Essen. Die SGS Essen kämpft am Samstag beim VfL Wolfsburg um den Einzug ins Pokal-Finale. Trainer Markus Högner blickt aber über das Spiel hinaus.

Markus Högner hat viel erlebt im Fußball. Zwischen 2010 und 2016 war der heute 56-Jährige schon mal Trainer bei den Frauen der SGS Essen. Zwischenzeitlich Assistent von Bundestrainerin Steffi Jones, ist Högner seit fünf Jahren wieder im Ruhrgebiet tätig. Vor dem Pokal-Halbfinale seiner SGS an diesem Samstag (13 Uhr, Sky) beim VfL Wolfsburg erklärt er, warum das Spiel beim Seriensieger zu einem günstigen Zeitpunkt kommt, wie Essen sich gegen die Übermacht der Lizenzvereine wehrt und warum ein Mindestgrundgehalt verkehrt wäre, aber die Frauen-Bundesliga aufgestockt werden muss.

Herr Högner, am 4. Juli 2020 hatten Sie mit der SGS den seit zehn Jahren ungeschlagenen Seriensieger im Pokal-Finale am Rande einer Niederlage. Wie oft denken Sie noch an diesen Tag zurück?

Markus Högner: An dem Spiel hatte ich tatsächlich noch lange danach noch zu knabbern. Obwohl ich kurz darauf in den Urlaub gefahren bin, brauchte ich Zeit, um mit dieser Niederlage umgehen zu können. Ich habe mir halt Vorwürfe wegen des Elfmeterschießens gemacht. Hätte man vielleicht noch mal eingreifen sollen, als man in die Runde gefragt hat, wer schießen möchte?

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Als die SGS Essen den VfL Wolgsburg am Rande einer Finalniederlage hatte

Es stand in Köln vor leeren Rängen wegen der Corona-Pandemie 3:3 nach Verlängerung und dann verschoss sogar Alexandra Popp den dritten Strafstoß.

Ja genau, dann hat leider auch Irini Ionnidou verschossen, obwohl sie in der Verlängerung mit ihrem Freistoß unser drittes Tor gemacht hatte. Danach hat Nina Brüggemann den nächsten Elfmeter vergeben, nachdem sie auf dem Feld vorher schon Krämpfe hatte. Wir haben uns erst kürzlich zufällig in Hamburg getroffen, wo sie selbst sagte, sie hätte vielleicht nicht antreten sollen, aber sie wollte unbedingt. Danach kam bei uns ja der Riesenumbruch: Lea Schüller, Lena Oberdorf und Marina Hegering haben uns ja nach jener Saison verlassen.

Der VfL Wolfsburg hat seit zehn Jahren zwar kein Pokalspiel mehr verloren, aber zuletzt in der Liga bei der TSG Hoffenheim und dann das Spitzenspiel gegen den FC Bayern verloren. Die Zeit für eine Überraschung ist also günstig?

Derzeit fehlt Wolfsburg meines Erachtens auch das Spielglück, trotzdem bleibt das für uns eine Riesenherausforderung, denn es ist für den VfL die letzte Chance, noch einen Titel zu gewinnen. Aber richtig: Es ist vielleicht nicht der schlechteste Moment, gegen diesen Gegner anzutreten. Bereits durch die Halbfinalteilnahme können wir uns besser vermarkten, aber natürlich ist das Finale unser Traum.

2020, Pokal-Finale vor leerer Kulisse in der Corona-Pandemie: Die Enttäuschung bei den Frauen der SGS Essen ist nach der Pleite im Elfmeterschießen gegen den VfL Wolfsburg riesig.
2020, Pokal-Finale vor leerer Kulisse in der Corona-Pandemie: Die Enttäuschung bei den Frauen der SGS Essen ist nach der Pleite im Elfmeterschießen gegen den VfL Wolfsburg riesig. © Ralf Ibing / firo Sportphoto / POOL | Ralf Ibing

Besser wäre es nur gewesen, wenn Ihr Klub Heimrecht gehabt hätte?

Ich bin schon froh, dass wir nicht nach München müssen (lacht). Aber klar: Als wir das Viertelfinale in Leverkusen gewonnen hatten, waren alle euphorisiert – auch unsere 400 mitgereisten Fans. Und dann kam das Los. Im Stadion an der Hafenstraße hätten wir sicher einige Tausende Zuschauer gehabt – zum Bundesligaspiel gegen die Bayern waren ja schon mehr als 4000 gekommen. Jetzt sind wir halt wieder der Underdog. Eine Rolle, die uns gut liegt.

