Essen/Bochum. Doping im Pferdesport - in der Spitzenklasse ist das offenbar eher Regelfall als Ausnahme. Im Interview erzählt Dr. Peter F. Cronau, selbst jahrelang Mannschaftsarzt der deutschen Springreiter, über die Selbstverständlichkeit der Manipulation unter Profi-Reitern.
„Erlaubt ist, was nicht gefunden wird.“ Mit dieser Aussage hat Olympiasieger Ludger Beerbaum eine Doping-Debatte im Pferdesport losgetreten. Eine mutige Entscheidung?
Dr. Peter F. Cronau: Das ist sicherlich eine mutige Entscheidung des Herrn Beerbaum. Mutig deswegen, weil er sich damit selber beschuldigt. Man kann aber davon ausgehen, dass Ludger Beerbaum ein intelligenter Mensch ist und so eine Entscheidung nicht so einfach herausplappert. Sportler auf dieser Ebene haben Berater. Vielleicht ist er auch für die Aussage beraten worden. Inhaltlich handelt es sich natürlich um eine Bankrotterklärung aller bestehenden Regularien und die offen ausgesprochene Einladung zum Doping.
Wo ist denn überhaupt das Problem? Wollen die Reiter ihre Pferde bewusst dopen – oder ist das Regelwerk für die Medikation zu lückenhaft?
Dr. Cronau: Der Sport auf höchstem Niveau – und natürlich die immer wieder zitierte Leistungsgesellschaft – wollen den Sieg. Wir verzeichnen eine Entfesselung der Siegerorientierung und eine Anspruchsinflation. Körper und Psyche werden überfordert. Wer heute noch Spitzensport ohne Doping betreibt, gilt als naiv und schlecht. Umgekehrt: Wer nach den Untergrundregeln handelt, ist normal.
Der Freizeit- und Breitensport kennt diese Prämisse nicht. Er wird um seiner selbst willen betrieben. Im elitären Spitzensport geht es um Geld, Prestige und Medaillenquoten. Wer viele Medaillen gewinnt, wird von Sporthilfe und Bund unterstützt. Ergo wird alles getan, um an die Siegkriterien heranzukommen. Auf dem Weg dorthin wird manipuliert und gedopt. Das hat es bei den Wagenrennen in den Olympischen Spielen der Antike bereits gegeben.
Die bestehenden Regularien geben bis auf kleinere erforderliche Modifikationen alles her, sie müssen nur korrekt angewendet werden. Durch die Entkoppelung von Reden und Tun kommt es zu einer Bigotterie der Verbände, der Spitzensportler, der Wissenschaftler, der Vertreter aus Politik und Wirtschaft. In der Öffentlichkeit wird zwar der Anti-Doping-Kampf propagiert, im Hintergrund werden die Dopingpraktiken wenn nicht gefördert so aber immerhin geduldet. Das ist das Problem.
Kader aufgelöst. Gewissensprüfung für Reiter und Spitzenfunktionäre. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung hat hart durchgegriffen. In Ihren Augen eine richtige Entscheidung?
Dr. Cronau: Ich wage zu behaupten, dass die Gewissensfindung durch die Einschaltung einer Kommission nicht besser werden wird. Oder geht man davon aus, dass ein Betroffener, der unter anderem auch noch eine Strafe zu erwarten hat, plötzlich die Wahrheit bis ins letzte Detail erzählt? Vielleicht wäre eine vorab angekündigte Straffreiheit ein Anreiz, die Wahrheit zu sagen. Nicht nur die Reiter sind Täter, die Verbände mit ihren Offiziellen sind auch Täter. Durch die Maßnahmen in Warendorf eröffnet sich eine große Chance eines Neuanfangs. Es gilt sie zu nutzen, es ist die Allerletzte.
Sie waren selbst jahrelang Mannschaftstierarzt der deutschen Springreiter. Wie haben Sie die Situation empfunden?
Dr. Cronau: Ich war schon in einer Zeit Mannschaftstierarzt, als überhaupt noch keine Medikationsverbote existierten. Die ersten Dopingproben bei Pferden wurden 1984 in Los Angeles auf den Olympischen Spielen genommen. Bis dahin war alles vogelfrei. Ein Paradigmenwechsel musste folgen, wir hatten uns alle auf die neuen etablierten Regeln umzustellen.
Der Tierarzt ist der Advokat der Pferde, diese enorme Verantwortung bleibt immer bestehen, solange es Pferdesport gibt. Ich bedaure es sehr, wenn sich unser Berufsstand als Leistungsdiener versteht und die eigentliche Aufgabe, nämlich die Gesunderhaltung und das Wohlergehen der Pferde, nicht mehr vordergründig sieht. Es geht dem Tierarzt nur um das Pferd, alles andere wie Sponsoren, Besitzer, Trainer, Equipechefs, nationaler Druck und Prestigedenken dürfen bei Beachtung der Kreatur keine Rolle spielen.
„Ausschöpfen was geht“, beschreibt Ludger Beerbaum seine Haltung. Ein Einzellfall – oder ist das die vorherrschende Einstellung der Reiter?
Dr. Cronau: Diese Aussage ist unverantwortlich und eine Missachtung der Kreatur, das Pferd kann sich nicht wehren. Die Tiere sind Mitgeschöpfe, die weiß Gott mehr Achtung verdient haben, als ausgeschöpft und dann entsorgt zu werden.
Gehört ein krankes Pferd überhaupt aufs Turnier – oder nicht besser in den Stall?
Dr. Cronau: Das ist überhaupt keine Frage. Ein Pferd, das heute einen „Schwächeanfall“ erleidet und morgen das schwerste Springen der Olympischen Spiele gehen soll, zeugt von Verantwortungslosigkeit aller Entscheidungsträger. Keine Vorstellung ist besser als eine schlechte. Das gesunde Pferd ist immer auch das bessere.
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