Budapest. Die deutsche Nationalmannschaft hadert mit ihrem schwachen Spiel in Ungarn. Am Dienstag gegen Italien soll unbedingt ein Sieg her.

Bislang ist Oliver Bierhoff weitgehend verschont geblieben, auch mit 54 Jahren hat sein Haupthaar noch weitgehend die natürliche Farbe – nur an den Schläfen wird es langsam grau. Deswegen konnte er auch lächeln, als er in der Budapester Puskas-Arena vor der deutschen Kabine stand und auf das Treiben seiner Erben angesprochen wurde, das in einem wenig erfreulichen 1:1 (1:1) gegen Ungarn geendet war.

Bierhoff ist heute Nationalmannschaftsmanager, er war aber selbst mal torgefährlicher Mittelstürmer. Ob er nicht graue Haare bekomme, wenn er die Chancenverwertung der aktuellen deutschen Angreifer sehe, wollte jemand wissen. Da lächelte Bierhoff. „Jeder Fan bekommt graue Haare, wenn man Chancen nicht nutzt“, antwortete er. Sollte das stimmen, dürften einige Deutsche auffällig ergraut in die Heimat zurückgekehrt sein.

Nationalmannschaft: Unpräzise und uninspiriert

Ihre Mannschaft hatte in Ungarn wahrlich kein Offensivfeuerwerk abgebrannt. Im Gegenteil, sie hatte manche Bälle schon im Spielaufbau hergeschenkt, sie hatte auch vorne meist zu unpräzise, zu uninspiriert, zu behäbig agiert, um die tiefstehende Fünfer-Abwehrkette der Gastgeber wirklich in Nöte zu stürzen. Aber sie hatte genügend klare Chancen herausgespielt, um die Partie auf ihre Seite zu zwingen. Doch Kai Havertz köpfte völlig freistehend vorbei (19.), Timo Werners Schuss aus guter Position ging völlig fehl (42.), und Jonas Hofmann lief zwar ungestört aufs Tor zu, brachte den Ball aber nicht zum mitgelaufenen Werner (72.). Was auch Hofmann selbst fassungslos hinterließ: „Das muss ein Tor sein, da haben die Synapsen nicht richtig gezündet“, sagte er einigermaßen konsterniert.

Der Flügelspieler hatte ja immerhin vorher das 1:1 gemacht, als er einen langen Ball technisch hochwertig an Torhüter Peter Gulacsi vorbeilegte und einschob (9.) – was zumindest den frühen Rückstand durch Zsolt Nagy (6.) egalisierte.

Hofmanns Offensivkollegen gelang da deutlich weniger, insbesondere Werner gab mal wieder den Stürmer von der traurigen Gestalt. Das Sturmzentrum bleibt eine Problemposition, aber nicht die einzige. „Ich würde es unter dem laufen lassen, dass bei uns komplett in der Mannschaft die Überzeugung fehlt“, sagte Bundestrainer Hansi Flick über Werner. „Es ist schon so, dass er einen großen Aufwand hat und versucht, den Gegner unter Druck zu setzen. Dass er sich immer wieder anbietet. Aber wir haben einfach zu wenige Torchancen, das ist es letztendlich im Moment bei uns, dass uns da die Überzeugung fehlt, vielleicht auch einer den Mut fasst und aus der zweiten Reihe abzieht.“ Zudem fehlt es an Präsenz und Wucht im Strafraum.

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Es gibt eben keinen Spielertypen mehr, wie Bierhoff ihn verkörperte. „Das ist sicher auch eine Folge unserer Ausbildung in den letzten Jahren“, meinte der DFB-Direktor. „Das müssen wir jetzt kompensieren durch mehr Kombinationsfußball und die Dribbelstärke unserer Spieler.“ Davon aber war nicht viel zu sehen, auch weil die Nationalmannschaft einige weitere Probleme mit sich herumschleppt: Auf den defensiven Außenpositionen fehlt gehobene Klasse, David Raum auf links etwa wurde von den ungarischen Flügelspielern immer wieder böse eingedreht. Die Abwehr wackelte teils bedenklich, so dass Torhüter Manuel Neuer das Unentschieden retten musste. Und wichtige Spieler wie Leroy Sané, der gar nicht zum Einsatz kam, und Leon Goretzka sind völlig außer Form.

DFB-Team: Rückfall in Querpass-Zeiten

Man hat zuletzt viele Beschwerden gehört über das außergewöhnliche Weltmeisterschaftsjahr 2022, über das Turnier, das einfach im Winter in den Spielplan gerammt wurde, weil man nach der Vergabe völlig überrascht feststellte, dass es im Sommer in Katar ziemlich heiß sein kann. Der deutschen Mannschaft aber kommt das nun entgegen, in der aktuellen Verfassung wären die Chancen auf ein gutes Turnier überschaubar. „Vom Ergebnis her und von der Art und Weise, wie wir das Spiel angegangen sind, war es für uns ein Rückschritt“, räumte auch Flick ein. Das vierte 1:1 in Serie war zu wenig für die eigenen Ansprüche, das betonten auch die Spieler durchweg. Das Spiel in Ungarn war ein Rückfall in betuliche Querpass-Zeiten – und warf prompt die Frage auf, ob diese Mannschaft vielleicht gar nicht jene gehobene Qualität hat, die ihr zugeschrieben wird.

So weit allerdings wollte Flick nicht gehen: „Ich denke, die Mannschaft wird aus diesem Spiel sehr, sehr viel lernen“, sagte der Bundestrainer. „Das ist für mich das Positive. Alles andere werden wir wieder genau analysieren. Dann werden wir versuchen, am Dienstag gegen Italien zu Hause einen Sieg einzufahren.“ Die Vorbereitung darauf ist ungewöhnlich: Noch bis Montag bleibt die deutsche Mannschaft in Budapest und bezieht nach dem Rückflug erst am Tag vor dem Spiel gegen Italien in Mönchengladbach (Dienstag, 20.45 Uhr/ZDF) ihr Quartier in Düsseldorf. Immerhin einen freien Abend mit einem Mannschaftsessen gestattete Flick.

Ein wenig Entspannung also – das soll ja ganz gut gegen graue Haare vorbeugen.