Budapest. Schwimmer Florian Wellbrock gewann in Tokio Olympia-Gold. Warum er von einem perfektes Rennen spricht und was er von der WM in Budapest erwartet.
Der deutsche Schwimm-König wurde von Kaiserwetter empfangen. Bei strahlendem Sonnenschein kehrte Florian Wellbrock ins Teamhotel auf der Margareteninsel ein – doch zum Urlaub machen ist der Olympiasieger nicht nach Budapest gereist. Er will bei der Weltmeisterschaft (von heute bis 3. Juli) den Aufschwung im deutschen Schwimmsport fortsetzen. Dazu lohnt es für den 24 Jahre alten Magdeburger, auch noch mal auf die Spiele in Tokio zurückzublicken – auf ein perfektes Rennen.
Herr Wellbrock, vor einem Jahr lagen die EM in Budapest gerade kurz hinter und die wegen Corona verlegten Olympischen Spiele von Tokio eineinhalb Monate vor Ihnen. Auch mit Blick auf Ihre weniger gelungene Olympia-Premiere 2016 in Rio – wie fühlt sich Ihr Leben als Leistungsschwimmer momentan an?
Florian Wellbrock: Es fühlt sich sehr, sehr gut an. Gerade im Rückblick auf meine ersten Olympischen Spiele kann man bei mir einfach diese stetige Entwicklung sehen und begutachten. Und das gibt mir – für alles, was noch kommt – sehr viel Selbstvertrauen und Kraft.
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Spüren Sie auch ein Gefühl der Erleichterung?
Wellbrock:Auf jeden Fall. Erleichterung – oder Seelenfrieden, wie immer man das nennen will. Der Olympiasieg hat mich ein bisschen stolzer gemacht – aber auch leichter. Ich habe extrem lange auf dieses Ziel hingearbeitet und gehofft, dass es endlich funktioniert. An diesem Tag das olympische Gold abgeholt zu haben, das löst irgendwie erst einmal alle Sorgen und Probleme in Luft auf.
Ihnen geht es also nicht wie der amerikanischen Turnerin Simone Biles oder der japanischen Tennisspielerin Naomi Osaka, die von dem enormen Druckgefühl, von psychischen Problemen und Angstzuständen berichteten, die ihre Erfolge mit sich zogen?
Wellbrock:Gerade was das Mediale, den äußeren Druck angeht – das nehme ich eigentlich gar nicht so wahr. Ich setze mich selber ein bisschen unter Druck. Bei den angesprochenen Sportlerinnen ist es eine ganz andere Situation. Simone Biles zum Beispiel hat 2016 vier Goldmedaillen geholt. Und bei ihr war es in Tokio dann so: Entweder sie gewinnt, oder alle sind unzufrieden. Wenn man in eine solche Position geschoben wird, ist es noch mal eine ganz andere Herausforderung als die, die ich gerade zu bewältigen habe.
Sie empfinden den Olympiasieg im Becken, den Sie nach Ihrer Goldmedaille im letzten Jahr im Freiwasser noch erreichen wollen, als vergleichsweise kleine Herausforderung?
Wellbrock: Das kann man schon ungefähr so in Worte fassen. Es wäre dann eben ein anderer olympischer Titel. Aber das setzt mich jetzt nicht mehr oder weniger unter Druck. Die Situation in Paris wird dann ähnlich sein. Da müssen wir einfach schauen, dass wir im Becken ein bisschen schneller schwimmen als in Tokio.
Mit diesem ‚Wir‘ meinen Sie sicherlich auch Bundestrainer Bernd Berkhahn, der zugleich Ihr Heimtrainer in Magdeburg ist. Was zeichnet ihn besonders aus?
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Wellbrock: Bernd Berkhahn ist durch und durch Perfektionist. Er ist ein Mensch, der sportlich betrachtet sehr, sehr schwer zufriedenzustellen ist. Gerade was Technik und Geschwindigkeit und solche Dinge angeht, da geht bei ihm immer noch ein bisschen mehr. Andere Trainer wären schon früher zufrieden.
Sie sind mit 17 von Bremen ins Internat nach Magdeburg gegangen. Fiel Ihnen dieser Wechsel eigentlich schwer? Und war er für Sie alternativlos?
Wellbrock: Sowohl als auch. Es war alternativlos – denn wenn ich mich weiterentwickeln wollte, konnte ich nicht in Bremen bleiben. Aber der Wechsel ist mir schon auch schwergefallen. Zu Hause hatte ich wirklich eine Übermutti, die sich um alles gekümmert, mir alles abgenommen hat. Im Internat dagegen musste ich mich, neben der Schule und dem Sport, auf einmal um Dinge wie Wäsche waschen und einkaufen gehen kümmern. Eigentlich ganz lapidare Dinge. Aber die muss man mit 17 erst mal bewerkstelligen.
