Berlin. Vor den Welt- und Europameisterschaften will Sprinterin Gina Lückenkemper bei den Finals in Berlin ihre Topform bestätigen. Ihre Pläne.

Kofferpacken ist nicht Gina Lückenkempers Lieblingsdisziplin. Das kann die Sprinterin vom SCC Berlin herrlich lange vor sich herschieben. Kuscheleinheit mit Dackel Akira, zwischendurch noch einen Kuchen backen, aber alles weit weg von dem Gepäckstück, das mit Sportklamotten, Schuhen und sonstigem Kram gefüllt werden will.

Weil die 25-Jährige aber nicht nur über 100 Meter im Eiltempo unterwegs ist, wird das lästige Packen nie zum echten Problem. Gute Voraussetzungen für diesen Sommer. Finals in Berlin, Weltmeisterschaften in Eugene (USA), Europameisterschaften in München und dazwischen immer wieder nach Hause – Koffer aus- und natürlich auch wieder einpacken.

Die nationale Konkurrenz läuft Lückenkemper hinterher

Die erste Hürde hat Lückenkemper schon gemeistert. Seit Donnerstag ist sie in Berlin, freut sich auf die Rückkehr ins Olympiastadion, auf die blaue Bahn. „Das Berliner Olympiastadion ist und bliebt mein Lieblingsstadion – das ist kein Geheimnis“, sagt sie vor ihrem Auftritt am Sonnabend (19.30 Uhr) bei den Deutschen Meisterschaften.

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Sie ist die große Favoritin. Während sich die Konkurrenz um Alexandra Burghardt und Lisa Mayer mit Verletzungen und Corona-Infektionen rumplagen musste, zauberte Lückenkemper vor zwei Wochen in Wetzlar Fabelzeiten auf die Bahn. 11,04 Sekunden – so schnell war die EM-Zweite von 2018 seit vier Jahren nicht mehr.

„Ich habe am Tag vorher zu meinem Freund schon gesagt, dass ich in Wetzlar auf jeden Fall Saisonbestzeit laufen werde. Ich habe einfach gemerkt, dass ich gut drauf war. Der Körper war frisch“, erzählt sie. Die WM-Norm ist geschafft, die Richtzeit für die EM sowieso.

Lückenkempers Arbeit in Florida soll sich auszahlen

Überrascht war die Berlinerin von ihren Ergebnissen nicht. Im Training bei Lance Brauman in Clermont ist sie im Frühjahr öfter Zeiten gerannt, die für eine Topform sprachen. „Aber Training und Wettkampf sind zwei komplett unterschiedliche Paar Schuh“, weiß auch Lückenkemper. Und trotzdem: „Es lief, im wahrsten Sinne des Wortes.“

Deutschlands Vorzeige-Leichtathletin ist wieder da, wo sie 2018 schon war. An der nationalen Spitze, auf dem Sprung in die internationale Elite. Dieser Sommer, er könnte der Sommer ihrer Karriere werden. Drei Saisonhöhepunkte innerhalb von acht Wochen, dazu eine Topform und das passende Selbstvertrauen. „Ich trainiere seit drei Jahren da drüben und hatte in diesen drei Jahren echt viel Pech“, sagt Lückenkemper über ihre Zeit in Florida, in der sie immer wieder wegen Muskelverletzungen pausieren musste. „Jetzt ist es endlich an der Zeit, dass die ganze Arbeit Früchte trägt.“

Zeiten unter elf Sekunden traut sich Lückenkemper zu

Dass die ersten Rufe nach Zeiten unter elf Sekunden laut werden, stört Lückenkemper nicht. Auch da hat ein Umdenken geholfen. Dass sie die Normen schon erfüllt hat, nimmt ihr Druck. Und dass sie dazu in der Lage ist, Zeiten zu laufen, bei denen die Zehn vor dem Komma steht, das hat sie schon bewiesen. 10,95 Sekunden bei WM 2017 in London ist noch immer ihre persönliche Bestleistung.

„Wenn Kopf und Körper so mitmachen, wie das aktuell der Fall ist, sollte einer solchen Zeit eigentlich nichts im Wege stehen“, sagt die Sprinterin des SCC. „Klar, dafür muss alles passen, aber ich halte es nicht für unmöglich und ausgeschlossen.“

Schnallmauer geknackt: 2017 lief Gina Lückenkemper bei der WM in London im Vorlauf die 100 Meter zum ersten Mal unter elf Sekunden.
Schnallmauer geknackt: 2017 lief Gina Lückenkemper bei der WM in London im Vorlauf die 100 Meter zum ersten Mal unter elf Sekunden. © dpa

Dass sie mit solchen Ankündigungen in den Sommer gehen kann, liegt nicht nur an ihrem Selbstbewusstsein. Neuerdings sitzt Lückenkemper mit dem linken Fuß vorn im Startblock. Als der Deutsche Leichtathletik-Verband im April sein Trainingslager in Florida aufschlug, fiel beim Staffel-Training auf, dass Lückenkemper mit dem linken Bein „bedeutend schneller aus dem Quark“ kommt, wie sie erzählt.

Lockerheit soll Lückenkempers Schlüssel zum Erfolg werden

Die Umstellung lief zwar etwas holprig, mittlerweile hat ihr Körper das neue Bewegungsmuster aber verinnerlicht. Ebenso wie die Tatsache, nicht zu viele äußere Einflüsse an sich heranzulassen. Nach ihren Erfolgen 2017 und 2018 sollte sie der neue Stern am Leichtathletik-Himmel werden. Dass Hochgelobte aber auch tief fallen können, bekam Lückenkemper zu spüren.

Die Erwartungen waren riesig. Verletzungen, mentale Blockaden und nicht zuletzt die Corona-Pandemie verhinderten den Weg auf den Sprint-Olymp. Verrisse in den Medien, Shitstorms bei Instagram und Co. – mittlerweile liest sie sich sowas gar nicht mehr durch. Negativität, sagt die Athletin, hat sie aus ihrem Leben verbannt. „Das hat echt Energie geraubt.“

Energie, die sie sich bei Spaziergängen mit ihrem Dackel zurückholt. Oder beim Lesen eines guten Romans. Die Lockerheit soll eben nicht verloren gehen. Sie ist Voraussetzung für einen erfolgreichen Sommer. „Ich habe mir als Ziel gesetzt, Spaß zu haben und das Ganze zu genießen“, sagt Gina Lückenkemper. Natürlich hat sie auch noch ambitioniertere Vorstellungen. Die bleiben aber ihr Geheimnis.