Essen. IOC empfiehlt Rückkehr von Athleten aus Russland und Belarus auf Weltbühne. Dabei müsste es ukrainische Sportler schützen. Ein Kommentar.

Kennt Zynismus eigentlich Grenzen? Wer sich den Einschätzungen von Alexandra Xanthaki, UN-Sonderbeauftragten für kulturelle Rechte und IOC-Beraterin, widmet, dem stellen sich die Nackenhaare auf. Sportlerinnen und Sportler aus Russland und Belarus dürften für den von Wladimir Putin initiierten Angriffskrieg in der Ukraine nicht wegen ihrer Herkunft diskriminiert werden. Man könne ihnen die Teilnahme am Weltsport nicht verwehren, wenn sie sich neutral kleiden, den Krieg nicht aktiv unterstützen und – ganz wichtig – sich an den Anti-Doping-Code halten. Was heißt das eigentlich, den Krieg nicht aktiv zu unterstützen? Seine Meinung für sich zu behalten und sich nicht mal klar dagegen positionieren zu müssen? Im besten Fall kein Gewehr selbst abzufeuern, zumindest aber nicht gegen die Menschenrechte zu verstoßen?

IOC empfiehlt Rückkehr von Russland und Belarus - aber bitte neutral gekleidet

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Das Internationale Olympische Komitee hat sich dafür ausgesprochen, dass Sportler aus Russland und Belarus wieder an internationalen Wettkämpfen unter gewissen Bedingungen teilnehmen dürfen. Die Umsetzung liegt nun bei den Fachverbänden, denn für die Sommerspiele 2024 laufen bereits die ersten Qualifikationen. Wie es dann in Paris aussehen soll? Noch offen, das IOC spielt auf Zeit. Nur Athleten mit Verbindungen zur Regierung oder zum Militär bleiben genauso wie Mannschaften ausgeschlossen. Ein kleiner Erfolg mit Beigeschmack, denn: Wie viele Austritte aus dem Armeesportklub ZSKA wird es nun wohl hageln, um diesem Bannstrahl zu entkommen?

Die einzig richtige Konsequenz wäre der Komplettausschluss für Verbände, Funktionäre und Athleten, solange Putin seine Truppen nicht von fremdem Hoheitsgebiet abgezogen hat. Es würde vereinzelt russische Sportler geben, die unverschuldet für das völkerrechtswidrige Vorgehen Moskaus büßen müssten. So aber werden nun ukrainische Athleten vor die Entscheidung gestellt, ob sie um Siege und Medaillen rennen, springen und schwimmen sollen gegen Repräsentanten einer Supermacht, die über ihre Heimat Leid, Tod, Zerstörung gebracht hat. Das ist unzumutbar, das IOC muss sich vor die ukrainischen Sportler stellen und sie schützen.

IOC-Präsident Thomas Bach in Rio de Janeiro: Nach den Sommerspielen 2016 traten Russen nur noch als neutrale Athleten auf.
IOC-Präsident Thomas Bach in Rio de Janeiro: Nach den Sommerspielen 2016 traten Russen nur noch als neutrale Athleten auf. © DPA

Olympia: Mal macht das IOC Politik zunutze, mal fürchtet es deren Wirkung

Ob man auch zu einem anderen Entschluss kommen kann? Vielleicht. Fifa-Präsident Gianni Infantino hat ja schließlich auch nicht nur Widersacher, sondern in weiten Teilen der Welt Unterstützer. Als wären Korruption und grenzenlose Geldgier im Fußball nicht schon übel genug für den Sport, geht es in diesem Fall aber um Gewaltverbrechen an Menschen. Und Moskau nutzt erfolgreiche Sportler zu Propagandazwecken. Dass Russland viel Geld für Einfluss im Weltsport ausgegeben und am Staatsdoping aus Sowjet-Zeiten – wie 2015 aufgedeckt – festgehalten hat, spielt diesmal sogar eine untergeordnete Rolle bei der Frage, ob in Paris Athleten mit „Rossia“ bedruckten weißblauroten Trainingsanzügen starten dürfen.

Fecht-Olympiasieger Thomas Bach ist geprägt vom Kalten Krieg, vom Boykott der Spieler in Moskau 1980 beziehungsweise Los Angeles vier Jahre später. Als IOC-Präsident fürchtet er, dass politische Blöcke darüber befinden, wie Athleten und Funktionäre einander auf der Sportbühne begegnet. Man kann nur nicht Politik mal selbst sich zunutze machen (gesamtkoreanische Eishockey-Mannschaft 2018 in Pyeongchang) und mal durch sie „den Werteverfall des internationalen Sportsystems“ bedroht sehen.

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Je näher Paris zeitlich heranrückt, desto größer wird das Chaos. Sollte Putin irgendwann, sagen wir mal: im November oder vielleicht auch erst im nächsten März, seine Soldaten nach Hause gerufen haben, dürften die Sanktionen wohl vollständig fallen. Nicht im Ansatz ist erkennbar, wie das IOC darüber hinaus Nationen behandeln will, die Wertvorstellungen des olympischen Sports mit Füßen treten, Athleten für autokratische Staats-Propaganda benutzen, Völker- und Menschenrecht brechen. Und es ist völlig klar, dass man dann nicht allein über Russland sprechen muss.