Amsterdam. Jamal Musiala präsentiert gegen die Niederlanden seine außergewöhnlichen Fähigkeiten. Muss für ihn ein namhafter Profi weichen?

An den Wänden erinnerten Bilder an Größen der Amsterdamer Klub-Geschichte, Dennis Bergkamp, Patrick Kluivert, Edgar Davids. Vorne auf dem Podium schaute Jamal Musiala auf den Boden, das Testspiel zwischen den Niederlanden und Deutschland war gerade abgepfiffen worden. Jetzt hockte der 19-Jährige im Medienraum der Johann-Cruyff-Arena auf einem Drehstuhl, drehte sich nach links, rechts, wieder links, die Hände versteckte er unter einem Tisch. Wie ein Schüler, der sich nach der großen Pause sehnt, aber weiß, dass er noch einen Vortrag halten muss. Musiala sollte erzählen, wie er diesen aus seiner Sicht bemerkenswerten Abend erlebt hatte.

Beim 1:1 (1:0) schien der Nationalspieler jeden Pass des Gegners zu erahnen, jede Bewegung vorauszusehen. Ein Künstler, der Angriffe verhindert, dabei gilt der geborene Stuttgarter eigentlich als ein Versprechen für die Offensive. Doch schon beim FC Bayern spielt er häufig im defensiven Mittelfeld und auch am Dienstag bewegte er sich neben Ilkay Gündogan als Sechser im Zentrum.

DFB-Trainer Hansi Flick schwärmt von Jamal Musiala

„Dort muss man anders spielen“, sagte Musiala. Es brauche mehr Disziplin, er versuche, sich in die richtigen Positionen zu bringen. „Ich denke, ich mach das schon ganz gut.“ Wobei „ganz gut“ natürlich eine riesige Untertreibung darstellt, andere benutzen Worte wie „herausragend“. Jeder habe gesehen, was für eine Qualität Jamal Musiala mitbringe, sagte Bundestrainer Hansi Flick. „Er weiß, sich durchzusetzen. Auch in der Defensive.“

Wenn Holland versuchte, durchs Zentrum zu kombinieren, brachte Musiala meistens einen Fuß dazwischen. Wenn die Mitspieler unkontrolliert passten, saugte er den Ball an, drehte sich um seine Gegner herum. Die Führung durch Thomas Müller (45.+1) entstand, weil Musiala in den niederländischen Sechzehnmetteraum drängte. Und anscheinend bringt der Hochbegabte zudem eine Arbeitseinstellung mit, die Trainern gefallen muss.

Redebedarf nach der Auswechslung: Jamal Musiala ärgert sich, Hansi Flick beruhigt ihn.
Redebedarf nach der Auswechslung: Jamal Musiala ärgert sich, Hansi Flick beruhigt ihn. © afp

Die Auswechslung in der 69. Minute für den Gladbacher Florian Neuhaus nervte Musiala derart, dass Hansi Flick noch am Spielfeldrand auf ihn einreden musste. „Ich wollte einfach weiterspielen“, meinte Musiala. „Er hat mir gesagt, dass ich mich ein bisschen ausruhen solle.“ Alles sei ausgeräumt. Der Bundestrainer sei wie eine Art Mentor für ihn. Jedoch sagte der Bayern-Profi nicht „Mentor“, sondern „Tutor“ auf Englisch, was seine Lebensgeschichte verrät.

Jamal Musiala: Deutschland, England und wieder zurück

Mit sieben zog Musiala mit seinen Eltern nach England, wechselte dort zum FC Chelsea und wuchs zu einem der besonderen Talente in Europa heran. Dies bemerkte der FC Bayern, der es auf dem umkämpften Markt für junge Fußballer 2019 schaffte, den Begnadeten zurück nach Deutschland zu holen. Hansi Flick, damals Bayern-Trainer, beförderte ihn 2020 zu den Profis, nun arbeiten beide beim Deutschen Fußball-Bund zusammen.

Allerdings hätte sich Musiala auch für England entscheiden können, er verfügt über beide Staatsbürgerschaften, spielte in der Jugend für englische Auswahlmannschaften. Kurz vor seinem 18. Geburtstag beschloss er trotzdem, dem DFB zu helfen. Ex-Bundestrainer Joachim Löw hatte sich um ihn bemüht, ihn immer wieder angerufen. DFB-Direktor Oliver Bierhoff zeichnete Musiala eine Zukunftsperspektive auf.

Diese könnte sich schon in diesem Winter in Katar erfüllen. Bleibt der Münchener in dieser Verfassung, wird ihm Hansi Flick wohl eine tragende Rolle anvertrauen. Möglicherweise in der Offensive, vielleicht dauerhaft im Mittelfeldzentrum. Das würde jedoch bedeuten, dass der Bundestrainer einen namhaften Spieler auf die Bank setzen müsste.

Jamal Musiala vergrößert die DFB-Auswahl im Mittelfeld

Joshua Kimmich fehlte in Amsterdam, weil er auf die Geburt seines dritten Kindes wartete. Er dürfte als Anführer aber gesetzt sein, bleibt ein Platz neben ihm. Ilkay Gündogan könnte diesen einnehmen. Leon Goretzka arbeitet sich gerade nach seiner Hüftverletzung zurück. Bei Julian Weigl und Anton Stach, die in der vergangenen Woche als mögliche Kimmich-Aushilfen vorspielen durften, müsste die Erkenntnis gereift sein, dass sie angesichts dieser Konkurrenz höchstens auf einen Platz im WM-Kader hoffen dürfen - und nicht auf viele Einsatzminuten. Indes: Über zu viel Qualität hat sich noch kein Trainer beschwert. Es sei hervorragend, wenn man Auswahl habe, erklärte Hansi Flick.

Jamal Musiala hatte den Medienraum zu diesem Zeitpunkt bereits wieder verlassen, kurz danach veröffentlichte er einige Bilder von sich in den Sozialen Medien. Darauf tänzelt er an der Außenlinie, die beiden Niederländer Frenkie de Jong und Denzel Dumfries staunen. Vielleicht hängen ähnliche Fotos irgendwann einmal auch in einem Medienraum an der Wand.