Villapiana. Sporthilfe-Chef Thomas Berlemann sieht viele Probleme im deutschen Sport. Spiele im eigenen Land brächten Schwung.

Thomas Berlemann, 60, ist mit einem guten Gefühl zurück nach Deutschland gereist. Der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Deutsche Sporthilfe hatte sich zuvor in Kalabrien einen Eindruck davon verschafft, wie es den erfolgreichsten Athletinnen und Athleten des Jahres so im Urlaub geht. Mit der Reise in den Sporthilfe Club der Besten spendiert die Stiftung dank ihrer Förderer jedes Jahr eine Belohnung, auf die sich die Sportler nach eigener Aussage schon kurz nach dem Medaillengewinn freuen. Einen „Ritterschlag“ nennt Berlemann diese Rückmeldung.

Herr Berlemann, im Sporthilfe Club der Besten war der Sportsgeist überall spürbar: der gegenseitige Respekt der Athletinnen und Athleten vor den jeweiligen Leistungen, der Stolz auf das gemeinsam Erreichte, die Freude am Wettkampf. Wie kriegen wir diesen Schwung der Sportbegeisterung wieder in die Gesellschaft?

Thomas Berlemann: Wenn man einen Schuss frei hat, dann kann ich nur eine Maßnahme vorschlagen.

Nämlich?

Olympische Spiele in Deutschland. Das wäre eine Sensation und eine riesige Möglichkeit, um das Land, das gesellschaftlich ein bisschen auseinanderdriftet, in den aktuell schwierigen Zeiten mit einem geeinten Ziel zusammenzuschweißen. Es wäre ein emotionales Element, das Identität stiftet und die Werte des Sports in alle Zweige der Gesellschaft überträgt.

Wie kann das gelingen?

Wenn wir die Spiele bekämen, wäre das eine neue Welt. Der Sport würde in allen Bereichen, ob Wirtschaft oder Politik, in den Fokus rücken. Dann würde einiges möglich werden. Ich mag da gar nicht über große Strukturveränderungen wie die Idee von einem eigenen Sportministerium philosophieren, aber es wäre ein absoluter Gamechanger.

Berlemann: Wir haben bewiesen, dass wir gute Gastgeber sind

Wäre Deutschland bereit dafür?

Zumindest haben wir zuletzt bewiesen, dass wir gute Gastgeber sind. Wir hatten die bombastische Stimmung bei den European Championships vergangenes Jahr in München, dann die Special Olympics in Berlin. Wir können das. Die Strahlkraft ist enorm. Und für die Athleten ist Olympia ohnehin das Größte – erst recht, wenn sie es im eigenen Land erleben dürften. Sie repräsentieren Deutschland mit ihrer Leistungsfähigkeit im Sport, das wirkt auch auf andere gesellschaftliche Bereiche.

Gina Lückenkemper bei ihrem Triumphzug bei der EM 2022 in München.
Gina Lückenkemper bei ihrem Triumphzug bei der EM 2022 in München. © dpa

Doch der Weg bis dahin wirkt noch sehr weit. Zuletzt sorgten Diskussionen um Mittelkürzungen im Sport und schwache Ergebnisse zum Beispiel in der olympischen Kernsportart Leichtathletik für Krisenstimmung. Was ist das Problem?

Sich konsequent aufzustellen, schneller zu verändern, Bürokratie abzubauen, innovativer zu sein – das ist ja kein alleiniges Problem im Sport. Es gibt unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche, in denen wir nicht mehr da stehen, wo wir mal waren. Diese ganzen Tugenden wie Leidenschaft, Fleiß, Einsatzbereitschaft und Planung, mit denen unsere Eltern das Land in den letzten Dekaden erfolgreich gemacht haben, scheinen in Teilen verloren gegangen zu sein. Der Wille zur Leistung ist nicht mehr überall zu erkennen. Und da gilt es zu fragen, warum das so ist – und Antworten zu finden, was wir tun können. Was muss passieren, damit wir in Bereichen wie zum Beispiel Sport, Bildung, Digitalisierung, Umweltschutz wieder nach oben kommen? Wir stehen uns da oft ein stückweit selbst im Weg.

Inwiefern?

Wenn man sich allein das Netzwerk Sport in Deutschland mit allen Verbänden, Vereinen, Stiftungen und auch der Politik anschaut, fällt auf, dass obwohl heute sogar mehr als noch vor einigen Jahren an Geldern investiert wird, wir uns aber nicht weiterentwickelt haben. Da muss man auch einmal die Effizienzbrille aufsetzen und sich fragen, welche Strukturen überhaupt zielführend sind, ob Gelder vielleicht an falschen Stellen eingesetzt werden. Wir haben ja kein Erkenntnisproblem, dass etwas nicht stimmt, sondern ein Umsetzungsproblem. Nur weil man mal oben war, heißt das nicht, dass es so bleibt, das bedarf einer großen gemeinsamen Kraftanstrengung. Wir müssen die Bereitschaft haben, Dinge zu verändern. Da muss es neue Konzepte geben – andere haben uns da längst einiges voraus.

