Dortmund. Gescheitert, nur weil man nicht Meister wird – davon müsse man wegkommen, sagt Michael Zorc, Sportdirektor von Borussia Dortmund.
In der „Geschäftsstelle Sport“ auf dem Trainingsgelände von Borussia Dortmund im Ortsteil Brackel nimmt Michael Zorc vor einem Foto Platz, das die Gründerväter des Vereins aus dem Jahr 1909 zeigt. „Aber nicht, dass man noch glaubt, dass ich zu denen gehöre“, sagt er lachend. Ein berechtigter Hinweis, denn eigentlich war er ja schon immer da. Am Ende dieser Saison aber ist Schluss, der 59-jährige Sportdirektor und frühere Kapitän des BVB hört auf. Zeit für ein Gespräch vor dem Spitzenspiel beim FC Bayern am Samstag (18.30 Uhr/Sky).
Zum letzten Mal in offizieller Funktion bei einem Spiel gegen die Bayern – was löst das bei Ihnen aus, Herr Zorc?
Michael Zorc: Zuerst mal die Hoffnung, ein besseres Spiel und ein besseres Ergebnis zu erleben als in den letzten Jahren. Es wird mal Zeit, dass wir dort eine richtig gute Leistung zeigen und auch was mitnehmen.
Wenn Sie sich an Spiele gegen die Bayern erinnern, ob als Spieler oder als Sportdirektor – welche fallen Ihnen dann auf Anhieb ein?
Das 5:2 im Pokalfinale vor zehn Jahren in Berlin war natürlich ein großartiger Triumph, damit haben wir ja gleichzeitig das Double perfekt gemacht. Leider haben wir damit auch eine Gegenoffensive der Bayern über ein Jahrzehnt ausgelöst, weil die Schmach für sie damals womöglich zu heftig war. Als Aktiver erinnere ich mich gerne an das Tor gegen Olli Kahn zum 3:1-Sieg 1995, als der Ball vor der Südtribüne im Knick einschlug – das war eines meiner schönsten Tore.
Die Bayern sind in dieser Saison durchaus verwundbar. Sie haben gegen Gladbach im DFB-Pokal mit 0:5 verloren und sind in der Champions League gegen den Außenseiter Villareal ausgeschieden. Ärgert es Sie als Sportdirektor von Borussia Dortmund, dass der BVB es in einer solchen Saison nicht schafft, einen Titelzweikampf auszurufen?
Ihre Vorrede ist nur die halbe Wahrheit, weil die Punktezahl der Bayern in der Liga trotzdem mehr als gut ist, vergleichbar mit ihren besten Jahren. In der Liga schwächeln die Bayern eben nicht.
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Die allgemeine Erkenntnis beim BVB ist, dass es der Mannschaft an Konstanz und damit an Verlässlichkeit fehlt. Diese Analyse aber gibt es nicht erst unter Trainer Marco Rose, sondern schon länger. Was sind die Ursachen dafür, was ist schief gelaufen?
Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Weil ich sie zum Teil auch als unfair empfinde. Denn es wird immer ein Bezug zu Bayern München hergestellt. Wir werden fast immer Zweiter – und es ist vielen Leuten nicht gut genug. Dabei ist das ein ungleiches Rennen. Wir haben im letzten Geschäftsjahr 285 Millionen Euro weniger Umsatz gemacht als der FC Bayern. Dieser Unterschied führt dazu, dass sich die Bayern, was die Gehälter angeht, circa zehn Gnabrys mehr leisten können als wir. Wenn sie nicht ganz grobe Fehler machen, ist das Ergebnis auf Strecke eben relativ klar. Und ich befürchte, das wird sich auch in den nächsten Jahren nicht ändern. Aber das rechtfertigt auf der anderen Seite natürlich nicht unser Ausscheiden im DFB-Pokal beim FC St. Pauli, unser Ausscheiden aus der Champions-League-Gruppe gegen Sporting Lissabon und auch nicht anschließend aus der Europa League gegen Glasgow Rangers.
Also gibt es doch auch eine interne Problematik.
