Essen. Ex-Nationalspielerin Tabea Kemme kritisiert die Zusammensetzung der DFB-Taskforce. Sie hätte sich mehr Diversität gewünscht.

Tabea Kemme (31) gewann als Fußballerin die Champions League und wurde Olympiasiegerin. Heute arbeitet sie als Expertin bei Magenta TV – am Sonntag wird sie für den Streamingdienst das Finale zwischen Argentinien und Frankreich (16 Uhr) begleiten. Vorher übt sie scharfe Kritik an der DFB-Taskforce, die einen Nachfolger für Nationalelf-Chef Oliver Bierhoff finden soll.

Sie haben die neue Taskforce des DFB aufgrund fehlender Diversität kritisiert. Was genau stört sie?

Diversität ist ein großes gesellschaftliches Thema und auch der DFB hat es auf seine Karte geschrieben. Von daher hat mich die Zusammenstellung der Taskforce erschrocken. Grundsätzlich handelt es sich natürlich um erfahrene Fußballer, die die Vergangenheit stark geprägt haben. Dennoch bin ich der Meinung, dass die Probleme der Gegenwart nicht mit der Vergangenheit zu bewerkstelligen sind. Zudem finde ich diese Abhängigkeiten krass, wenn Oliver Kahn als Vorstands-Chef des FC Bayern ins Team der Nationalmannschaft einbezogen wird.

Wer hätte stattdessen Ihrer Meinung nach in die Taskforce gehört?

Letztlich geht es im Fußball um die Athletinnen und Athleten, da hätte der Verband etwa mit dem Mannschaftsrat Kontakt aufnehmen können – wobei das Vorgehen sehr intransparent war und wir nicht wissen, ob das möglicherweise geschehen ist. Wir feiern außerdem noch immer die Europameisterschaft der Frauen im Sommer ab. Warum holt man sich nicht von dort Expertise? Ich denke da an die Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg. Ich habe ohnehin kein Verständnis dafür, dass der DFB zwischen Frauen- und Männerfußball so stark differenziert. Letztlich machen wir genau das Gleiche. Warum kann man da nicht eine Ebene schaffen?

Kritik an Oliver Bierhoff gab es sportlich aufgrund des Abschneidens bei den vergangenen drei Turnieren, aber auch, weil er die Kommerzialisierung rund um „Die Mannschaft“ überdreht hat.

Unsere Nation ist zurzeit nicht so fußballfasziniert, was die Nationalmannschaft betrifft. Wir haben eine gewisse Sättigung und Unverständnis dafür, wie viele Dinge abgelaufen sind. Man hätte daher auch Fanvertreterinnen oder -vertreter zu dieser Taskforce hinzuziehen können. Ich sehe es als den Auftrag eines der stärksten Verbände der Welt mit sieben Millionen Mitgliedern, die Basis miteinzubeziehen. Die Relation zur Basis gibt es ja gar nicht mehr, die Bodenständigkeit ist völlig flöten gegangen. Daher hätte ich mir auch gewünscht, dass jemand gefragt wird, der nicht aus dem Profifußballkosmos kommt und eine ganz andere Sicht auf die Dinge hat. Dass man versucht, die Lösung des Systems im System zu suchen, ist das große Foul. Wir haben alle einen blinden Fleck, wenn es um uns selbst geht.

Warum wird all das jetzt so deutlich?

Es hat sich einfach eine Menge angestaut, was vor allem den Männern bei der WM auf die Füße gefallen ist. Das Karma hat gerade richtig gewonnen. In der erfolgreichen Zeit hinterfragst du dich nicht. Wenn es nicht läuft, kommt der wahre Charakter zum Vorschein. Die bietet auch eine riesige Chance. So sehr wir nun pöbeln, müssen wir auch wieder den Austausch finden, gerade mit Blick auf die Heim-EM 2024, wo wir wieder ein Fußballerlebnis zelebrieren wollen. Das entscheidende ist das „Wie“.

Also: Wie?

Ich kann aus eigener Erfahrung sprechen. Im inneren Kreis des Fußballs habe ich die Grundlagen gelernt, die eigentliche Weiterentwicklung fand immer außerhalb statt. Im Austausch mit anderen Sportarten, andere Nationen und Leuten, die nicht mal die Abseitsregel kennen. Ein Beispiel: Für uns war ein Aufwachmoment, dass wir mit der Hockey-Nationalmannschaft trainiert haben, weil sowohl Spielerinnen als auch Staff so versteift in ihren Verhaltensmustern waren. Die absolute Arroganz des Fußballs in Deutschland und die Selbstverständlichkeit, dass wir erfolgreich sind und deshalb von oben herab auf die Gesellschaft blicken, führen dazu, dass man von Menschen geerdet werden muss, die sagen: Was bildet ihr euch eigentlich auf euren Fußball ein? Das kriegst du nicht von jenen, die innerhalb eines Systems leben und sich selbst feiern, vieles in der Vergangenheit gerissen zu haben.

Überschattet wurde der Beginn des Turniers von der Debatte um die One-Love-Binde. Wie haben Sie diese erlebt?

Aus Sicht einer homosexuellen Frau war schon die One-Love-Binde ein herber Schlag, weil man versucht hat, einen Mittelweg zur Regenbogenbinde zu finden. Entweder ganz oder gar nicht. Das Athletinnen- und Athletendasein passt für mich null mit der Funktionärsebene zusammen. Wenn man sich nicht äußern kann, obwohl etwas auf der Zunge liegt, hemmt das meine Leistung. Wir suchen nach Führungsspielerinnen –, -spielern und Vorbildern. Wenn man denen aber nur den Rahmen vorgibt, wie sie sich verhalten dürfen und wie nicht, weil ihnen sonst eine Sanktion droht, ist das für mich ein großer Fehler.

Wie könnten diese Probleme gelöst werden?

Wir sind dabei, eine Spielerinnengewerkschaft zu gründen, weil wir es satthaben, dass immer nur über uns entschieden wird, obwohl wir auf dem Platz ja die Einflussreichsten sind, um unseren Sport darzustellen. Auch bei den Männern liegt dahingehend eine Menge Potenzial. Das Bewusstsein, dass es nicht nur ums Fußballspielen, sondern auch um gesellschaftliche Verantwortung geht, fehlt aber noch. Wir sind nicht mutig genug, unsere Werte zu zeigen, weil uns ständig dazu geraten wird, nicht aus der Reihe zu tanzen, da wir sonst einen riesigen Shitstorm zu erwarten haben.