Herne. .
Hans Tilkowski, WM-Torwart von 1966, spricht im Interview über die Torhüter von 2010 – und das umgekehrte Wembley-Tor im Spiel gegen England. Am Montag wird der Herner 75 Jahre alt.
Hans Tilkowski war ein Großer seiner Zeit. 1965 wurde ihm als erstem Torhüter der Titel „Fußballer des Jahres“ verliehen, 1966 gewann er mit Borussia Dortmund den Europapokal. Zur Legende aber wurde er durch ein Gegentor, das nicht hätte anerkannt werden dürfen: durch das umstrittenste Tor der Fußball-Geschichte. Dieses dritte Tor von Wembley entschied das WM-Finale von 1966, Deutschland verlor gegen England mit 2:4 nach Verlängerung. Am Montag feiert Hans Tilkowski im Kreise seiner Familie in Herne seinen 75. Geburtstag. Im Interview spricht er über die Entwicklung des Torwartspiels – und er plädiert trotz allem dafür, den Fußball nicht durch Technik zu verändern.
Herr Tilkowski, was dachten Sie, als ausgerechnet im WM-Achtelfinale gegen England der Ball unter die Latte tickte, diesmal hinter der Linie aufkam – und der Schiedsrichter den Engländern das Tor verweigerte?
Hans Tilkowski: Ich dachte jedenfalls nicht das, was bestimmt viele gedacht haben. Rache oder Revanche sind mir nicht in den Sinn gekommen. Betroffen sind ja immer die Spieler. 1966 haben wir unter der Fehlentscheidung gelitten, diesmal die Engländer. Wir wurden damals für unser Auftreten gelobt, und das muss man jetzt auch den Engländern zugute halten: Sie haben sich tadellos verhalten. Dass es ein klares Tor war, hat ja jeder gesehen – außer dem Schiedsrichter. Ich habe keine Genugtuung verspürt.
Plädieren Sie für technische Hilfsmittel?
Tilkowski: Nein, durch Technisierung verliert der Fußball an Faszination. Chip im Ball, Torkamera – dadurch würden wir den Fußball entfremden. Er muss bleiben, wie er ist.
Erstaunlich, dass Sie das trotz Ihrer bitteren persönlichen Erfahrung sagen.
Tilkowski: Es ist doch schön, wenn heute noch im Jugend- oder Kreisligafußball gesagt wird: Das war ein Wembley-Tor! In den europäischen Wettbewerben wurden ja schon Torrichter eingesetzt – damit würde sich der Fußball treu bleiben. Wenn auch der Torrichter eine Fehlentscheidung trifft, muss man eben damit leben.
Sie haben sich vor der WM für Tim Wiese als Nummer eins ausgesprochen. Wie beurteilen Sie jetzt die Leistungen von Manuel Neuer?
Tilkowski: Für Tim Wiese sprach, dass er mehr internationale Erfahrung besitzt. Manuel Neuer lernt noch, er hat hier und da auch noch Schwächen gezeigt, aber insgesamt war seine Leistung gut, er hat keine groben Fehler gemacht. Er strahlt eine gewisse Ruhe aus, das ist immer wichtig.
Manuel Neuer wird eine große Zukunft prophezeit, vor allem, weil er das moderne Torwartspiel beherrscht. Er ist gut am Ball und leitet gezielt die Angriffe ein.
Tilkowski: Dieses Torwartspiel ist gar nicht so modern, das hat bei uns schon Sepp Herberger gefördert. Er hat zu mir gesagt: Sie bestimmen als Erster, wohin der Ball soll. Wir sollten ihn nicht einfach unkontrolliert nach vorne schlagen.
Also wurde ein alter Gedanke wieder aufgegriffen. Denn über viele Jahre dominierten Torhüter mit Reflexen und Paraden.
Tilkowski: Daran seid doch auch Ihr Medien schuld!
Die Medien beeinflussen die Spielweise von Torhütern?
Tilkowski: Jahrelang wurde doch ein Oliver Kahn zum Titan hochgejubelt. Das Torwartspiel, das ich mir vorstelle, hat schon immer mehr ein Mann wie Jens Lehmann verkörpert. Oder wie Edwin van der Sar.
Bei dieser WM gab es jede Menge Torwartfehler.
Tilkowski: Manchmal hatte ich das Gefühl, da wären welche von der Straße geholt worden. In anderen Ländern wird auf die Torhüterausbildung ganz offensichtlich nicht so viel Wert gelegt wie in Deutschland. Bei den Engländern zum Beispiel fällt auf, dass in ihren Top-Vereinen ausländische Torhüter spielen.
Wie hat Ihnen die deutsche Mannschaft gefallen?
Tilkowski: Sie hat ein tolles Bild abgegeben, sie hat sich auch im Ausland wieder neue Freunde gemacht. Das größte Lob gebührt Jogi Löw. Er hat Spieler gebracht, an denen andere vorher gezweifelt hatten. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich auch nicht mit jeder Nominierung einverstanden war. Die Spieler haben ihm sein Vertrauen zurückgezahlt. Vor allem gegen Argentinien und England war ich begeistert – wobei ich aber einschränken muss: Was die Engländer gespielt haben, hätte auch jede Amateurmannschaft spielen können. Ich fand die WM-Euphorie mit all den schwarz-rot-goldenen Fahnen einfach herrlich – so etwas gab es ja zu unserer Zeit nicht.