Nur die SGS Essen schreibt in der Bundesliga keine roten Zahlen

Mit Bayern München, Eintracht Frankfurt und VfL Wolfsburg stehen drei Teams im Halbfinale, deren Frauen-Abteilungen über den Lizenzverein ordentlich bezuschusst werden. Die SGS Essen ist wohl der einzige Bundesligist, der keine roten Zahlen schreibt und trotzdem sportlich erfolgreich ist.

Vor ein, zwei Jahren mussten vor allem die Nationalspielerinnen politische Statements abgeben, dass die Zukunft in den Lizenzvereinen liegt. Daraufhin habe ich Alexandra Popp auch mal geantwortet, nachdem der Eindruck rüberkam, als ob wir auf Asche mit nur zehn Bällen trainieren. Nur weil wir erst um 17 Uhr mit dem Training beginnen, ist die Arbeit nicht schlechter. Ich kann einigen Spielerinnen nicht sagen, schmeißt die Schule oder das Studium hin, damit wir morgens trainieren. Trotzdem arbeiten wir hochprofessionell, beschäftigen mit Erskine Bakker einen exzellenten Athletiktrainer, den heute noch viele Nationalspielerinnen noch aufsuchen. Wir haben ein Funktionsgebäude, das wir uns nicht mit einer U17, U19 oder U23 teilen müssen. Außerdem ist es als junge Fußballerin auch wichtig, mal Hindernisse zu überwinden. Ich finde es wichtig, dass nicht alles geleckt ist und ausgelegt wird. Die Akteure müssen bei uns gewissermaßen in Vorleistung gehen, damit es sich für sie auch monetär auszahlt, in der Bundesliga zu spielen.

Beim letzten Wirtschaftsreport der Frauen-Bundesliga kam heraus, dass im Schnitt 2 Millionen Euro an Erlösen nicht mehr reichen, um die Gehälter zu zahlen. Fast die Hälfte eines Etats von rund 3,8 Millionen Euro ist nicht gedeckt. Was sagen Sie dazu?

Wir sind tatsächlich der einzige Verein, der keine roten Zahlen schreibt – und darauf sind wir auch stolz. Wir haben keine Schulden. Wir werden den Spielerinnen nur das bezahlen, was wir vor auch erwirtschaften. Jeder weiß: Frauenfußball ist von den Profivereinen querfinanziert, aber meines Erachtens geht die Entwicklung in eine ungesunde Richtung. Eigentlich kann ich als vernünftiger Mensch doch lediglich das ausgeben, was ich auch einnehme.

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Was SGS-Trainer Högner vom Mindestgrundhalt im Frauenfußball hält

Der DFB hat einen Professionalisierungs- und Wachstumsplan vorgelegt, in dem von einem Mindestgrundgehalt von 2920 Euro monatlich die Rede ist. Was sagen Sie dazu?

Da halte ich gar nichts davon. Ich kann einer 16-, 17-Jährigen nicht dieses Geld bezahlen, ohne mein Gehaltsgefüge komplett durcheinander zu bringen. Gerade das passiert ja gerade im Frauenfußball: Weil in England Unsummen bezahlt werden, zieht der eine oder andere deutsche Verein mit. In meinen Augen werden dadurch einige Spielerinnen überbezahlt – bei aller Liebe.

Haben Sie eigentlich mal gezählt, wie viele Nationalspielerinnen durch ihre Hände gegangen sind? Stina Johannes, Sara Doorsoun, Marina Hegering, Lena Oberdorf, Linda Dallmann, Elisa Senß, Lea Schüller, Nicole Anyomi oder zuletzt Vivien Endemann: allesamt in Essen entdeckt und ausgebildet. Wie machen Sie das immer wieder?

Das liegt nicht nur an mir, sondern an dem ganzen Gebilde in Essen. Die Spielerinnen können sich in diesem familiären Umfeld mit einem Wohlfühlfaktor entwickeln. Sie bekommen hier durch ein funktionierendes Trainerteam gute Dinge für die Karriere an die Hand. So etwas spricht sich unter Mädchen und deren Eltern herum. Die jungen Talente merken schnell, dass hier alles von Herzen kommt und nicht künstlich errichtet ist.

Wer wird die nächste Newcomerin sein, die nach Wolfsburg, Bayern oder Frankfurt wechselt?

