Doha. Frankreich und Marokko verbindet eine wechselhafte Geschichte. Bei der WM treffen die Teams am Mittwoch im Halbfinale aufeinander.

Dies könnte hier auch die Elbphilharmonie in Hamburg sein; oder das Konzerthaus in Berlin. Am Dienstag sitzt Walid Regragui nicht mehr im kuscheligen Pressekonferenzraum 1, sondern im Virtual Stadium des Medienzentrums von Doha. Das Halbfinale einer WM lässt Mannschaften nun mal auf eine der größten Bühnen des Fußballs treten, deswegen versammeln sich die Journalisten nun in einem riesigen Saal, sogar auf Emporen könnten sie sich ausbreiten. Zahlreiche Kameras und Mikros nehmen auf, wie sich der marokkanische Trainer einen Tag vor dem größten Spiel der Fußball-Nationalmannschaft seines Landes gibt und was er erzählt.

Marokko trifft an diesem Mittwoch (20 Uhr/ZDF und MagentaTV) auf Frankreich, den Weltmeister, den viele im Halbfinale erwartet haben. Der Weg der marokkanischen Auswahl ist hingegen eine Sensation, die eine unterschätzte Region in ihren Bann zieht. Die arabische Welt versammelt sich hinter dem Staat im Nordwesten Afrikas, der afrikanische Kontinent unterstützt das Land. Genauso wie viele Menschen mit marokkanischen Wurzeln in Europa, die ihren Stolz über die Erfolge in den vergangenen Tagen auf den Straßen gefeiert haben. Nicht immer blieb es dabei friedlich.

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Nun befindet sich die Polizei in Paris in erhöhter Alarmbereitschaft, schließlich messen sich zwei Nationen, die eine lange und wechselhafte Geschichte verbindet. Es ist ein Duell, an dem sich die Probleme bei der Zuwanderung und der Integration aufzeigen lassen, aber auch die Chancen.

Regragui ist in Frankreich geboren

Walid Regragui ist ein Teil dieser Geschichte. Der 47-Jährige wurde in einer kleinen französischen Gemeinde geboren. In Corbeil-Essonnes, Paris erreicht man von dort aus mit dem Auto in knapp einer Stunde. Für seine Familie und Freunde sei das Spiel etwas Besonderes, sagt Regragui. „Aber ich bin Fußballtrainer, mir ist es egal, gegen wen wir spielen.“

Im Gespräch: Marokkos Trainer Walid Regragui (rechts) mit Abwehrspieler Achraf Hakimi beim Training am Dienstagabend.
Im Gespräch: Marokkos Trainer Walid Regragui (rechts) mit Abwehrspieler Achraf Hakimi beim Training am Dienstagabend. © AFP | AFP

Von 1912 bis zur Unabhängigkeit 1956 waren große Teile des heutigen Marokko der einstigen Kolonialmacht Frankreich unterstellt. Über eine Million Menschen mit marokkanischen Wurzeln leben in französischen Städten, oft in Problemvierteln, immer noch bekommen sie Ablehnung zu spüren, Rassismus. Dies ist keine Entschuldigung, aber ein Grund für die Gewalt, die teilweise bei den rauschhaften Feiern nach den Erfolgen in europäischen Städten herausbrach. Walid Regragui hat selbst viele Missstände in seiner Jugend erlebt. „Ja, ich komme aus einer anderen Nachbarschaft, aber ich werde mich nicht darüber beschweren“, erklärt er. „Ich versuche, ein gutes Beispiel zu sein.“ Sein Weg könne eine Inspiration sein für andere Menschen aus sozialen Brennpunkten. „Ich bin stolz darauf, aber meine Mission ist nicht, emotional zu werden.“

Wie häufig bei aufgeladenen Spielen, versuchen die Beteiligten, die politische Dimension auszublenden. „Es ist ein Fußballspiel, auch wenn es eine Geschichte zwischen unseren beiden Ländern gibt“, meint auch Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps.

Frankreich profitiert von Zuwanderung

In Frankreich schürt die rechtsnationale Partei Rassemblement National bewusst Vorbehalte gegen Menschen mit nordafrikanischen Wurzeln und feiert damit Wahlerfolge. Verständnis? Zusammengehörigkeit? Können so nur schwer entstehen, obwohl die französische Nationalmannschaft verdeutlicht, wie sehr eine Gesellschaft von Zuwanderung profitieren kann. Einen Großteil seiner Stärke hat der Weltmeister durch Spieler mit einer Einwanderungsbiographie. Zinédine Zidane (50), der wohl größte Fußballer in der Geschichte des Landes, stammt aus Algerien. Der aktuelle Star Kylian Mbappé (23) hat einen kamerunischen Vater und eine algerische Mutter.

Meikel Schönweitz, Leiter der U-Nationalmannschaften des Deutschen Fußball-Bundes, hat im Interview mit dieser Redaktion einmal die Erfolge der Talentausbildung in Frankreich auch mit den sozialen Problemen des deutschen Nachbarn begründet. „In anderen Ländern ist der Fußball oftmals die einzige Chance, seine sozialen Verhältnisse grundlegend zu ändern“, sagte Schönweitz.

Vorbereitung aufs Halbfinale: Frankreichs Superstar Kylian Mbappé beim Training am Dienstagabend.
Vorbereitung aufs Halbfinale: Frankreichs Superstar Kylian Mbappé beim Training am Dienstagabend. © AFP | AFP

Kein anderes Land bringt derzeit so viele spektakuläre Fußballer hervor, dadurch kann Frankreich an diesem Mittwoch zum zweiten Mal nacheinander ins Finale einziehen. Oder aber es schafft zum ersten Mal ein afrikanisches Team den Weg ins Endspiel. Marokko soll dabei ein ähnlicher Plan wie schon gegen Spanien im Achtelfinale (3:0 im Elfmeterschießen) und gegen Portugal im Viertelfinale (1:0) helfen, also mit Leidenschaft verteidigen und auf Patzer des Gegners hoffen.

Zehntausende Marokkanerinnen und Marokkaner im Stadion

Frankreichs Trainer Didier Deschamps bezeichnet die Abwehr Marokkos als die beste Defensive des Turniers, gegen die bislang keiner eine Lösung gefunden habe. Obendrauf kommt die Unterstützung der Fans. Zehntausende Marokkaner und Marokkanerinnen werden im Al-Bayt-Stadion erwartet. Hugo Lloris, Kapitän der Franzosen, glaubt an eine „feindselige Atmosphäre“. Im Viertelfinale wurden die Portugiesen bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen.

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Marokkos Trainer Walid Regragui kündigt an, dass seine Mannschaft fest entschlossen sei, „die Geschichtsbücher umzuschreiben. Wir wollen für Afrika gewinnen, für all jene, die immer davon geträumt haben“. Für ihn sei es aber auch eine Ehre, in dem Land des kommenden Gegners geboren zu sein. Ausschreitungen, wie es sie gegeben hat, sollten nicht passieren, mahnte Regragui. „Fußball sollte ein Fest sein.“ Und: „Wenn wir es nicht schaffen, werden wir Frankreich gratulieren und im Finale unterstützen.“

Wohltuend, wenn die große Bühne des Halbfinales für versöhnliche Töne genutzt wird.