Bei der WM in Budapest treten Sie auf vier Strecken an. Was sind Ihre Ziele für die Titelkämpfe in Ungarn? Und sehen Sie dieses Jahr, in dem im August ja auch noch eine EM ansteht, als eine Durchgangsstation zu den Spielen in Paris an – die ja auch nur noch zwei Jahre entfernt sind?
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Wellbrock: Wenn man das große Ganze betrachtet, ist dieses Jahr schon eine Durchgangsstation – und Paris ist wieder das große Ziel. Jetzt bei der WM habe ich natürlich die Mission Titelverteidigung über 1500 Meter und auch über die zehn Kilometer vor der Brust. Das wird schon Herausforderung genug. Dazu kommen die 800 Meter im Becken. Da würde ich ganz gerne endlich mal den Schritt aufs Podium schaffen. Und auf den fünf Kilometern im Freiwasser möchte ich zum Abschluss noch die bestmögliche Leistung zeigen und auch da um eine Medaille mitkämpfen. Außerdem reizt mich diese Gesamtherausforderung, jetzt wirklich so viele Wettkampfkilometer vor der Brust zu haben.
Ihr italienischer Konkurrent Gregorio Paltrinieri sagte nach Ihrem Olympiasieg, Sie seien ein Rennen von einem anderen Planeten geschwommen. Treibt Sie eigentlich auch das Ziel an, irgendwann das perfekte Rennen zu schwimmen? Oder waren die zehn Kilometer von Tokio schon das perfekte Rennen?
Wellbrock: Die zehn Kilometer von Tokio waren perfekt. Das war ein Rennen, das es in der Geschichte so noch nie gegeben hat. Und ich bin gespannt, wann und ob es so etwas wieder geben wird. Was mich noch antreibt und motiviert, ist der Gedanke, ob die Titelverteidigung über die zehn Kilometer in Paris möglich wäre. Oder die Frage: Bin ich in Paris in der Lage, olympisches Gold auch im Becken zu holen? Kann ich dort eventuell Doppel-Gold holen? Kann ich über die 1500 Meter den Europarekord oder irgendwann auch den Weltrekord brechen?
Sie schwimmen pro Jahr zwischen 3000 und 3500 Trainingskilometer, zudem bezeichnen Sie das Wasser als eine ‚Traumwelt‘ für Sie. Ist das nicht ein Widerspruch? Geht das überhaupt zusammen?
Wellbrock: Auf jeden Fall. Ich finde es einfach immer wieder schön, in dieses – ich sage mal: fremde – Element hinein zu springen. Diese Schwerelosigkeit zu fühlen, dass ich mehr oder weniger schwebe. Die Geräuschkulisse unter Wasser ist eine ganz andere. Das sind einfach Dinge, die ich unheimlich schön finde. Und deswegen spreche ich gerne von einer Traumwelt.
Ihre Frau und Schwimmkollegin Sarah sprach einmal offen von großen familiären Problemen, die sie als junge Erwachsene vor allem mit ihrer Mutter hatte. Sie dagegen erzählen von Ihrer Übermutti Anja. Verspüren Sie trotz dieses Gegensatzes – oder vielleicht auch deswegen – eine Seelenverwandtschaft zueinander?
Wellbrock: Wenn man sich so liebt und den Partner auch so braucht wie wir beide, dass man die Entscheidung trifft, zu heiraten, kann man schon von einer Seelenpartnerschaft sprechen. Wir ergänzen uns in unserem Arbeitsalltag und auch in unserem privaten Umfeld sehr gut. Jeder hat so den passenden Deckel für seinen Topf gefunden. Deswegen möchte ich diesen Menschen an meiner Seite auch nie wieder missen.
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Sie haben Ende letzten Jahres relativ früh, mit 24, geheiratet. Hatte dieser Entschluss auch mit Ihrem Tattoo ‚Genieß‘ dein Leben ständig, du bist länger tot als lebendig‘ zu tun?
Wellbrock: Das resultiert vielleicht ein bisschen aus meiner Lebensphilosophie, die irgendwo auch mit dem Tattoo übereinstimmt. Ich bin aber auch der Meinung, dass es kein passendes Alter für eine Heirat gibt. Wenn man der Ansicht ist, dass man wirklich den richtigen Menschen gefunden hat und außerdem die notwendige Reife dafür mitbringt, um diesen Schritt zu gehen, dann ist es, glaube ich, vollkommen egal, ob man 20, 25 oder 35 ist. Da muss man einfach aufs Herz hören und diesen Weg gehen.