Essen. ZDF-Reporter Béla Réthy hat am Mittwoch sein letztes WM-Spiel kommentiert. Er verabschiedet sich nach der Partie beim TV-Publikum.
„Ja, was ist denn hier los?“ Es gibt Sätze, scheinbar banal-selbstverständliche, die sich dennoch tief in die Erinnerung des Fernsehzuschauers eingraben und auf Jahre festsetzen. Béla Réthys in einem explosiven Ausbruch zusammengefasste Ratlosigkeit beim Halbfinalspiel der Fußball-WM 2014 des späteren Weltmeisters Deutschland gegen Brasilien gehört eindeutig dazu.
Béla Réthy: Eine Tüte Gummibärchen von Sandro Wagner
Wer wollte, konnte in dem Satz einen Hauch Frustration mithören, schließlich war der Sohn ungarischer Auswanderer, die ihr Land nach dem Volksaufstand 1956 erst nach Österreich und dann Richtung Südamerika verlassen hatten, bis zum zwölften Lebensjahr in Brasilien aufgewachsen. Die fünf Tore in den ersten 29 Minuten, die die schmerzhafte 1:7-Niederlage der damaligen Wahlheimat seiner Eltern einleiteten, werden ihn begeistert, aber tief im Inneren auch getroffen haben. Er bezeichnete das Spiel im Gespräch mit dem Spiegel als „eine der schwersten Kommentierungen meines Lebens“. Vor allem, weil, wie er sagt, „alles, was ein Fußballspiel ausmacht, Dramatik, Spannung, weg war“.
Béla Réthy hat am Mittwoch an seinem 66. Geburtstag sein letztes WM-Spiel für das ZDF kommentiert. Nach der Partie Frankreich gegen Marokko, das die Europäer mit 2:0 gewannen, verabschiedete sich der Kommentator mit persönlichen Worten in den Ruhestand. „Ich habe versucht, alle zu unterstützen und alle auch irgendwie mitzunehmen“, sagte er nach dem Spiel. „Es freut mich, wenn es gefallen hat, und sorry an die, die ich nicht erreichen konnte. Das ist nicht immer einfach. Auf jeden Fall muss ich sagen, liebe Zuschauer, war es mir eine große, große Ehre. Tschüss und adieu.“
Er habe von Experte Sandro Wagner an seiner Seite als Geschenk eine Tüte Gummibärchen „für den Kreislauf“ bekommen, berichtete er kurz vor Anpfiff. „Béla - macht Spaß mit dir, es ist echt schade, dass du aufhörst“, sagte der frühere Nationalspieler Wagner nach gut 60 Minuten des Spiels. „Danke, Vorbild. Danke, Legende“, sagte er nach Abpfiff.
Réthy war über Jahrzehnte eine Stimme des deutschen Fußballs. Weil Fußball eine emotionale Angelegenheit ist, reiben sich die Fernsehzuschauer natürlich auch am Kommentator, der erklären soll, warum das Geschehen auf dem Platz gerade so abläuft, wie es auf dem Bildschirm zu sehen ist. Nicht allein, aber vor allem wegen seiner kratzig-sonoren Stimme ist Réthy unverwechselbar.
Fußball-Deutschland verehrt und verteufelt ihn seit Jahren gleichermaßen. Die FAZ schrieb während der WM 2018 in Russland von „Plattitüden des Plapperers“. Andere meinten, er habe den Zeitpunkt verpasst zu gehen, wenn „einen Leute in guter Erinnerung“ haben. Seit Mexiko 1986 ist Réthy Teil des WM-Zirkus, seit den USA 1994 für das ZDF live dabei. Von 1996 bis 2018 kommentierte er alle Endspiele der Welt- und Europameisterschaften, die sein Sender übertrug.
Einst studentische Aushilfe im Archiv des ZDF
Réthy hat große Erfolge, aber auch schleichenden Niedergang beschreiben dürfen, beziehungsweise müssen. Das nimmt der Zuschauer persönlich. Und der Job ist persönlicher geworden, seit der Sportmoderator einst als studentische Aushilfe im Archiv des ZDF erstmals das Sendergelände auf dem Mainzer Lerchenberg betrat. Lange Zeit, dann schon am Reportermikrofon, blieb er in beinahe studentischer Anonymität: „Damals kannte mich kein Schwein“, erinnert er sich. Das hat sich geändert.
Zu den Höhepunkten seiner beinahe vier Jahrzehnte währenden Journalistenkarriere mit rund 380 Livekommentierungen zählte das Endspiel der Europameisterschaft 1996 in England. Damals hörte man einen Reporter, der seinem eigenen Ideal sehr nahe kam. Knappe, aber treffende Formulierungen, ein sachlicher Tonfall. Emotionen hielt sich Bela Réthy damals für wahrhaft emotionale Momente vor: für Oliver Bierhoffs Golden Goal und den Titelgewinn.
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Es waren andere Zeiten. Länderspiele liefen ausschließlich auf ARD und ZDF, die gigantische Vermarktungswelle des Fußballs hatte die Nationalmannschaft noch nicht erfasst. Unmut und Wut erreichte vor der Erfindung des Internets, ohne die nimmersatte Erregungsmaschine Twitter, in harschen Briefen den Kritisierten direkt. Das hatte noch eine Spur von Restrespekt.
Béla Réthy über sich: „Möbelstück im Wohnzimmer“
Wer das EM-Endspiel von 1996 noch einmal anschaut – und vor allem anhört –, muss feststellen, dass sich Réthy verändert, sich von den Marktschreiern des Privatfernsehens, von denen man meint, sie müssten dem Hamburger Fischhändler Aal-Dieter nacheifernd ein Produkt namens Fußball verkaufen, hat anstecken lassen. Das ZDF-Urgestein, das seinen Sender nie verlassen, sich an den Ausflügen seiner Kolleginnen und Kollegen in schräge Show-Formate nie beteiligt hat, geht mittlerweile sprachlich häufiger und weiter aus dem Sattel. Das macht ihn noch angreifbarer.
Béla Réthy sagte über sich und seine Rolle im Fernsehfußball: „Für viele bin ich ein Möbelstück im Wohnzimmer.“ Manch einer wird – um im Bild zu bleiben – meinen, dass es Zeit wird, umzudekorieren. Es mag abgestoßene Ecken haben. Aber vermutlich wird, wenn das Möbelstück erst mal ersetzt wurde, auffallen, wie sehr es fehlt.