Ich hoffe wirklich, dass wir diese Saison alle Spielerinnen halten können. Natürlich sticht bei uns der 2003er-Jahrgang mit einer Natasha Kowalski, Katharina Piljic, Beke Sterner oder unserer Torhüterin Sophia Winkler heraus. Da sind definitiv einige dabei, die den Sprung schaffen können. Unser Wunsch ist aber, dass sie den nächsten Schritt noch bei uns gehen, um mit dieser Mannschaft noch mehr erreichen.

Trainer Högner fordert: Bundesliga muss augestockt werden

Sollte die Frauen-Bundesliga lieber heute als morgen aufgestockt werden?

Die Liga muss definitiv aufgestockt werden, damit wir mehr Sichtbarkeit und einen besseren Rhythmus haben. Derzeit ist es so, dass wir ein, zwei Spiele haben und dann ist wieder lange Unterbrechung durch eine Länderspielpause wie jetzt nach den Pokal-Halbfinals. Wir sollten schon bald mit mindestens 14 und dann mit 16 Klubs spielen. Das wirkt in der Außendarstellung ganz anders und sollte in einem Land mit fast 85 Millionen Einwohnern doch möglich sein.

Ist es eigentlich eine Gefahr, dass Borussia Dortmund mit seinen Frauen irgendwann in die Bundesliga drängt?

Aktuell beschäftigen wir uns damit gar nicht. Wir haben da einen gewissen Vorsprung, außerdem liegen einige Kilometer zwischen Essen und Dortmund. Ich glaube trotzdem, dass wir mit unserem Weg die nächsten Jahre erfolgreich sein können.

Auf den Trainerbänken tummeln sich fast ausnahmslos Männer. Teresa Merk vom SC Freiburg wird sich wegen ihrer Schwangerschaft bald auch zurückziehen. Was ist da los? Warum tun sich Frauen mit diesem Job so schwer?

Schwierige Frage. Es gibt einige gute Trainerinnen; ich denke da immer wieder an eine Kim Kulig, die für mich eine tolle Arbeit macht (aktuell beim FC Basel, Anm. d.Red.). Genauso die Niederländerin Carin Bakhuis beim Zweitliga-Tabellenführer SV Meppen, und wir müssen auch nicht über eine Sarina Wiegman als Toptrainerin in England reden. Im Endeffekt geht es um Qualität. Letztendlich ist die Zahl der Trainer immer noch viel größer als die der Trainerinnen. Ich bin als Mann schon lange im Frauenbereich und damit auch wirklich glücklich.

Warum Högner nicht zu den Männern wechselte und bei den Frauen blieb

Hat es Sie nicht mal gereizt, wieder in den Männerfußball zu wechseln? Warum sind Sie den Frauen so lange verbunden?

Markus Högner trainiert in der Saison 2008/09 die U23 des FC Schalke 04 in der Regionalliga.
Markus Högner trainiert in der Saison 2008/09 die U23 des FC Schalke 04 in der Regionalliga. © WAZ | Martin Möller

Weil mir das Projekt SGS Essen über die Jahre ans Herz gewachsen ist. Ich verstehe mich mit den Leuten und möchte, dass es hier weitergeht. Die Erfahrungen als Co-Trainer bei der Nationalmannschaft und auch beim VfL Wolfsburg waren wichtig, aber hier fühle ich mich einfach wohler. Und es ist für mich ein Riesenprivileg, als Trainer zu Hause im Münsterland bei meiner Frau und meinen Kindern leben zu können. Wenn ich nach meiner Zeit bei Alemannia Aachen und FC Schalke 04 im Männerfußball geblieben wäre, würde ich heute vermutlich von irgendwo pendeln.

Sie waren selbst mal Bundestrainer der deutschen Beachsoccer-Nationalmannschaft und unter Steffi Jones Assistenztrainer der DFB-Frauen. Was sagen Sie dazu, dass Christian Wück im Sommer auf Horst Hrubesch neuer Bundestrainer wird?

Das finde ich gut. Er hat mit der U17 die EM und WM gewonnen und bekommt mit Maren Meinert eine Toptrainerin dazu, die auch Titel geholt hat. Diese Kombination gefällt mir. Ich finde, dass wir in Deutschland richtig gute Fußballerinnen haben. Ich habe das Entscheidungsspiel in Heerenveen gegen die Niederlande gesehen: Horst Hrubesch strahlt Ruhe aus und ist der richtige Mann am richtigen Ort. Die Nachfolgelösung mit Christian Wück halte ich für gut, um nach einem Umbruch etwas Langfristiges zu entwickeln; dass er das kann, hat er im Nachwuchsbereich bewiesen. Wir werden auch die nächsten drei, vier Jahre eine starke Nationalelf haben.