 Die Beachvolleyballer Jonas Reckermann (l.) und Julius Brink feiern bei den Olympischen Spielen 2012 den Gewinn der Goldmedaille
Die Beachvolleyballer Jonas Reckermann (l.) und Julius Brink feiern bei den Olympischen Spielen 2012 den Gewinn der Goldmedaille © Getty Images

Können Sie Beispiele nennen?

Da müssen wir ja nur in unsere Nachbarländer schauen. Die haben sich vor einigen Jahren ihre Fördersysteme angeguckt und sie strategisch angepasst. Wenn wir dann sehen, dass Länder wie die Niederlande, Frankreich und Italien in Medaillenspiegeln vor uns liegen, dann sieht man, dass sie einen wirklich guten Job gemacht und die richtigen Schlüsse gezogen haben.

Sporthilfe-Chef Thomas Berlemann: Andere Lände geben dem Sport gesellschaftlich mehr Bedeutung

Was machen sie besser?

Sicherlich sind auch zusätzliche Gelder geflossen, aber vor allem haben sie sich als Land darauf fokussiert, dem Sport auch gesellschaftlich wieder mehr Bedeutung zu geben. Nehmen wir das Beispiel England. Die Briten haben seit der Vergabe der Spiele 2012 nach London ihre Hausaufgaben gemacht, die Sportförderung gepusht und haben es geschafft, das bis heute beizubehalten. Die Franzosen sind vor allen in den Mannschaftssportarten in fast allen Finals dabei. Die Niederländer und Italiener setzen mit Erfolg auf zentrale Leistungszentren, die Norweger und Australier – von der Bevölkerung viel kleiner als wir – sind absolute Sportnationen. Sie alle schaffen bestmögliche Bedingungen, damit ihre Athletinnen und Athleten Weltklasse werden können. Wir haben zudem noch das Problem, dass viele unserer besten Trainer ins Ausland abwandern – weil sie dort beispielsweise keine kurzfristigen Verträge, sondern eine Sicherheit der Anstellung für einen Olympiazyklus bekommen. Da müssen wir uns nicht wundern, wenn in den Prognosen für Olympia im kommenden Jahr viele andere vor uns liegen. Aber genau das muss uns eigentlich packen zu sagen: Das müssen wir ändern. Das Potenzial haben wir. Wir machen nur zu wenig daraus.

Doch da fängt das Problem doch schon an: Viele Verbände klagen über Nachwuchssorgen, die Absprungraten von der Jugend in den Erwachsenenbereich sind teilweise erschreckend. Ist Sportlersein in Deutschland noch immer eine riskante Entscheidung?

Das muss man so folgern, wenn man sich anschaut, wie viele Jugendliche bei Europa- oder Weltmeisterschaften im Nachwuchs Medaillen gewinnen, dann aber aufhören, bevor sie eine Olympiaperspektive bekommen. Auch unsere Aufgabe als Sporthilfe ist es, sicherzustellen, dass uns diese Talente nicht verloren gehen, dass wir sie bei der Stange halten, ihnen dabei helfen, sich für diesen Weg zu entscheiden.

Was tun Sie dafür konkret?

Wir geben Perspektive und Sicherheit, indem wir die Talente dabei unterstützen, sich weiterzuentwickeln, und ihnen gleichzeitig Möglichkeiten aufzeigen, wie sie sich mit einer Ausbildung oder einem Studium für die Zukunft wappnen können. Wir wissen alle, wie schnell im Sport Karrieren enden können – das ist auch den jungen Talenten klar. Wichtig ist es aber auch, sie überhaupt zu finden. Da ist der Breitensport das Fundament. Wir brauchen qualifizierte Lehrer für hinreichenden Sportunterricht und Unterstützung der Vereine.

Sie rücken die Jugend also auch in der Förderung weiter in den Fokus?

Definitiv. Wir bekommen oft von erfolgreichen Athleten das Feedback, mehr Geld in den Nachwuchs zu stecken. Viele sind gerade in der Zeit, in der sie noch nicht wissen, ob sie es bis ganz nach oben schaffen, auf Hilfe angewiesen. Wir können nicht erwarten, dass Eltern alle Kosten stemmen. Da ist es für uns gut, so etwas auch von denen zu hören, die den Weg nach oben schon gegangen sind und nun den Blick auf ihre Nachfolger haben.

Hat es Rückschläge wie beispielsweise die medaillenlose Leichtathletik-WM oder die maue Ausbeute bei der Schwimm-WM gebraucht?

Ja, ich glaube, dass negative Erlebnisse motivieren und in einer Gesellschaft höhere Veränderungsbereitschaft und konsequentes Handeln bewirken können. Die jetzige Regierung hat sich eine Veränderung des Sportfördergesetzes und eine Sportagentur in den Koalitionsvertrag geschrieben, was nun zeitnah beschlossen werden soll. Denn der Sport braucht dringend Reformen und neue Impulse.

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