Die stoppen wir gleich.“
Das macht die Polizei dann auch, kann die Gruppe allerdings zunächst nicht völlig vertreiben. Ein möglicher Autokorso aber wird im Keim erstickt. Auf allen Zufahrstraßen zum Platz stehen Streifenwagen, vor denen sich nach und nach kleine Schlangen bilden. Nur einzeln und mit viel Abstand werden Pkw auf den Platz gelassen und schnell wieder abgeleitet. Manche Autofahrer wenden, andere hupen – man weiß nur nicht, ob aus Freude über den BVB-Sieg oder aus Ärger über die Sperre.
Bengalos und Raketen auf dem Borsigplatz
Gegen 23.15 Uhr haben die singenden Fans ein wenig Verstärkung erfahren. Gut 100 – die Polizei schätzte am Ende insgesamt 200 Teilnehmer – laufen schließlich in die Mitte des Platzes, jagen Raketen in die Luft und zünden Bengalos, die die Häuser rundherum in rotes und gelbes Licht tauchen. „Wir verstehen Ihre Freude“, sagt ein Einsatzleiter über Megaphon durch den dichten Rauch. „Aber gehen Sie jetzt bitte sofort in kleinen Gruppen nach Hause. Und stoppen Sie das Entzünden von Feuerwerkskörpern.“
Die Resonanz auf diese Forderung geht zunächst gegen Null. In den Nebenstraßen schalten Mannschaftswagen der Polizei ihre Blaulichter an, machen sich die Beamten bereit für den Einsatz. Die Lage droht zu eskalieren. Dann aber besinnen sich die Feierenden und zerstreuen sich binnen Minuten in alle Richtungen.
Polizei Dortmund bilanziert: "verhältnismäßig ruhig"
Kurz nach halb zwölf joggt noch in Mann in schwarz-gelbem Outfit zu lauten BVB-Rufen einmal um den Borsigplatz, bekommt Applaus von den Menschen, die in den Fenstern liegen, dann ist Ruhe. Auch aus dem Rest der Stadt werden – Stand Mitternacht – keine besonderen Vorkommnisse gemeldet.
Die Dortmunder Polizei bilanziert am Freitagvormittag dann auch, dass es "verhältnismäßig ruhig" geblieben und "die überwiegende Mehrheit der Dortmunderinnen und Dortmunder den Appellen von Stadt und Polizei gefolgt" sei. "Einige Wenige", die gegen die Ausgangssperre verstoßen und Straftaten begangen hätten, müssten allerdings Konsequenzen tragen.
Pyrotechnik am Borsigplatz abgebrannt: Strafverfahren eingeleitet
Es seien mehrere Strafverfahren eingeleitet worden, teilte die Polizei mit. Dabei ging es um die Pyrotechnik, die "aus einer Gruppe von etwa 80 Personen heraus, die der Ultra-Szene zuzurechnen sind", auf dem Borsigplatz abgebrannt wurde. Sowie um eine "größere Menge an Pyrotechnik", die die Beamten im Vorfeld am Rande des Borsigplatzes sichergestellt habe. "Die Ermittlungen und die Auswertungen des Beweismaterials dauern an."
Zurück zum Borsigplatz, kurz vor Mitternacht: „Habt ihr gut gemacht heute“, ruft ein Anwohner vom zweiten Stock aus ein paar Polizisten zu. „Hätte auch anders ausgehen können.“
"Nächstes Jahr lassen wir es krachen"
Was trotz aller Freude bleibt, ist ein wenig Wehmut. „Wenn ich daran denke, was sonst hier los ist, könnt ich heulen“, sagt ein Fan, der noch „kurz einen Spaziergang“ gemacht hat. „Gleich Mitternacht“, sagt ein Beamter. „Sie müssen jetzt nach Hause.“
Der Mann nickt, stellt aber klar: „Nächstes Jahr lassen wir es krachen, dann gibt es kein Corona mehr.“ Vielleicht aber auch keinen Dortmunder Pokalsieg.
Am Freitag weht kaum eine Fahne in den Fenstern
Auch am Freitag weht kaum eine Fahne in den Fenstern, grüßt kein Plakat die Spieler, die Pokalsieger 2021 geworden sind. Und man muss schon länger durch die Fußgängerzonen schlendern, um Menschen in schwarz-gelber Kleidung zu finden.
„Klar“, sagt die Verkäuferin in der Bäckerei, „viele Kunden reden kurz über das Spiel, aber die ganz große Stimmung gibt es nicht.“ Backwaren in Vereinsfarben übrigens auch nicht. „Nächstes Jahr wieder“, heißt es hinter der Theke. „Nächstes Jahr“ sind übrigens auch zwei Wörter, die oft fallen im Dortmund dieser Tage.
Der Borsigplatz am Freitagmittag.
Es ist nichts zu spüren vom fünften Pokalsieg des Vereins
Selbst hier, an der Wiege des BVB, ist am Tag danach auf den ersten Blick nichts zu sehen oder zu spüren vom fünften Pokalsieg des Vereins. Eine einzige leere Bierflasche steht auf dem Rasen, aber das kommt hier öfter vor. „Es war“, blickt Janni Ampatzidis auf den Pokalabend zurück, „ganz anders als sonst.“ Und der 48-Jährige muss es wissen, schließlich hat er hier nicht nur seit 30 Jahren seinen Schlüsseldienst, sondern wohnt sogar noch zehn Jahre länger genau über seinem Geschäft. Ein Logenplatz. „Da haben wir schon einige Feiern miterlebt.“
„Schauen Sie mal“, sagt Ampatzidis und holt sein Handy. Ein Bekannter hat ihm noch einmal ein Video vom letzten Pokalsieg 2017 geschickt. 30 Grad im Schatten, eine Viertelmillion Menschen in der Stadt und er selbst, wie er oben von Fenster aus, Eimer mit kaltem Wasser in die schwitzende Menge schüttet. „So war das damals.“ So ist das immer. „Normalerweise.“ Er zuckt die Schultern. „Was soll man machen? Wird wieder anders. Nächstes Jahr. Hoffentlich.“