Essen. In diesem Jahr finden Olympische Spiele statt. Ulrike Nasse-Meyfarth, Lukas Dauser und Thomas Berlemann diskutieren den Wert von Leistung.

Es ist mal wieder Zeit für einen Garderobenwechsel. Am Samstag tauscht Deutschlands Sportelite die Trainingskleidung gegen Frack und Abendkleid. Die Stiftung Deutsche Sporthilfe lädt zum Ball des Sports in die Festhalle Frankfurt. Bei der Gala, die als Europas größte Benefizveranstaltung im Sportbereich gilt, treffen aktive und ehemalige Spitzenathleten des Landes auf die Elite aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Thema, das sie alle verbindet: Leistung. Ohne diese würde keiner von ihnen da stehen, wo er oder sie aktuell steht.

Dauser und Nasse-Meyfarth: Große Vorbilder des deutschen Sports

Doch Thomas Berlemann, Vorstandsvorsitzender der Sporthilfe, macht sich Sorgen. „Das Thema Leistung muss eine Renaissance erleben“, sagt er. „Es stellt sich die Frage: Lohnt sich Leistung noch? Wir als Sporthilfe sind überzeugt, dass der Sport sowie die damit verbundenen Leistungen und Emotionen immens wichtig sind. Wir wollen einen Anstoß geben, Leistungen und Vorbilder, insbesondere auch aus dem Sport, wieder vermehrt in den Mittelpunkt unserer Gesellschaft zu rücken.“

Ulrike Nasse-Meyfarth macht sich ihre Gedanken um die aktuelle Sportlergeneration.
Ulrike Nasse-Meyfarth macht sich ihre Gedanken um die aktuelle Sportlergeneration. © dpa | Marius Becker

Zwei, auf die das Prädikat Vorbild zutrifft, sind die ehemalige Leichtathletin Ulrike Nasse-Meyfarth und Turner Lukas Dauser. Die 67-Jährige wurde 1972 als 16-Jährige mit ihrem Olympiasieg im Hochsprung in München über Nacht zum deutschen Sportstar. Der 30-Jährige prägt indes die Gegenwart: Auf Olympia-Silber 2021 folgte WM-Gold 2023 am Barren und die Ehrung als Deutschlands Sportler des Jahres. Die Sporthilfe hat beide für ein Gespräch mit dieser Redaktion zusammengebracht.

„Man muss positiv verrückt sein, um so intensiv Leistungssport zu machen“, sagt Nasse-Meyfarth. „Aber gerade diese Eigenschaft finde ich sympathisch. Das bringt jeden und auch ein ganzes Land vorwärts, wenn man diese Lust auf Leistung kommunizieren kann.“ Lukas Dauser ist gerne Vorbild – nicht nur für andere Turner. Seine Karriere inspiriert auch jenseits der Turnhalle. „Ich bekomme manchmal Nachrichten von Leuten, die mir nicht etwa wegen meiner Erfolge schreiben, sondern weil sie sich an meinem Werdegang, zu dem auch Rückschläge gehörten, hochziehen können“, erzählt er.

Lukas Dauser erkennt Rückgang der Wertschätzung

Laut einer Studie der Sporthilfe aus dem vergangenen Jahr sagen rund zwei Drittel der Deutschen, dass Sport gut für die Entwicklung der Gesellschaft ist, dass die Werte Leistung, Fairplay und Vielfalt die Gesellschaft positiv inspirieren und Zuversicht spenden können. 71 Prozent sehen Sportler als Vorbilder für Leistungsbereitschaft. Jedoch: Nur 36 Prozent der deutschen Athletinnen und Athleten sind der Meinung, dass ihre Leistung anerkannt wird. „Das ist ein Widerspruch“, sagt Thomas Berlemann.

