Frankfurt. Kai Havertz hat seinem Spiel beim FC Chelsea in England eine neue Facette hinzugefügt. Auf welcher Position soll er beim DFB spielen?

Vermutlich müssten Gärtner den gesamten Rasen umgraben, damit Kai Havertz einmal ein technischer Fehler bei einer Passübung unterläuft. Am Mittwochvormittag lässt sich beim Training der deutschen Nationalelf jedenfalls bestaunen, wie der 22-Jährige selbst ungenaue Zuspiele mit den Füßen an sich zieht, während im Hintergrund das Stadion des Bundesliga-Achten Eintracht Frankfurt ruht.

Dass Havertz über ein bemerkenswertes Talent verfügt, dürfte sich herumgesprochen haben. Nun hat der gebürtige Aachener seinem Spiel allerdings eine Facette hinzugefügt, die man eigentlich nicht mit ihm verbinden würde. Eine gewisse Härte, um sich in der englischen Premier League zu behaupten, wie er das beim FC Chelsea seit Monaten macht. „Wenn man von Entwicklung spricht, ist Kai ein Paradebeispiel“, sagt Bundestrainer Hansi Flick, der vor den Testspielen gegen Israel (26. März) und die Niederlande (29. März) hartnäckig betont, dass er von jedem eine Weiterentwicklung fordere.

Havertz kann man also als Musterschüler des Bundestrainers beschreiben. Nur stellt sich, wenn man seine Entwicklung genauer betrachtet, die Frage, auf welcher Position er jetzt bei der Nationalmannschaft überzeugen soll?

In London verdrängt Kai Havertz sogar Romelu Lukaku

In London setzt ihn Trainer Thomas Tuchel nämlich als Stürmer ein, sogar Chelseas Rekordeinkauf Romelu Lukaku (für 113 Millionen Euro von Inter Mailand) hat Havertz verdrängt. Als ein Künstler, der sich auch in Kopfballduell wuchtet. „Und er ist immer wieder ein entscheidender Faktor“, meint Tuchel.

Chelsea-Profi Kai Havertz (rechts) im Duell mit Lilles Tiago Djal.
Chelsea-Profi Kai Havertz (rechts) im Duell mit Lilles Tiago Djal. © DPA

Das Champions-League-Finale 2021 gegen Manchester City entschied Havertz, genauso wie die Klub-WM 2022. „Man merkt, dass er da ist, wenn es darauf ankommt“, sagt Hansi Flick. „Genauso möchte ich Kai bei uns sehen.“

Zumal sich einige Probleme lösen ließen, wenn Havertz als Neuner beim Deutschen Fußball-Bund eine ähnliche Wirkung entfalten könnte wie im Verein. Zum einen fehlt dem einstigen Land der Angreifer ein Torjäger von internationalem Spitzenniveau. Zum anderen könnte Flick so Thomas Müller und Kai Havertz gemeinsam spielen lassen, ohne einen von beiden auf die Außenbahn zu schieben.

Die Rüstung des Kai Havertz' platzt langsam auf

Denn Müller selbst sieht sich im Zentrum, dies habe sich in den vergangenen Jahren entwickelt, erzählt der 32-Jährige. Wo Kai Havertz spiele, sei zwar nicht entscheidend, sagt der Profi des FC Bayern. Ihm ist aber aufgefallen, dass dieser bei Chelsea in der Spitze wirklich gute Spiele gemacht habe.

Zudem gibt Havertz in der Öffentlichkeit langsam mehr von sich preis. Lange konnte man meinen, wenn man ihn in einem Spiel betrachtete, dass dieser Fußballer wohl schon in einen sehr tiefen Keller gehen müsste, um überhaupt einmal zu lachen. Im Champions-League-Finale platzte diese Rüstung, die sich viele junge Profis zugelegt haben, jedoch auf. Nach dem Spiel kamen ihm vor laufender Kamera die Tränen.

Generell zeichnet sich ein anderes Persönlichkeitsbild von Havertz ab, wenn man ihn neben dem Platz erlebt. Als er noch bei Bayer Leverkusen unter Vertrag stand, veräppelte er im Kabinentrakt einmal die Mitspieler, während diese mit den Journalisten sprachen. Dazu passt, dass er erzählt hat, der Klassenclown in der Schule gewesen zu sein. Nur begleitet ihn schon seit vielen Jahren der Druck des Profifußballs. Weil Havertz nach seinem Wechsel 2020 für 80 Millionen Euro von Leverkusen zu Chelsea zunächst nicht immer überzeugte, kritisierten ihn die Medien. Dies habe ihn belastet, verriet er später.

Die Kritiker sind verstummt, seitdem Havertz den Fußball in London prägt und weiß, wie er seinen Körper einsetzen muss. Auf seine Technik kann sich der Nationalspieler ohnehin verlassen. Der Englische Rasen ist ja nicht für seine Unebenheiten bekannt.