Hannover. Beim Olympia-Qualifikationsturnier in Hannover geht es um das Ticket nach Paris - und um die Zukunft von Bundestrainer Alfred Gislason.
Die Anspannung ist dieser Tage spürbar, auch wenn die deutschen Handballer sich redlich Mühe geben, nach außen hin gelassen und aufgeräumt zu wirken. Doch es sind kurze Momente, die erahnen lassen, dass Schein und Realität nicht immer zusammenpassen. „Wie oft muss ich das noch wiederholen?“, fauchte Alfred Gislason beispielsweise jüngst auf die mehrmalige Nachfrage nach seiner Vertragssituation. Und auch, dass die Reaktivierung von Kreisläufer Hendrik Pekeler im Raum stand, zeigt deutlich, wie angespannt die Lage vor dem Olympia-Qualifikationsturnier in Hannover ist. Drei Spiele innerhalb von vier Tagen sind zu absolvieren, heute ist Algerien der Auftaktgegner (17.45 Uhr/Sport1), es folgen am Samstag Kroatien (14.30 Uhr/ZDF) und Österreich am Sonntag (14.10 Uhr/ARD/alle auch auf Dyn). Die beiden bestplatzierten Nationen des Vierer-Turniers werden im Juli/August bei den Sommerspielen in Paris dabei sein.
Die Ausgangslage ist klar. Alles andere ist - kompliziert. Da geht es zunächst um den Bundestrainer selbst. Erst vor wenigen Tagen hatte der Deutsche Handball-Bund (DHB) die Vertragsverlängerung mit dem 64-Jährigen bis 2027 bekannt gegeben, diese aber mit einer Klausel versehen: Scheitert die Olympia-Qualifikation, ist die Verlängerung nichtig, Gislasons Engagement endet sofort. Nun überstrahlt das öffentliche Interesse an der Zukunft des Trainer-Routiniers fast die sportliche Brisanz der Qualifikationsspiele. Eine unnötig-unglückliche Situation für den Verband, hätte der Isländer seinen Kontrakt doch ohnehin nach einer erfolgreichen Qualifikation verlängert („Mir war es egal, ob wir den Vertrag vorher oder nachher machen“). Nun also: viel zusätzlicher Druck.
Kratzer im Selbstbild des deutschen Handballs
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Dabei bietet die Qualifikation schon Druck genug. Olympische Spiele ohne das deutsche Team? Ein Sommer in Paris ohne den größten Handballverband der Welt? Es wäre ein weiterer dicker Kratzer im Selbstbild des DHB, der zuletzt 2016 mit EM-Gold und Olympia-Bronze Podest-Plätze im Erwachsenen-Bereich vorweisen konnte. Zumal das Damokles-Schwert ohnehin latent über dem olympischen Handball schwebt. Das Zittern um die Zukunft des Sports bei kommenden Sommerspielen ist immer vorhanden. Denn auch wenn Handball in Teilen Europas sehr populär ist, so ist das Spiel mit dem harzverklebten Ball kein Weltsport wie Basketball oder Volleyball mit fester Etablierung in Nordamerika und Asien.
Umso wichtiger ist die Teilnahme Deutschlands als Aushängeschild des Handballs. Und trotz aller Anspannung - Sorgen um die Qualifikation gibt es beim DHB scheinbar nicht. Die Frage, ob ein möglicher Gislason-Nachfolger anvisiert wurde, quittierte DHB-Sportvorstand Axel Kromer mit einem knappen „Nein“. Auch DHB-Präsident Andreas Michelmann schließt ein Scheitern aus: „Bei allem Respekt vor den Gegnern, aber bei einem Turnier mit Algerien, Kroatien und Österreich und noch dazu mit Heimvorteil - da müssen wir mindestens Zweiter werden.“
Europameister Dagur Sigurdsson trainiert nun kroatische Handballer
Algerien dürfte heute die kleinste Hürde auf dem Weg nach Paris sein, zuletzt gab es gegen den Außenseiter bei der WM 2023 einen klaren 37:21-Erfolg. Auch Österreich sollte kein Stolperstein sein, eine starke EM der Nachbarn im Januar mit einem 22:22 gegen Deutschland hin oder her. Kroatien ist vom Papier her die größte Herausforderung. Zuletzt gab es bei der EM eine 24:30-Klatsche im abschließenden Hauptrunden-Duell, und jüngst wurde Deutschlands 2016er-Europameister-Trainer Dagur Sigurdsson als neuer Coach vorgestellt. „Er wird in zwei Wochen aber nicht alles auf den Kopf stellen können bei den Kroaten“, meinte Gislason selbstsicher.
Selbst musste sich der 64-Jährige aber in den jüngsten Tagen häufig am Kopf kratzen. Die Kreisläufer Johannes Golla und Jannik Kohlbacher drohten auszufallen, weshalb mit der Reaktivierung des im Januar endgültig aus der Nationalmannschaft zurückgetreten Hendrik Pekeler geliebäugelt wurde. Golla und Kohlbacher sind aber wieder einsatzbereit, Pekelers Rücktritt vom Rücktritt dürfte damit vom Tisch sein. Gislason zählt neben Kapitän Golla vor allem auf Torhüter Andreas Wolf, Spielmacher Juri Knorr und Defensiv-Spezialist Julian Köster. Rückraumspieler Philipp Weber wird durch Marian Michalczik ersetzt, für die verletzten Kai Häfner und Martin Hanne wurden Luca Witzke und Franz Semper nachnominiert. Es ist ein Team, das den Anforderungen in Hannover gewachsen sein sollte. Bleibt nur die Frage, ob es auch die fühlbare Anspannung meistert.