Thomas Berlemann, Vorstandsvorsitzender der Sporthilfe. Foto: picture alliance für die Sporthilfe
Thomas Berlemann, Vorstandsvorsitzender der Sporthilfe. Foto: picture alliance für die Sporthilfe © dpa | dpa

Auch Lukas Dauser beobachtet, dass „die Wertschätzung für sportliche Leistung nicht mehr so hundertprozentig da“ ist. Er sieht das mediale Interesse mit als einen Grund für die Unzufriedenheit. „Ich will keine Neiddebatte auslösen, aber es ist schon Wahnsinn, wenn eine Weltmeisterschaft einer großen Olympischen Sportart wie dem Turnen stattfindet, aber im Fernsehen ein Fußball-Drittliga-Spiel gezeigt wird.“

Olympia-Legende Nasse-Meyfarth: Geld kommt nicht an

Ulrike Nasse-Meyfarth ergänzt: „Die Medienlandschaft hat sich wahnsinnig verändert. Damals gab es zwei Programme und trotzdem viel mehr Sport zu sehen. Heute ist die Sportschau eine Fußball-Schau.“ Sie sagt: „Ich möchte heute nicht mehr Leistungssportlerin sein. Es ist schwierig, sich darzustellen. Meistens sind die Sportler nur in ihrer Blase bekannt – und die reicht nicht bis zur Basis. Doch nur durch breite Basis entsteht eine großartige Spitze – und das ist heute nicht mehr gegeben, da hat Deutschland in den letzten Jahrzehnten viel geschlampt. Sicher gibt der Bund viel Geld für den Sport. Aber diese Mittel gehen viel zu sehr für die Dach- und Fachverbände mit ihren Funktionärs- und Verwaltungsposten drauf.“

Ihr Überraschungstriumph: Ulrike Nasse-Meyfarth wird 1972 noch als Ulrike Meyfarth Olympiasiegerin im Hochsprung.
Ihr Überraschungstriumph: Ulrike Nasse-Meyfarth wird 1972 noch als Ulrike Meyfarth Olympiasiegerin im Hochsprung. © dpa | UPI

Als Trainerin bei Bayer Leverkusen sieht sie einen Schlüssel darin, schon in den Schulen anzusetzen. „Was ist ein sportliches Vorbild, wenn die Schüler den Sport nicht leben? Da fällt so viel Unterricht aus, sie haben gar kein Gefühl für Sport. Ich glaube nicht, dass eine Olympiabewerbung daran schnell was ändern würde.“ Helfen würde sie gern. Ehemalige wie sie könnten in den Schulen Werbung machen, findet sie. „Das Land weiß gar nicht, was wir für Schätze sind“, sagt sie. Auch würden aktuell zu viele Talente beim Übergang von der Jugend zu den Erwachsenen verloren gehen. „Das ist sehr schade, dem muss man entgegenwirken.“ Man müsse vor allem die Zukunftsangst nehmen, Beispiele aufzeigen, wie man sportliche und berufliche Karriere verbinden kann.

Lukas Dauser spürt Schub vor Olympia in Paris

Lukas Dauser ist ein perfektes Beispiel. Er kombiniert Spitzenturnen und ein Studium. „Durch Leistungssport lernt man so viel für sein späteres Leben, von dem große Firmen profitieren können. Wir können allein arbeiten, sind strukturiert, zielstrebig, haben sehr, sehr hohes Durchhaltevermögen. Wir geben nicht gleich auf. Das sind alles Tugenden, die in der heutigen Gesellschaft in den Hintergrund geraten und gar nicht mehr so richtig da sind. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir Sportler haben, die das nach außen tragen.“

Sich selbst nimmt er von diesem Anspruch nicht aus. Im Sommer finden die Olympischen Spiele in Paris statt. Der Silbermedaillengewinner von in Tokio ist bereits jetzt „voller Tatendrang“. Der WM-Titel hat ihm nochmal einen Schub gegeben. Die Vorfreude auf die französischen Metropole ist riesig. Und natürlich sagt er diesen Satz, den auch Thomas Berlemann gern hören wird: „Ich werde meine beste Leistung zeigen.“