In dieser Saison haben wir viele Verletzungssorgen, die schwer zu erklären sind. Wenn ein Erling Haaland in weniger als 50 Prozent der Spiele zur Verfügung steht, hat das Einfluss auf das Abschneiden. Und hier geht es längst nicht nur um Erling, sondern um ganze Mannschaftsteile. So ganz trage ich die Kritik nicht mit. Und das nicht, weil ich etwas schönfärben möchte. Aber klar: Für den zweiten Platz klopft dir keiner mehr auf dem Westenhellweg in Dortmund auf die Schulter. Diese Stimmung ist eine Gefahr für den Klub und seine 800 Mitarbeiter. Wir müssen davon wegkommen, dass man als gescheitert gilt, wenn man nicht Meister wird. Letzteres wird der Normalfall sein, und wir müssen dennoch die Möglichkeit haben, Zufriedenheit zu erreichen. Bei unseren 800 Mitarbeitern, aber auch auf der Fanseite.
Reden Sie bei der Planung für die nächste Saison noch mit?
Es ist mir wichtig, dass Sebastian Kehl jetzt über Verträge, die in die Zukunft reichen, entscheidet. Aber wir arbeiten Tür an Tür und sprechen täglich auch über den Kader und unsere Perspektive.
Der BVB wurde auch in den Medien für seine Transferpolitik gelobt, als in den vergangenen Jahren mehrere Spieler aus der Bundesliga geholt wurden, die in Dortmund den nächsten Karriereschritt machen sollten. Der aber ist bei einigen ausgeblieben. Was ist der Grund dafür? Bequemlichkeit? Zufriedenheit mit dem besseren Verdienst? Oder ist die Hürde zu hoch?
Wir haben es nicht geschafft, diese Spieler auf das nächste Level zu hieven. Das ist in der Häufung zu oft passiert, dafür müssen wir uns auch kritisch hinterfragen. Wir haben aber auch eine spezielle Drucksituation in Dortmund. Der eine kommt damit nicht so klar, der andere setzt sich vielleicht keine neuen Ziele. Schritte nach vorne haben wir eher erreicht über unsere internationalen Top-Talente, die uns nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sportlich geholfen haben. Ich erinnere an die Tore, die Aubameyang, Dembélé, Sancho oder jetzt Haaland für uns geschossen haben.
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Der Erfolg dieses Geschäftsmodells steht außer Frage. Aber am Ende lief es nicht immer sauber ab, manche haben sich sogar weggestreikt. Auch ein Erling Haaland wirkte zuletzt nicht immer so, als sei er noch mit ganzem Herzen dabei.
Einspruch, Euer Ehren! Alles, was bei Erling Haaland passiert, passiert auf Vertragsgrundlagen. Wir sind total ruhig. Sie machen den Fehler, dass Sie uns aufgrund der täglichen Medienschlagzeilen eine Unruhe und Genervtheit attestieren, die es de facto gar nicht gibt. Und ich verstehe die Fans, die das glauben, weil sie es täglich lesen oder hören. Hier gab es ehrlich gesagt nur einen, der sich weggestreikt hat, das war Dembélé, und das war unschön. Bei Aubameyang muss ich deutlich differenzieren, der hat hier vier Jahre performt, war ein Publikumsliebling. Am Ende war es ein halbes Jahr zu lang. Ein Sancho war ja auch vier Jahre hier. Was uns nicht gefällt, ist die immer kürzer werdende Verweildauer, weil das ganze Fußballgeschäft noch hektischer geworden ist. Aber die Gesellschaft eben auch. Es wird für uns eine Herausforderung sein, zu versuchen, solche Top-Jungs länger bei uns zu halten.
Besteht eine Gefahr darin, dass solche Spieler den BVB nur als Durchgangsstation sehen und den BVB bei der Karriereplanung benutzen? Die Fans sehnen sich nach Typen, die sich wie sie mit dem Verein identifizieren.
Das sehe ich nicht so einseitig, das ist eine Win-Win-Situation. Auch bei Erling Haaland. Er hat sich bei uns entwickelt, und wir haben von ihm profitiert. Da kann man jetzt zwar sagen, man hätte ihm keine Ausstiegsklausel geben dürfen. Aber dann hätte man ihn gar nicht bekommen. Für diese Jungs aus dieser Talentkategorie sind wir der attraktivste Klub in Europa. Deshalb sollte das auch ein wichtiger Teil unseres Geschäftsmodells bleiben. Denn die fertigen 1a-Spieler gehen zu Manchester City. Oder zu Bayern München.