Frankfurt. Auch Leistungsträger Sergy Gnabry fehlt zum Auftakt ins WM-Jahr. Damit wachsen die Sorgen vor einer holprigen Vorbereitung des DFB-Teams.

Matthias Ginter verzieht keine Miene: „Ich find‘ ihn scheiße“, sagt der Nationalspieler, als er nach seinem Kollegen Julian Brandt gefragt wird. Dann aber muss Ginter doch grinsen. Ein Scherz, natürlich. Niemals würde der Abwehrspieler so etwas öffentlich sagen – und in diesem Fall kann man ihm auch glauben, dass er das nicht einmal denkt. Denn den Spieler Brandt kennt Ginter schon eine ganze Weile, zusammen gewannen sie 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro die Silbermedaille. „Sehr talentiert“ sei Brandt, sagt Ginter, nun ganz unironisch. Er habe „Qualitäten, die außer Frage stehen“. Und: „In Dortmund hat er in dieser Saison unter einem neuen Trainer gut gespielt, das hat er sich verdient.“

Das allerdings ist dann schon ein bisschen viel der Höflichkeit. In den vergangenen Wochen nämlich hatte Brandt bei Borussia Dortmund hauptsächlich auf der Bank gesessen, obwohl der halbe Kader verletzt ausfiel. Deswegen hatte sich beim BVB auch niemand gewundert, dass der Mittelfeldspieler von Bundestrainer Hansi Flick zunächst ignoriert wurde, als der das Aufgebot für die Testspiele gegen Israel (Samstag, 20.45 Uhr/ZDF) und die Niederlande (Dienstag, 20.45 Uhr/ARD) verkündete.

Serge Gnabry muss wegen eines grippalen Infekts abreisen.
Serge Gnabry muss wegen eines grippalen Infekts abreisen. © Getty

Letzte Chance für schwankenden Julian Brandt

Nun aber ist Brandt doch dabei. Als Nachrücker, weil Serge Gnabry wegen eines grippalen Infekts abreisen musste. Es dürfte die letzte Chance für den hochbegabten, aber in seinen Leistungen so schwankenden Offensivspieler sein, persönlich vorzuspielen und Eigenwerbung im Hinblick auf die Weltmeisterschaft in Katar im Winter zu machen – wie für den ähnlich hochbegabten Julian Draxler, der auch seit Jahren auf den großen Durchbruch wartet, bei Paris Saint-Germain kaum spielt, sich aber noch einmal beweisen darf.

Beide profitieren auch davon, dass die Personalnot im deutschen Aufgebot wieder einmal groß ist: Die Talente Florian Wirtz und Karim Adeyemi fehlen, aber auch etablierte Kräfte wie Gnabry, Niklas Süle, Leon Goretzka, Marco Reus, Robin Gosens, Jonas Hofmann, Robin Koch und vorerst auch Joshua Kimmich. Fände sich noch ein Torwart, könnte Hansi Flick aus daraus eine sehr respektable Startelf zimmern.

Dortmunds Julian Brandt wurde für die Testspiele nachnominiert.
Dortmunds Julian Brandt wurde für die Testspiele nachnominiert. © DPA

Jetzt soll Automatismen einstudiert werden

Stattdessen muss er sich Gedanken machen um Nachnominierungen und Alternativen – wo er doch jetzt, im März, die Vorbereitung auf den Höhepunkt im Winter forcieren wollte, wo das Einspielen und das Einstudieren der Automatismen beginnen sollte. Da bereitet es dem Bundestrainer durchaus Sorgen, dass ihm ein knappes Dutzend Spieler wegbricht. „Wenn ich sehe, wie viele wichtige Spieler wieder angeschlagen sind, dann ist es ein ganz großes Ziel, dass wir da Stabilität reinbekommen“, sagte er schon vor Gnabrys Abreise. Man brauche „Spieler, die alle drei, vier Tage in der Lage sind, Höchstleistungen abzurufen“. Und: „Jeder einzelne Spieler muss versuchen, an sich zu arbeiten! Nicht nur im technisch-taktischen Bereich, sondern auch physisch.“

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Sind sie aber nicht – und so werden zwangsläufig Erinnerungen wach and en zähen Vorlauf zur Europameisterschaft 2021. Flick war da zwar noch nicht im Amt, aber er konnte von außen beobachten, wie zu jeder Länderspielphase andere Leistungsträger ausfielen und sich der Kader stets bunt durchmischte – aber nie einspielen konnte. Das soll sich so nicht wiederholen – zumal es diesmal keine wirkliche Turniervorbereitung gibt und die Nationalspieler aus dem Ligabetrieb fast durchstarten müssen. Deswegen erhöht die sportliche Leitung schon einmal den Druck. „An Nationalspieler besteht das ganze Jahr über der Anspruch, dass man mehr macht, um erfolgreich zu sein“, sagt der zuständige DFBV-Geschäftsführer Oliver Bierhoff. Regeneration, Pflege, Ernährung, Schlaf, Neuroathletik – überall sollen die Profis noch den letzten Prozentpunkt rauskitzeln, um sich optimal in Form zu bringen.

Matthias Ginter: "Verletzungen gehören leider dazu"

Ganz ohne Ausfälle aber wird es auch mit bester Vorbereitung nicht gehen. „Verletzung gehören leider dazu“, sagt Ginter, der in dieser Hinsicht bislang recht unverwüstlich erscheint. Auch vor der so erfolgreichen WM 2014 sei die halbe Mannschaft angeschlagen gewesen. Aber: „Es wäre für uns als Mannschaft auf jeden Fall hilfreich, wenn alle gesund blieben – gerade mit einem neuen Trainer. Wir hoffen, dass Richtung Turnier alle fit sind.“